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Der Revolutionär. Alexander Dobrindt will eine konservativ-bürgerliche Revolution.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Nach Alexander Dobrindts Vorstoß: Revolution? Macht erst mal konservative Politik!

Ob Familie, Umwelt, Dörfer – es gäbe so viel zu tun für die Unionsparteien CDU und CSU. Wo ist ihr Konservatismus? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Das wäre mal was: ein Geisteswissenschaftler, der mit einem gut platzierten, provokanten Text der Union zu einem neuen, frischen Überbau verhilft. Provokant am Verlangen des Soziologen und CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt nach einer konservativen Revolution ist nicht das wohlfeile 68er-Bashing; provozierend ist sein Rekurs auf eine politisch unkorrekte Bewegung, die der rechtskonservative Publizist Armin Mohler in der Weimarer Republik ausgemacht und „konservative Revolution“ genannt hatte.

Deren geistige Erben, der Verleger Götz Kubitschek mit seinem Antaios-Verlag zum Beispiel, stehen heute der AfD nahe. Allein das wird eine Menge Leute davon abhalten, den Begriff „konservative Revolution“ mit streitwürdigen Inhalten zu füllen. Doch wer bürgerlich-konservative Wähler zurückgewinnen möchte, sollte es nicht bei dröhnenden sicherheitspolitischen Ankündigungen belassen. In den Abstand zwischen der merkelisierten CDU, einer in Bayern eingebrochenen CSU und einer bürgerlichen Schicht, die sich in der Bundespolitik kaum noch wiederfindet, passt eine Menge konservativer Politik.

Um mal anzufangen mit dem, was Christdemokraten gern die „Keimzelle“ der Gesellschaft nennen: Wie wäre es mit dem Versuch, den Verlauf der Lebensarbeitszeit neu zu regeln? Wer Kinder hat und gern Zeit mit ihnen verbringt, muss sich beruflich bremsen. Warum soll es nicht beiden Eltern möglich sein, eine Reihe von Jahren mit halber Kraft zu arbeiten, dafür aber deutlich länger als bis zum 63. oder 65. oder 67. Lebensjahr (die viel zitierten Dachdecker natürlich ausgenommen)?

Schöpfung bewahren? Lässt sich zum Beispiel mit einem Tempolimit

Das wäre dann eine Debatte über das, was Familienleben möglich macht und über das, was Rente im Zeitalter des fitten und flotten Silveragers sein sollte. Und wenn man schon über das diskutiert, was Eltern und Kinder verbindet, zum Beispiel die Hausaufgaben: Nötig wäre ein Streit über das, was Bildungspolitik heute sein sollte. Bildung war mal ein bürgerliches Ideal. Kein Weg führt zurück in eine Zeit, in der Wissensgebiete noch überschaubar waren. Aber es gibt Wege – in anderen Ländern werden sie längst beschritten – , Schule wieder zu wirklichen Bildungsreinrichtungen zu machen. Wenn die Bildungssenatoren und -Minister der Bundesländer damit überfordert sind, und das sind sie, wie man an bizarr überladenen, unzeitgemäßen Lehrplänen sehen kann, wird es Zeit, dass der Bund den lernschwachen Landesbildungspolitikern auf die Sprünge hilft.

Fast so gerne wie über die „Keimzelle der Gesellschaft“ reden sie in der Union über die „Schöpfung“. Die schwebt in Teilen des Landes unter einer Feinstaubglocke. Verkehrspolitik kann gewiss nicht alle Ursachen der Luftverpestung beseitigen. Aber sie kann Zeichen setzen und im wahrsten Sinn des Wortes Weichen stellen. Wer von der Schöpfung redet, sollte nicht eine Industrie hofieren, deren PS-Fetisch von vorgestern ist. Er oder sie sollte ein Tempolimit von 120 km/h auf den Autobahnen durchsetzen, um klarzumachen, dass die Zeiten der luftverpestenden Raserei vorbei sind. Und er oder sie könnte zumindest versuchen, der Bahn Preisvorteile im Konkurrenzkampf mit den Lkw-fahrenden Logistikern zu verschaffen.

Warum werden dörfliche Strukturen verhökert statt erhalten?

Wie das gehen könnte in Zeiten der Just-in-time-Produktionsketten und der 24-Stunden-Lieferfristen, darüber wäre zu streiten. Es wäre ein Streit über die Richtung, in die sich die Gesellschaft entwickelt und über das Tempo, mit der sie das macht. Die Debatte darüber findet derzeit nicht statt, und das liegt auch daran, dass die, die sich früher für den Konservatismus zuständig gefühlt haben, pragmatisch mehr oder minder gut regiert, aber nicht viel weitergedacht haben. Konservatismus bedeutet nicht „zurück zu“, er beschreibt ein Bewusstsein für das, was man selbst oder eine Gesellschaft bewahren will. Eine Politik, der die Just-in-time- Produktion wichtiger ist als, beispielsweise, der Umweltschutz, ist in dem Sinn nicht konservativ. Und dass sich in Anbetracht endloser Lkw-Ströme auf den Autobahnen Fragen nach der Qualität von Arbeit stellen, kommt dazu. Auch dazu war von denen, die in der Union für die Grübeleien zuständig sind, nichts zu hören.

Noch ein Beispiel? Das demografische Gefälle zwischen Stadt und Land, Ballungsräumen und Peripherie soll gemildert werden. Dörfer mit 150 oder 250 Bürgern sind für die wenigsten Politiker von Interesse. Die Überlebensfähigkeit solcher Dörfer hängt weniger von stadtmüden Wochenendlandbewohnern ab als von der Möglichkeit, Arbeitsstrukturen zu erhalten. Die Arbeit ist auf den Höfen. Bauern, die Land kaufen wollen, das der Bund verkauft, konkurrieren mit Investoren. Wenn der Bund Land zu verkaufen hat, geht es an den, der am meisten bietet – angeblich im Interesse des Steuerzahlers. Der reine Unsinn: Im Interesse des Steuerzahlers wären dörfliche Strukturen, die sich selbst erhalten – mit Landwirten, die es sich leisten können, gegen die Landinvestoren mit ihrem Interesse an Monokulturen anzutreten. Auch das hat mit „Bewahren“ zu tun.

Aber dafür müsste man sich trauen, konservativ zu sein. In der Union ist von offensivem Konservatismus wenig bis nichts mehr zu sehen.

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