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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Joachim Gauck Mitte September 2015 beim Bürgerfest im Garten von Schloss Bellevue in Berlin mit Auszubildenden aus dem Verein «Ausbildung statt Abschiebung e.V.».

© dpa

Nach der Flüchtlingsrede des Bundespräsidenten: Merkel-Kritiker loben Gauck

Nicht nur Gefühl, sondern auch Vernunft in der Flüchtlingspolitik fordert der Bundespräsident. Manche lesen das als Kritik an der Kanzlerin.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Hans Monath

Die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck über Grenzen deutscher Aufnahmefähigkeit für Flüchtlinge hat in der Union eine lebhafte Debatte ausgelöst. Vor allem Kritiker des Öffnungskurses von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in CDU und CSU fühlen sich bestätigt und lobten das Staatsoberhaupt. Aus den Reihen der Grünen kamen sowohl kritische als auch zustimmende Reaktionen

Gauck hatte am Sonntag Verständnis für Sorgen und Ängste von Menschen angesichts der großen Zahl von Schutzsuchenden geäußert und konkrete Konflikte angesprochen, die mit der Ankunft und Integration von Flüchtlingen verbunden sind. "Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich", meinte das Staatsoberhaupt.

Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte dem Sender N24, die "allermeisten Bürger sehen und wissen, dass die Integrationskraft jeder Gesellschaft, jedes Staates irgendwo an eine Grenze kommt". Und es sei mit weiteren Flüchtlingen zu rechnen: "Die Massen bewegen sich auf Europa zu."

Auch die CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach und Klaus-Peter Willsch äußerten Zweifel, ob Deutschland die Aufnahme der Flüchtlinge bewältigen könne. In der Partei und an der Basis sei die "Euphorie längst nicht so groß wie an der Parteispitze und im Kanzleramt", kritisierte Willsch in der "Passauer Neuen Presse". Der Abgeordnete forderte, durch die Aufnahme der Flüchtlinge entstehende Probleme zu benennen und "unbequeme Wahrheiten" auszusprechen: "Es kann nicht nur Wohlfühlsprech geben."

Hofreiter warnt davor, die Bürger zu verunsichern

Die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner sprach sich für eine "Integrationsvereinbarung" mit den Flüchtlingen aus. "Wer unser Asylrecht in Anspruch nimmt, der muss sich zu unseren rechtsstaatlichen Spielregeln, zu den Grundsätzen unserer Verfassungskultur bekennen", sagte sie der "Bild"-Zeitung. Ein Missbrauch der Regeln müsse sanktioniert werden, verlangte Klöckner und brachte Leistungskürzungen ins Spiel.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber verteidigte Merkels Vorgehen. "Die CDU hat einen klaren Kurs in der Asyl- und Flüchtlingspolitik: Hilfe für Menschen in Not und Abschiebung abgelehnter Asylbewerber", sagte er. Merkel habe stets betont, das nicht alle nach Deutschland kommenden Flüchtlinge auch bleiben könnten. Die Grenzöffnung für Flüchtlinge aus Ungarn sei ein "Gebot der Menschlichkeit" gewesen.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte zu der Kritik aus der Union an Merkels Politik, für die Kanzlerin sei klar, dass Deutschland Bedürftigen Schutz gewähre und alle Flüchtlinge menschenwürdig behandele. Wer jedoch keinen Anspruch auf ein Bleiberecht habe, der müsse das Land wieder verlassen. Nötig seien "Signale der Ordnung".

SPD-Vizechef Ralf Stegner sagte nach der Sitzung des Präsidiums, es sei legitim, die Frage zu stellen, wie die große Zahl der Flüchtlinge bewältigt werden könne. "Das tut nicht nur der Bundespräsident, das ist auch die tägliche Arbeit von Kommunalpolitikern, Ministerpräsidenten, Hilfsorganisationen." Wichtig sei die Überzeugung, dass die Flüchtlingskrise gelöst werden könne. Dabei würden aber "weder rosarote Brille noch Stammtisch" hilfreich sein.Nötig sei eine gesamteuropäische Lösung. Stegner fügte hinzu: "Die Haltung der SPD ist, dass das Grundrecht auf Asyl nicht eingeschränkt werden kann, weder qualitativ noch quantitativ."

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kritisierte die Aussagen Gaucks. "Es wissen alle, dass es schwierig ist. Und da muss man nicht von oberster Stelle des Staates auch noch die Leute weiter verunsichern", sagte Hofreiter N24. Wenn die Einstellung vorherrsche, "wir schaffen es nicht, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man es nicht schafft".

Dagegen begrüßte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (ebenfalls Grüne) die Rede Gaucks. "Ich bin dem Bundespräsidenten sehr dankbar, dass er der Debatte eine Richtung gibt. Über den Grenzen der Aufnahmefähigkeit lag ein Tabu, denn die waren in der Vergangenheit rein theoretisch und daher ausschließlich ein Thema für Rechtsradikale und Nazis", sagte Palmer dem Tagesspiegel.

Niemand in der Politik könne es sich erlauben, in einem Boot mit denen zu sitzen, die immer schon rufen, das Boot sei voll. "Mit der moralischen Autorität des Pfarrers und Präsidenten Gauck ist nun klar, dass man über die Grenze des Leistbaren auch als guter Staatsbürger sprechen darf, weil wir erstmals tatsächlich Grenzen der Aufnahmefähigkeit erreichen", meinte der Grünen-Politiker: "Das ist höchste Zeit, denn die Kommunen werden den aktuellen Zustrom nicht mehr lange verkraften."

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