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Vereint in Trauer: Frankreichs Präsident Francois Hollande (r.) und Innenminister Bernard Cazeneuve gedenken am Montag der Opfer von Nizza.

© AFP

Nach dem Nizza-Attentat: Das politische Frankreich ist gespalten

Während die Bürger noch um die Opfer des Anschlags trauern, streitet die Politik um die richtige Lehre daraus. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy teilt aus, Premier Manuel Valls wird ausgepfiffen.

Pfiffe für den Premierminister: Als Frankreichs Regierungschef Manuel Valls am Montag auf der Promenade des Anglais zu der Gedenkminute für die Opfer des Attentats vom Abend des 14. Juli erscheint, wird er von einigen versammelten Trauernden mit Buhrufen und Beschimpfungen empfangen. „Rücktritt“, „Mörder“ und „Schweinehund“ rufen sie ihm zu, als er nach der Zeremonie an der Jahrhundertstatue die berühmte Flaniermeile wieder verlässt. Die Flaniermeile, deren Name nun wie die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ oder das Pariser Konzertcafé Bataclan nach den Attentaten vom vergangenen Jahr zu einem weiteren Synonym für den blinden Terror geworden ist, der Frankreich erschüttert.

Doch anders als die Täter, die im Januar den Anschlag auf das Satireblatt verübten, oder jene, die im November Besucher des Stade de France und Gäste von Pariser Cafés angriffen, hat Mohamed Lahouaiej Boulhel, der Attentäter vom 14. Juli, außer Tod und Schrecken zu verbreiten noch ein anderes Ziel erreicht. Mit seiner Bluttat, für deren Hintergründe und Motive die Ermittler immer noch nach schlüssigen Erklärungen suchen, hat er die politische Stimmung in Frankreich vergiftet.

Sie war dabei schon lange nicht mehr gut. Der 9. Januar mit der Aufwallung einer großen Mehrheit der Franzosen für das Gefühl der nationalen Einheit ist längst vorbei. Und auch der Moment, als Abgeordnete und Senatoren aller politischen Parteien nach den Attentaten vom November dem sozialistischen Präsidenten Francois Hollande bei einer gemeinsamen Sitzung im Schloss von Versailles stehend Beifall zollten, ist nur noch Erinnerung. Das politische Frankreich ist gespalten. Den Schock vom 14. Juli hat es aus den Perspektiven zweier entgegengesetzter Lager erlebt, von denen eines entschlossen ist, die Sicherheitspolitik zu einem bestimmenden Thema der kommenden Monate bis zur nächsten Präsidentenwahl im Frühjahr 2017 zu machen.

Den Auftakt lieferte der frühere Präsident Nicolas Sarkozy, als Chef der rechtsbürgerlichen Oppositionspartei einer der Anwärter auf die Kandidatur zur Nachfolge Hollandes, in einem Fernsehinterview am Sonntagabend. Gleich zu Beginn machte er klar, dass er von neuerlichen Beschwörungen der nationalen Einheit nichts hält. „Ich habe nicht die Absicht, alle drei Monate derartige Tragödien zu kommentieren“, sagte er. Demokratie heiße nicht Verzicht auf Debatten. „Ich möchte klarstellen, dass alles, was seit 18 Monaten hätte unternommen werden müssen, nicht getan wurde.“

Sarkozy fordert elektronische Fußfesseln und Hausarrest für verdächtige Personen

Dann zählte er auf, was in diesem „totalen Krieg" gegen den Terrorismus seiner Ansicht nach versäumt wurde: von der elektronischen Fußfessel oder dem Hausarrest für des radikalen Islam verdächtigte Personen über die Schließung von islamischen Kultstätten und der Isolierung von verurteilten Terroristen in Haftanstalten bis hin zur Ausweisung von terroristischen Straftätern und natürlich der zahlenmäßigen Aufstockung der Sicherheitskräfte.

Dass das, was Sarkozy vorschlägt, das Drama von Nizza nicht verhindert hätte, spielt für den wegen seiner eloquenten Polemik beim Publikum ebenso beliebten wie verspotteten Ex-Präsidenten keine Rolle. Der Attentäter von Nizza war den Sicherheitsdiensten nicht als radikaler Moslem aufgefallen, sein Name wurde daher auch nicht in der „Fiches S“, der Sicherheitskartei, geführt; er saß nie im Gefängnis und frequentierte auch keine Moscheen. Hinzu kommt, dass die Vorschläge Sarkozys wie etwa die elektronische Fußfessel oder der Hausarrest für verdächtige, aber nicht verurteilte Islamisten vor keinem Gericht Bestand hätte.

Anders als Sarkozy es wahrhaben will, wurden von der jetzigen Regierung durchaus Kultstätten geschlossen und 80 radikale ausländische Imame des Landes verwiesen. Auch mit den Zahlen über die Stärke der Sicherheitskräfte nimmt es der Ex-Präsident nicht so genau. Während unter seiner Präsidentschaft bei Polizei und Gendarmerie Posten eingespart wurden, kamen unter seinem Nachfolger neue hinzu.

Um der Demagogie von rechts den Boden zu entziehen, entschlossen sich Premierminister Valls und Innenminister Bernard Cazeneuve zu einem ungewöhnlichen Schritt. Gemeinsam veröffentlichten sie noch am selben Abend ein langes Kommuniqué, in dem sie aufzählten, was seit 2012 unter Präsident Hollande im Kampf gegen den Terror unternommen wurde. Es liest sich Punkt für Punkt wie eine Widerlegung der Kritik, die auch von Politikern wie dem früheren Außenministet Alain Juppé, der ebenfalls mit der Präsidentschaftskandidatur liebäugelt, gegen die Regierung geäußert wird. Sie habe einfach nicht alles getan, was möglich und nötig gewesen wäre, urteilt Juppé. Dieser Meinung ist auch eine große Mehrheit der Franzosen. In einer von der Zeitung „Le Figaro“ veröffentlichten Erhebung, äußerten 67 Prozent der Befragten, sie hätten zu dieser Regierung im Kampf gegen den Terror kein Vertrauen mehr.

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