zum Hauptinhalt
Die Schülerin Karina Muzyka geht auf den Trümmern der Tschernihiwer Schule Nr. 21, die am 3. März von russischen Streitkräften bombardiert wurde. (Archivbild)

© dpa/Emilio Morenatti

Moskaus Propaganda an ukrainischen Schulen: „Für mich war klar, dass ich nicht für die Russen arbeiten konnte“

In besetzten Gebieten in der Ukraine bestimmen pro-russische Behörden den Lehrplan. Wie groß der Druck ist, schildert eine Lehrerin dem britischen „Guardian“.

Am 1. September hat das Schuljahr in der Ukraine wieder begonnen. Allein das ist angesichts des Chaos, das Bomben und Soldaten im Land hinterlassen, eine Besonderheit.

Für die Schulen in den russisch besetzten Gebieten aber ist die Lage besonders herausfordernd, für die ukrainischen Lehrkräfte mitunter lebensbedrohlich. Krieg wird hier nämlich nicht nur an der Front, sondern auch in den Klassenzimmern geführt: der Lehrplan als Schlachtfeld.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Russland hat den unrechtmäßigen Angriff auf die Ukraine von Beginn an ideologisch aufgeladen – als „Akt der Befreiung“ des ukrainischen Brudervolkes, als „Entnazifizierung“. Eben jene Propaganda soll nun auch ihren Weg in die Köpfe ukrainischer Schulkinder finden, indem dort, wo es möglich ist, der russische Lehrplan den ukrainischen zwangsweise ersetzt.

Wie das aussieht, berichtet die ukrainische Lehrerin Halyna der britischen Zeitung „The Guardian“. Dass sich Halyna nur unter falschem Namen und ohne Nennung ihres ursprünglichen Wohnorts traut, über ihre Erlebnisse zu sprechen, zeigt die Brisanz des Themas.

Sie erinnert sich an die Ansprache des langjährigen Oberschulleiters in ihrer besetzten Stadt. Dieser sagte: „Die Ukraine hat uns im Stich gelassen und kommt nicht mehr zurück, und jetzt machen uns die Russen Angebote. Wenn wir sie nicht annehmen, werden sie neue Leute aus Russland schicken, die die Schule leiten und keine Bindung zu ihr haben. Es ist besser, wenn wir hierbleiben und versuchen, uns um die Schule zu kümmern.“

Doch mit den Menschen zu kollaborieren, die all das Grauen über ihre Heimat brachten, war für Halyna unvorstellbar. „Etwa ein Drittel der Lehrer stimmte dem Vorschlag zu, aber für mich war klar, dass ich auf keinen Fall für die Russen arbeiten konnte“, wird sie zitiert und kündigte kurz darauf ihren Job.

„Mir liefen die Tränen übers Gesicht“

Als die russischen Besatzer ankündigen, alle ukrainischen Lehrbücher zu verbrennen, kehrt Halyna noch einmal zurück an ihren langjährigen Arbeitsplatz, um zumindest ein paar wenige Sachen zu retten. „Stellen Sie sich vor, ich habe mehr als 25 Jahre lang in dieser Schule gearbeitet und bin dort allein mit einer Topfpflanze und einer Tasche mit Gedichten herausgegangen. Mir liefen die Tränen übers Gesicht“, beschreibt sie den Moment.

Weil sie nicht nach dem russischen Lehrplan unterrichten will, wird Halyna kurze Zeit später als „Verräterin“ denunziert und landet auf der Beobachtungsliste des russischen Geheimdienstes FSB. Es bleibt ihr nur die Flucht.

Ihr Beispiel steht stellvertretend für die Situation vieler ukrainischer Lehrkräfte in den besetzten Gebieten. In der eroberten Stadt Cherson im Süden des Landes begannen die von Russland eingesetzten Behörden bereits Anfang August mit den Vorbereitungen für das neue Schuljahr.

10.000 Rubel für Kollaborateure

Lehrkräfte wurden gezielt in ihren Wohnungen aufgesucht, bedroht und zur Zusammenarbeit gezwungen. Über den eigenen Telegramkanal kündigte die Militärverwaltung Chersons damals an, russische Literatur und Lehrbücher für die Unterricht zu importieren.

Auch Einmalzahlungen in Höhe von 10.000 Rubel sollen Lehrern von den pro-russischen Behörden als Anreiz zur Kollaboration geboten worden sein. Und in der besetzten Region Saporischschja erwarten die pro-russischen Behörden laut eigenen Angaben 500 russische Lehrer als Unterstützung. Lehrer wie Juri Baranow.

Die russische Zeitung „Novaya Gazeta“ sprach bereits im Juli mit dem russischen Geschichtslehrer aus der Region Perm im Ural, der sich freiwillig nach Saporischschja versetzen ließ und das russische Narrativ von Nazis in der Ukraine voll und ganz verinnerlicht hat. „Ich habe eine persönliche Abneigung gegen die Ukraine.

Nicht für die Menschen, sondern für den Staat, der seine Bürger in den letzten 30 Jahren einer Gehirnwäsche unterzogen und ihnen beigebracht hat, Russen zu hassen (…). Wir können nicht alle ukrainischen Nazis vernichten, das ist unrealistisch, also müssen wir das Problem mit anderen Methoden lösen“, sagte er - und dürfte damit relativ präzise beschrieben haben, wie der Unterricht unter russischer Besatzung aussehen wird.

Unterdessen versuchen manche Lehrkräfte wie Halyna mittels Online-Unterricht nach der Schule ukrainischen Eltern einen Ausweg aus der russischen Indoktrinierung zu bieten. Viele von ihnen seien jedoch zunehmend besorgt, dass sie vor den russischen Behörden auffliegen könnten, berichtet sie. Der FSB soll sogar bereits Ermittlungen wegen des ukrainischen Online-Unterrichts eingeleitet und die Wohnungen einzelner Lehrer durchsucht haben.

Als ebenso dramatisch beschreibt Halyna die zunehmende Spaltung zwischen dem Lehrpersonal; zwischen denen, die nicht unter russischer Besatzung unterrichten wollen, und denen, die sich fügen – sei es aus Überzeugung oder Pragmatismus. Was ihr bleibt, ist die Hoffnung auf die ukrainische Armee. „Ich warte jeden Tag darauf, dass sie die Stadt befreit. Und ich hoffe, dass es bald passiert“, sagt sie. (Tsp)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false