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Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung lassen den Rückhalt für Kanzlerin Merkel in der Bevölkerung bröckeln.

© Boris Roessler/dpa

Mon BERLIN: Angela Merkel und die Zuckerbäcker

Was ist Bloß mit der Kanzlerin los? Wie konnte die mächtigste Frau der Welt so tief fallen? Melancholische Gedanken zwischen den Jahren. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Melancholie ist das Glück, traurig zu sein…“ Nichts illustriert die letzten Tage des Jahres so gut wie dieses Bonmot von Victor Hugo. Nein, nicht die Depression schnürt uns die Kehle zu, auch keine stumpfe Tristesse, sondern ein anderes Gefühl, viel verführerischer, sanft und schmerzlich zugleich. Das Jahr ist zu Ende und geht nun an uns vorbei mit seiner Ausbeute an Niederlagen, Bedauern und Freuden. Und vor uns die Zukunft mit Ungewissheiten und Vorfreuden.

Der Himmel ist bleiern, grau in grau. Berlin ist benommen, in einen Dornröschenschlaf versunken. Keine Sondierungsgespräche im Regierungsviertel. Angela Merkel ist zum Langlauf in einen fernen, verschneiten Wald gereist, und selbst die SPD verschont uns weitestgehend mit der unendlichen Analyse ihrer Seelenzustände.

In Frankreich nennt man die Verschnaufpause zwischen den Jahren „la trêve des confiseurs“, wörtlich „den Waffenstillstand der Zuckerbäcker“. Der Ausdruck stammt aus dem Jahr 1874. In der Abgeordnetenkammer zerfleischten sich Monarchisten, Bonapartisten und Republikaner wegen der Verfassung der III. Republik. Deshalb wurde eine Waffenruhe bis Anfang Januar vereinbart. Eine Chance für die Politiker, sich zu beruhigen und wieder zur Besinnung zu kommen. Eine gute Idee! Und eine Inspiration für die deutschen Unterhändler von heute.

In diesem Schwebezustand zwischen den Jahren habe ich vor ein paar Tagen an einem kleinen norddeutschen Bahnhof ein wütendes Tag entdeckt: „Merkel muss weg!“, hatte der Sprayer auf die schmutzige Mauer geschrieben. Eine eindeutige Botschaft, die nicht mal der öde Nieselregen abwaschen konnte. Drumherum nichts als Rapsfelder und Kühe.

Was für eine Enttäuschung steckt dahinter, dachte ich und schlug meinen Mantelkragen hoch. Und außerdem: Was ist bloß mit Angela Merkel los? Wie konnte sie so tief fallen? Jahrelang hat sie in den Umfragen und in den Herzen der Deutschen den Platz eins für sich reserviert. Vor den Wahlen sah es so aus, als hätte sie sich wieder hochgearbeitet, nachdem die Aufnahme von Hunderttausenden von Flüchtlingen ihr fast den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Stabilität! Kontinuität! Nur Angela Merkel schien das Schiff in schwerer See noch steuern zu können. Und selbst die europäischen Nachbarn vertrauten der mächtigsten Frau der Welt, der Königin von Europa.

Liegt es am schwachen Wahlergebnis, an den jetzt schon mehr als drei Monaten andauernden, erfolglosen Versuchen, eine Regierung zu bilden, dass diese scheinbar unbesiegbare Kanzlerin im freien Fall ist? Kurz davor, sich das Genick zu brechen, wenn sie es in den nächsten Wochen nicht schafft, ein Kabinett aus Politikern zusammenzustellen, die ganz offensichtlich nicht miteinander regieren wollen. Oder dient die Krise in Berlin all den Unzufriedenen als Resonanzboden, die den Stil Merkel schon lange kritisieren? Ist „Merkel muss weg!“ eine Vorwarnung?

Wenn die Gerippe der Weihnachtsbäume am 7. Januar auf den Berliner Bürgersteigen liegen und die letzten Reste der Silvesterböller die Gullys verstopfen, wird Angela Merkel zu einer neuen Verhandlungsrunde zwischen Union und SPD einladen. Spätestens dann fangen die Zuckerbäcker aus den Parteien wieder an zu schießen.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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