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Mexiko: Gewalt, Korruption, Willkür

Ermordete Kandidaten, illegal abgehörte Telefonate, und zu guter Letzt der Rücktritt der Staatsanwältin für Wahldelikte vier Tage vor dem Urnengang – die Regionalwahlen in Mexiko am Sonntag stehen unter keinem guten Stern.

Ermordete Kandidaten, illegal abgehörte Telefonate, und zu guter Letzt der Rücktritt der Staatsanwältin für Wahldelikte vier Tage vor dem Urnengang – die Regionalwahlen in Mexiko an diesem Sonntag stehen unter keinem guten Stern. Besonders erschüttert hat die Öffentlichkeit der Mord am Favoriten für den Gouverneursposten im nordmexikanischen Bundesstaat Tamaulipas. Rodolfo Torre war am Montag in Begleitung von Leibwächtern und Beratern unterwegs zum Flughafen von Ciudad Victoria, als ihn Auftragsmörder in zwei Geländewagen überholten und seine Karawane mit einem Kugelhagel überzogen. Torre, ein Parlamentarier und drei Leibwächter starben. Der 46-jährige Arzt trat für die Partei der Institutionellen Revolution (PRI) an und wird nun am Sonntag durch seinen Bruder ersetzt.

Tamaulipas liegt an der Grenze zu den USA und ist Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen der verfeindeten Drogenkartelle „El Golfo“ und „Los Zetas“. Der Politikwissenschaftler Albert Islas spricht von einer einschüchternden Botschaft der Kartelle an die Bevölkerung. Damit wollten sie klarstellen, wer das Sagen habe, so Islas. Im Mai war in Tamaulipas bereits ein Bürgermeisterkandidat der PAN vermutlich von Drogenkartellen ermordet worden. Präsident Felipe Calderon (PAN) sprach von einem Attentat auf die demokratischen Institutionen.

Die Morde lassen Erinnerungen an das Krisenjahr 1994 aufkommen, in dem ein Präsidentschaftskandidat, der Generalsekretär der PRI und ein Kardinal umgebracht wurden. Bis heute sind die Hintergründe unklar, doch die Morde und die darauffolgende Finanzkrise stürzten Mexiko in Chaos und Instabilität. Auch diesmal ereignen sich die Gewalttaten in einem brisanten Moment: An diesem Sonntag wird in zwölf der 31 mexikanischen Bundesstaaten ein neuer Gouverneur gewählt. Der Urnengang gilt als wichtigster Gradmesser vor der Präsidentschaftswahl im Jahr 2012. Zehn der Bundesstaaten kontrollierte bisher die PRI, die bis zu ihrer Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2000 Mexiko 70 Jahre lang in autoritärer Form regierte und auf ein Comeback im Jahr 2012 spekuliert. Das wäre, laut dem Radiokommentator Pedro Ferriz, ein „Rückfall in vordemokratische Zeiten“.

Befürchtungen, die der aktuelle Wahlkampf nährt. Vielerorts entblößte er eine demokratisch äußerst bedenkliche Mischung von Gewalt, Willkür und Korruption. Zweifelhaft ist die Rolle der Gouverneure, die im Zuge der Schwächung des Zentralstaates und der gegenseitigen Blockade von Exekutive und Parlament seit 2000 zu wahren Feudalherren geworden sind. Im Bundesstaat Veracruz etwa wurden Telefongespräche des PRI-Gouverneurs mitgeschnitten, die seine Einmischung in den Wahlkampf und die Abzweigung von Steuergeldern zugunsten seines Parteigenossen an den Tag brachten. Der PRI-Gouverneur von Puebla – bekannt als Beschützer von Kinderschändern – wurde bei anzüglichen Telefonaten mit einer Minderjährigen ertappt. Im südlichen Bundesstaat Oaxaca wurden vor einigen Wochen Menschenrechtler und Journalisten angegriffen, als sie eine isolierte Indigenagruppe versorgen wollten. Zwei Menschen kamen ums Leben, darunter ein finnischer Aktivist. Die für die Übergriffe verantwortliche paramilitärische Miliz unterhält Beziehungen zum PRI-Gouverneur und terrorisiert seit Jahren straffrei Oppositionelle. Derart absolut ist die Herrschaft der Gouverneure, dass PAN-Generalsekretär Cesar Nava die Bundespolizei abstellen will, um den Urnengang zu überwachen. Nur so sei die freie Ausübung des Wahlrechts garantiert. „Die Gemeindepolizisten stehen im Dienst der Gouverneure und haben in der Vergangenheit Wahlbetrug Vorschub geleistet“, so Nava.

Die Politik hat sich immer mehr vom Bürger entfremdet. Inhaltlich geht die Kampagne nach den Worten des Politologen Ruben Aguilar an den Interessen der Menschen vorbei. „Die Parteien verfolgen nur ihre eigenen Ziele. Unsere politische Kultur ist archaisch.“ Archaisch – und zunehmend gewalttätig. Aus Furcht vor Attentaten verzichteten zahlreiche Parteien darauf, in besonders kritischen Bezirken im Norden Mexikos Kandidaten überhaupt erst aufzustellen. Der Zentralregierung entgleitet das Gewaltmonopol. Lokale Caudillos und die Drogenmafia ersetzen sie immer häufiger. Bei der derzeitigen Volkszählung verboten beispielsweise Verbrecherbanden den Funktionären den Zutritt zu ihren Hochburgen in besonders gewalttätigen Stadtvierteln und Gemeinden.

Gleichzeitig werden die Beziehungen zwischen Politik und Organisiertem Verbrechen immer enger. So wurde in Quintana Roo der Gouverneurs-Kandidat der linken PRD unter dem Verdacht der Geldwäsche festgenommen. Ein Ex-Gouverneur der PRI wurde kürzlich wegen des gleichen Delikts an die USA ausgeliefert. US-Funktionäre fürchten, Mexiko könne sich wie Kolumbien in den 80er Jahren in einen gescheiterten Staat verwandeln, in dem Drogenkartelle das halbe Land kontrollieren und Politik und Justiz infiltrieren. Washington unterstützt daher den Drogenkrieg von Präsident Felipe Calderón (PAN) mit 1,6 Milliarden Dollar. Die Bilanz ist gemischt. Mehr als 22 000 Menschen starben seit Calderons Amtsantritt 2006; Drogenbosse wurden festgenommen, Labors ausgehoben, Netzwerke zerschlagen. Aber Justiz, Politik und Sicherheitskräfte sind korrumpiert. Und die Kosten des Drogenkrieges hoch. Nach Aussagen der Regierung sind zwar 90 Prozent der Toten ins Drogengeschäft verwickelt. Doch es trifft immer häufiger auch Unbeteiligte: Studenten, Mütter, Kinder.

Die Kritik von Menschenrechtsorganisationen am willkürlichen Vorgehen der Militärs und den unzulänglichen Ermittlungen durch Justiz und Polizei wird immer schärfer. „Die mexikanischen Soldaten begehen schwere Menschenrechtsverletzungen, die nicht gebührlich untersucht und geahndet werden”, schrieb etwa die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. „Nur fünf Prozent aller Verbrechen enden in einem Prozess, was die Inkompetenz der Justiz klar vor Augen führt“, sagt der Rechtsprofessor Guillermo Garduno Valero. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Justiz- und Sicherheitsapparat ist groß . Als neulich der prominente PAN-Politiker Diego Fernandez de Cevallos entführt wurde, zeigte die Familie das Verschwinden erst gar nicht an und forderte die Behörden auf, sich herauszuhalten.

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