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Nach Berechnungen der Kinderhilfsorganisation Save the Children werden weltweit immer mehr Kinder verheiratet - hier eine junge Braut im indischen Bhopal. Die meisten sind Mädchen.

© Sajneev Gupta/epa-dpa

Verheiratete Kinder: "Minderjährigen-Ehen sind ein Symptom von Krisen, nicht von Religion"

Bund und Länder bereiten ein Verbot der Ehen von Minderjährigen vor. Der Kinderrechtsexperte Dominik Bär hält dies für falsch - im Sinne der Jugendlichen.

Die Zahl verheirateter Jugendlicher ist  erschreckend hoch: Aktuell sind laut Ausländerzentralregister knapp 1500 junge Leute betroffen, zu mehr als zwei Dritteln Mädchen. 361 von ihnen sind sogar Kinder, also jünger als 14 Jahre. Sie sind dennoch gegen ein generelles Verbot solcher Ehen – warum? 

Ehen von Kindern unter 14 Jahren sollten in jedem Fall aufgehoben werden. Diese Ehen sind in Deutschland schon jetzt verboten und es muss auch wegen Verdacht des sexuellen Missbrauchs ermittelt werden.

In der aktuellen Diskussion geht es ja nicht um ein Verbot von Eheschließungen in Deutschland, sondern um schon bestehende Ehen, die in einem anderen Land geschlossen wurden. Bei diesen Ehen von älteren Minderjährigen halten wir ein pauschales Verbot nicht für sinnvoll. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass bei allen minderjährigen verheirateten Flüchtlingen per se die freie Selbstbestimmung bei ihrem Heiratsbeschluss fehlte. Und eine Unwirksamkeit der Ehe würde zahlreiche negative Folgen für die Minderjährigen nach sich ziehen, wie den möglichen Verlust von Unterhaltsansprüchen.

Der Unterschiedlichkeit der Fälle würde damit keine Rechnung getragen. Über die Motive für die Eheschließungen können wir nur spekulieren. Natürlich sind Fälle von Zwangsehen möglich, die aufgehoben werden müssen. Aber es kann sich auch um einvernehmliche Ehen, Liebesheiraten oder den Wunsch, eine schon eingetretene Schwangerschaft zu legitimieren, handeln. Man weiß, dass viele Minderjährige vor der Flucht heiraten, da sie auf Schutz vor sexuellem Missbrauch während der Flucht hoffen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte spricht sich daher dafür aus, dass jeder Einzelfall geprüft und auf Grundlage des Kindeswohls entschieden wird.

Sehen Sie kulturelle oder religiöse Gründe? Auch bei uns ist ja die Ehe eines oder einer 16-Jährigen nicht ausgeschlossen?

Natürlich kann eine Ehe von Minderjährigen aus kulturellen Gründen nicht ausgeschlossen werden. Eine bestimmte Religion für Minderjährigen-Ehen verantwortlich zu machen, ist aber zu kurz gegriffen. Auch in Ländern mit christlicher oder hinduistischer Mehrheitsbevölkerung gibt es zahlreiche verheiratete Minderjährige. So zum Beispiel in Indien, Brasilien oder der Dominikanischen Republik. Ein wichtiger Grund für die vermehrte Zahl an verheirateten Minderjährigen, die derzeit in Deutschland ankommen, ist in den instabilen Situationen in den Herkunftsländern zu suchen.

Früh-Verheiratungen scheinen mit dem Beginn einer Krise zuzunehmen. So waren vor dem Krieg in Syrien nur bei 13 Prozent der Hochzeiten Minderjährige beteiligt. Nun werden laut Unicef bei 51 Prozent der Ehen Minderjährige verheiratet. Der Anstieg trifft vor allem die Flüchtlingslager in Jordanien, Libanon, Irak oder der Türkei. Laut Save the Children sind von den 25 Ländern mit den höchsten Zahlen an Ehen von Minderjährigen die meisten fragile Staaten. Minderjährigen-Ehen sind damit ein Symptom von Krisen, nicht unbedingt Ausdruck von Kultur oder Religion.

Was fürchten Sie, wenn ein generelles Verbot kommt?

Wenn die Ehen generell für unwirksam erklärt würden, würde das bedeuten, dass sie nie bestanden haben. Damit gehen alle Rechte verloren, die sich aus einer Ehe für beide, Partner und Partnerin, und auch für Kinder, die in der Ehe gezeugt wurden, ergeben. Die Minderjährigen hätten keine Unterhaltsansprüche, Kinder würden ohne anerkannten Vater ihren Erbanspruch verlieren und würden als illegitim angesehen. Damit wären die verheirateten Minderjährigen und die Kinder ins soziale Abseits gedrängt. Eine Rückkehr in die Heimatländer könnte unmöglich werden.

Es besteht zudem die Gefahr, dass die Betroffenen ihre Ehen verschweigen oder in religiöse oder soziale Ehen, zum Beispiel so genannte Handschuh-Ehen, flüchten. Damit würden Kinderschutzmaßnahmen erschwert, da das Problem zum Beispiel für das Jugendamt nicht mehr wahrnehmbar ist.

Wenn Sie gegen das Verbot sind: Wie sonst wollen Sie Kinder und Jugendliche vor so frühen und Zwangsehen schützen?

Vor so frühen Eheschließungen in Deutschland sind Minderjährige schon jetzt geschützt. Ein Verbot in Deutschland von Minderjährigen-Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, verhindert die Eheschließungen im Herkunftsland nicht. Dazu müssten die Ursachen in diesen Ländern bekämpft werden. 

Gegen Zwangsehen, von denen Kinder und Jugendliche sowie auch Erwachsene betroffen sind, bestehen schon Gesetze in Deutschland. Sie sind zum einen aufhebbar durch ein Gericht, zum anderen gibt es strafrechtliche Regelungen gegen die Täter, die den Zwang ausgeübt haben. Außerdem muss bei einem Verdacht auf Zwangsehe geprüft werden, ob der Tatbestand des Menschenhandels, der Verschleppung oder der Vergewaltigung vorliegt. Das Problem ist, dass Zwangsehen von den zuständigen Stellen nicht schnell erkannt werden. Hier könnte der Schutzauftrag des Jugendamtes gestärkt werden, indem klar erklärt wird, dass der Anspruch auf Jugendhilfe ab der Einreise besteht.

Es wird leider häufig davon ausgegangen, dass der Anspruch Leistungen der Jugendhilfe beziehen zu können, erst eintritt, wenn sich ausländische Kinder, Jugendliche bzw. junge Volljährige rechtmäßig oder aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung hier in Deutschland aufhalten. Damit kann das Jugendamt nicht frühzeitig tätig werden.

Haben die Koalitionsparteien sich aus Ihrer Sicht nicht ausreichend beraten?

Bislang liegen noch keine Gesetzentwürfe oder andere Regelungsvorschläge vor. Die Beratung findet also noch statt. Wir gehen davon aus, dass bei diesen Beratungen eine Lösung vorgeschlagen wird, die einer Ermittlung des Kindeswohls im Einzelfall den notwendigen Raum einräumt.

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