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Parteireformer in spe. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Foto: Clemens Bilan/dapd

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Politik: Nach allen Seiten offen

Sigmar Gabriel will die SPD als Volkspartei retten – aber seine Reformpläne stoßen auf Widerstand

Beharrlichkeit und Beständigkeit zählen nicht zu den Tugenden, die normalerweise mit Sigmar Gabriel in Verbindung gebracht werden. Auch in der eigenen Partei gilt der SPD-Chef etlichen als sprunghafter Aktionist, allzeit bereit, die Position zu wechseln, wenn dies einen politischen Vorteil verspricht.

In einer Frage aber zeigt sich Gabriel bisher außerordentlich prinzipientreu – und das, obwohl Vorteile zunächst nicht zu erwarten sind. Zum Ärger vieler Genossen aus Bund und Ländern will der SPD-Chef auf dem Bundesparteitag im Dezember eine tiefgreifende Parteireform durchsetzen. Nur wenn sich die SPD auch für Nichtmitglieder öffne, lasse sich ihr Niedergang als Volkspartei stoppen – davon ist Gabriel überzeugt.

Für den SPD-Vorsitzenden ist dieser Glaubenssatz in gewisser Weise konstitutiv. Schon bei seiner Bewerbungsrede auf dem Dresdner Parteitag Ende 2009 hatte Gabriel angekündigt, die Strukturen der Partei einer Generalüberholung zu unterziehen. Im Mai 2010 bekräftigte er das Vorhaben dann bei einer Tagung der Kreis- und Unterbezirksvorsitzenden. Damals hatte eine bundesweite Befragung der SPD-Ortsvereine die Misere der Sozialdemokratie detailreich belegt. Kurz gefasst lautete das Ergebnis: Die SPD ist eine überalterte, in der Arbeitswelt nicht mehr fest verwurzelte Partei, deren schrumpfende Basis den Kontakt zu anderen gesellschaftlichen Gruppen mehr und mehr verliert. „Der Befund ist für eine Organisation, die von sich behauptet, sie sei Volks- und Mitgliederpartei, supergefährlich“, urteilte der SPD- Chef.

Was Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles der SPD nun aber zu ihrer Rettung verordnen, stößt in der Partei auf Widerstand. Seit Nahles zu Wochenbeginn unter dem Titel „Die SPD erneuert sich“ das 23-seitige Konzept der Parteispitze vorgelegt hat, melden sich täglich neue Kritiker zu Wort. Sie wollen unter anderem nicht mittragen, dass:

– in Zukunft per Urwahl über die Besetzung öffentlicher Ämter sowie über die Kanzlerkandidatur entschieden werden kann und dass an diesen Entscheidungen auch Nicht-Parteimitglieder beteiligt werden;

– das Parteipräsidium von derzeit 17 auf neun Mitglieder verkleinert wird;

– der Parteivorstand nur noch 20 Mitglieder statt wie bisher 45 Mitglieder umfassen soll.

Vor allem in den Ländern ist die Skepsis groß. Führende Sozialdemokraten aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hessen haben sich bereits gegen zentrale Punkte des Vorhabens ausgesprochen. Vom mitgliederstärksten Landesverband können Gabriel und Nahles ebenfalls keine Unterstützung für ihre Pläne erwarten. So kündigte Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin und SPD-Chefin in NRW, intern an, dem Vorhaben in seiner derzeitigen Form keinesfalls zuzustimmen.

Während Kraft sich in der Öffentlichkeit bedeckt hält, meldet der SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Norbert Römer, Nachbesserungsbedarf an. Die SPD-Mitgliedschaft werde entwertet, sollten Bürger ohne Parteibuch in Zukunft an Personalentscheidungen beteiligt werden. „Der Mehrwert für beitragszahlende SPD-Mitglieder darf sich doch nicht darauf beschränken, Plakate zu kleben und Flugblätter zu verteilen“, sagte Römer dem Tagesspiegel.

Wie anderen Landesverbänden geht es der nordrhein-westfälischen SPD aber auch um den Proporz. Werden Präsidium und Vorstand verkleinert, stehen Posten und Einfluss zur Disposition. „Die Mitgliederstärke der Bezirke und Landesverbände muss sich auch in der Zusammensetzung von Gremien auf Bundesebene widerspiegeln“, verlangt Römer.

Der Widerstand aus den Ländern hat das Berliner Willy-Brandt-Haus bereits zu ersten Korrekturen veranlasst. Der SPD-Vorstand soll nun nur noch auf 30 bis 35 Mitglieder verkleinert werden, heißt es. Ob das zur Besänftigung der Kritiker ausreicht, ist jedoch fraglich. Am Montag will der SPD-Vorstand über das Konzept beraten. Danach wird Parteichef Gabriel genauer wissen, ob seine Autorität zur Durchsetzung einer Reform ausreicht, die für die Volkspartei SPD nach seiner Meinung überlebenswichtig ist.

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