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Politik: Ministerpräsident Clement bleibt, was er ist und wie er ist: voller Ehrgeiz. Blessuren bleiben da nicht aus

Er war überrascht. Vielleicht sogar konsterniert.

Er war überrascht. Vielleicht sogar konsterniert. Wolfgang Clement bleibt Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, das ja. Aber er bleibt es mit einem für ihn ernüchternden Ergebnis. "Manche Träume sind nicht wahr geworden", sagt er im ZDF. Das klingt traurig, klingt nicht nach einem Wahlsieger. Clement war sich über manche Dinge sehr sicher gewesen, zum Beispiel darüber, dass die FDP keinesfalls über acht Prozent kommt. Er hat gewettet, mit Jürgen Möllemann, dem großen Sieger des Tages, und er hat die Wette verloren. Die FDP ist weit über die acht Prozent gesprungen. Der Ministerpräsident muss nun von Bochum bis Münster zu Fuß laufen - knapp 70 Kilometer. Das war sein Wetteinsatz. Und das Schlimmste daran - das sagt er zwar nicht, aber es hört sich doch so an: "Der Möllemann wird wohl mitlaufen wollen."

Es dauert lange an diesem Sonntagabend, bis sich Wolfgang Clement blicken lässt. Natürlich haben alle Beobachter sofort nach den ersten Hochrechnungen wissen wollen, ob die SPD nun womöglich mit der FDP eine Koalition bilden will. Clement hatte sich vorher, bei seiner eigenen Stimmabgabe, nur kurz geäußert. Die gleichen Worten, die er auch später benutzen wird: Man werde zuerst mit den Grünen verhandeln. Aber danach auch mit der FDP. Natürlich sagt der Ministerpräsident an diesem Abend kein Wort darüber, welche Verhandlungen für ihn Priorität haben. Während ARD und ZDF von 18 Uhr an traditionell nicht nur um die besseren Hochrechnungen, sondern auch um Interviewpartner konkurrieren, hockt Wolfgang Clement oben im elften Stock seiner Staatskanzlei. Unten warten die Journalisten. Viele Politiker haben bis 19 Uhr schon ihre Statements vor den Kameras abgegeben, vor allem Jürgen Möllemann, aber auch der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Möllemanns alter Mentor. Clement schweigt noch immer. Franz Müntefering, Generalsekretär der SPD im Bund und SPD-Chef in NRW, ist es vorbehalten, zunächst das Wahlergebnis zu analysieren, Clement zu loben und zu verkünden, man werde sich am Montag vom Landesvorstand das grüne Licht für Verhandlungen mit dem kleinen Koaltionspartner holen.

Um 19.25 Uhr werden die Journalisten vor der Staatskanzlei hektisch. Clement, eingerahmt von seinen Bodyguards, fährt die Rolltreppe nach unten. Der ZDF-Mann bemüht sich: "Herr Clement, wir sind live auf Sendung. Ein Statement für das ZDF." Clement schweigt. Sein Gesichtsausdruck verrät nicht viel. Kurz darauf wird er erst im Landtag und danach im ZDF ablehnen, von einer Niederlage zu sprechen. Stattdessen baut er sich selber auf. Das ist Clements Litanei des Abends: Die SPD habe einen deutlichen Regierungsauftrag erhalten, und der sei nun wahrzunehmen. Er verstehe das als Wählerauftrag an sich. Es gehe jetzt darum, eine stabile Regierung zu bilden. Und er habe gewonnen. Clement sagt dann noch einmal, dass es eine Frage der Loyalität sei, zuerst mit den Grünen zu verhandeln. "Ernsthaft", fügt er noch hinzu, werde er diese Gespräche führen. Das sei keine Spielerei. Aber es klingt nicht unbedingt nach einer Drohung an die Grünen.

Der Abend wird noch lang für Clement und die Nacht kurz. Genauso wie die Nacht zuvor. Schon am Sonnabend lief es irgendwie nicht rund. Denn nach wenig Schlaf hatte ihm jemand erklärt, dass dem Körper morgens knapp 30 Minuten oder eine Strecke von fünf Kilometern nicht ausreichen, medizinisch gesehen müsste man wenigstens sieben Kilometer laufen, wolle man fit bleiben. Clement hat dennoch seine Baseball-Kappe tiefer in sein Gesicht gezogen und ist gestartet. Wie jeden Morgen.

Wer Wolfgang Clement verstehen will, muss ihn laufen sehen. Wie er seinen Körper schon morgens auf die Tourenzahl bringt, die er den Tag über beibehalten wird. Und, natürlich, setzt er einen Teil dieser Energie in Bewegung um, weil er ansonsten zu explodieren drohte. Aus der Anfangszeit in der Landespolitik stammt ein Foto, das ihn im schwarzen Tuch vor der Staatskanzlei zeigt. Die Arme hat er über der Brust verschränkt, das signalisiert genauso wie der Blick von oben herab über die Lesebrille Unnahbarkeit. Im Kabinett von Rau wurde hinter vorgehaltener Hand viel über Clement gelästert. Als Chef der Staatskanzlei wirkte er auf die Minister weniger dynamisch als arrogant. Weil aber alle wussten, dass Rau ihn als Nachfolger favorisierte, schadete ihm das nur begrenzt. "Ich hatte das Privileg, Förderer und aufrichtige Freunde zu haben" - so beschreibt Clement diese Zeit. Die Wunden, die das Ringen um die endgültige Rau-Nachfolge 1998 bei beiden hinterlassen hat, sind heute weitgehend vernarbt. Von Rau hatte er 46 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl 1995 und die rot-grüne Koalition geerbt. Es gab 1995 nicht wenige, die Rau geraten hatten, den Stab schon am Ende der Koalitionsverhandlungen an Clement weiter zu reichen. Aber der heutige Bundespräsident war dazu nicht zu bewegen. Clement bestreitet, dass ihm das geschadet hat. "Nein", sagt er und fügt hinzu, "aber die Zeit hat nicht gereicht, um alles zu lösen, was ich mir vorgenommen hatte".

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