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Japans Premier Abe: Müde und ohne Energie

Nach nur einjähriger Amtszeit ist Japans Ministerpräsident Shinzo Abe überraschend zurückgetreten. Damit zieht er nachträglich die Konsequenz aus seiner Schlappe bei der Oberhauswahl.

Die regierende Liberal-Demokratische Partei (LDP) muss nun bis Monatsende einen Nachfolger bestimmen. Große Chancen hat LDP-Generalsekretär Taro Aso, der bis vor kurzem Außenminister war.

Kurze Zeit nach der Nachricht von Abes Rücktritt rissen die Passanten in Tokios Glitzermeile den Zeitungsboten die Extrablätter aus den Händen. In riesigen Schriftzeichen verkündeten alle großen Zeitungen in Sonderausgaben die Top-Nachricht, auf die politische Beobachter bereits seit Wochen gewartet hatten. Von der Rücktrittsentscheidung ihres Regierungschefs dürften die Leute auf der Straße deshalb kaum überrascht gewesen sein, allenfalls vom Zeitpunkt. Ein starker Premierminister war Shinzo Abe nie. Seit der verheerenden Niederlage der Liberal-Demokratischen Partei bei den Oberhauswahlen vor sechs Wochen war seine Position noch zusätzlich geschwächt.

Am Mittwoch ließ Abe nun die japanische Öffentlichkeit wissen, dass seine Regierungszeit zu Ende sei. Der mit 52 Jahren jüngste Regierungschef des Kaiserreiches erklärte, er sei müde und habe die politische Energie verloren. Offiziell begründete Abe seinen Rücktritt mit dem rapiden Popularitätsverlust seines Kabinetts. Kaum ein Premierminister war so ungeliebt wie ausgerechnet dieser Spross einer elitären Politiker-Dynastie, die mit dem Großvater einen Premier und dem Vater einen Außenminister hervorgebracht hat. „Ich habe beschlossen, dass wir in dieser Situation einen Wandel brauchen“, verkündete der sichtlich gezeichnete Premier im Fernsehen des Landes. Abe ließ offen, wann er sein Büro verlassen wolle, bat die Parteiführung jedoch, schnell einen Nachfolger zu finden. Politische Beobachter gehen davon aus, dass ein Sonderparteitag der LDP am 19. September den derzeitigen Generalsekretär und früheren Außenminister Taro Aso zum designierten Regierungschef wählen wird. Aso hat erst kürzlich seine Bereitschaft erklärt, der nächste Premier Japans zu werden. Obwohl er erst seit zehn Monaten im Kabinett ist, gilt er als integer. In die Personalskandale seines Regierungschefs ist Aso nicht verwickelt. In der Partei verfügt er über eine solide Hausmacht und kommt aus einer der reichsten Familien des Landes. Allerdings macht er auch gelegentlich mit unbedachten Bemerkungen von sich reden. Der Opposition dürfte zudem die Vergangenheit seiner Familie, die während der Besetzung Koreas verschleppte Zwangsarbeiter ausgebeutet haben soll, einen Angriffspunkt bieten.

Die oppositionelle Demokratische Partei bejubelt den Rücktritt des Premierministers euphorisch als weiteren Meilenstein bei der Eroberung der politischen Macht in Tokio. Es wäre jedoch für Japan besser gewesen, wenn der schwer angeschlagene Regierungschef gleich nach der Niederlage bei den Oberhauswahlen Ende Juli abgetreten wäre, erklärte deren Vorsitzender Mizuho Fukushima im nationalen Fernsehen NHK.

Wahrscheinlich hat die Opposition den Rücktritt auch tatsächlich erzwungen. Am Mittwochnachmittag stand auf der Agenda des Unterhauses ein Rededuell zwischen Abe und Oppositionsführer Ichiro Ozawa. Formell sollte es dabei um die Frage gehen, ob ein bestehendes Anti-Terror-Gesetz notwendigerweise verlängert werden muss. Premierminister Abe wollte eigentlich diesen parlamentarischen Schlagabtausch mit seinem politischen Schicksal verbinden und gab sich zum Kampf entschlossen. Wenige Stunden vor der Debatte, in der Abes Regierung mit erheblicher Kritik zu rechnen hatte, informierte der Premier allerdings seine Parteifreunde, dass er sich dieser Auseinandersetzung nicht mehr gewachsen fühle.

Angela Köhler

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