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Foto: Oliver Berg/dpa

© dpa

Politik: Nach dem Rausch DIE PIRATEN

Die Piratenpartei zieht erwartungsgemäß ins vierte Landesparlament ein. Ihren Exotenstatus hat sie damit verloren – und muss jetzt Politik machen.

In Düsseldorf war es schon keine Überraschung mehr. Erwartungsgemäß haben die Piraten am Sonntag auch in Nordrhein-Westfalen den Einzug ins Landesparlament geschafft. Leichtfüßig, wie zuletzt in Schleswig-Holstein. Damit sind die Newcomer mittlerweile in vier Landesparlamenten vertreten: in Berlin, im Saarland, in Schleswig-Holstein und jetzt in Nordrhein-Westfalen. Die Piraten sind somit tief im Osten und tief im Westen vertreten. Der Wahlerfolg in NRW zeigt auch einmal mehr, dass die Piraten keine Jugendbewegung sind. Piraten wählen ist keine Altersfrage. Dafür steht schon allein der nordrhein-westfälische Spitzenkandidat Joachim Paul. 54 Jahre ist er alt, und im Rennen um die Spitzenkandidatur hat er sich gegen den 33-jährigen Vorsitzenden der NRW-Piraten, Michele Marsching, durchgesetzt.

Paul ist eigentlich Biophysiker, arbeitet derzeit aber als Medienpädagoge. Dass er nun in aller Munde ist, hat er seinem Sohn zu verdanken. Der hatte ihn 2009 zum Stammtisch der Piraten in Neuss, der Heimat Pauls, mitgenommen. Entweder war dort das Bier besonders gut oder die Stimmung, vielleicht sogar beides. Auf jeden Fall ist Paul dabeigeblieben und erstmals in seinem Leben Parteimitglied geworden. Zuvor hatte er immer mal wieder mit den Grünen geliebäugelt. „Es gab früher in meiner Lebensgeschichte, in meiner Studienzeit, den einen oder anderen Flirt mit den bunten Sponti-Bewegungen und dann nachher mit den Grünen“, sagte Paul vor einigen Tagen in einem Radiointerview. Aber um wirklich den Grünen beizutreten, habe immer etwas gefehlt. Bei den Piraten ist der Funke dann übergesprungen. Der Mann mit dem Zottelbart ist, das gehört nun mal zum genetischen Code vieler Piraten, im Netz aktiv. Nur tritt er dort nicht unmittelbar als Joachim Paul auf, sondern als „Nick Haflinger“. Das ist der Name eines hochbegabten Computerhackers im Science-FictionRoman „Der Schockwellenreiter“ von John Brunner.

Piratenchef Bernd Schlömer kann sich am Aufstieg seiner Partei noch immer regelrecht berauschen. „Das ist der Lohn für tollen Einsatz und viel Engagement. Die Piratenpartei ist nun endgültig im Parteiensystem angekommen“, kommentiert er den Sieg in NRW. Nur, so rosarot wird auch die Piratenwelt nicht bleiben. Denn für die Orangenen war die Wahl in Schleswig-Holstein die letzte ihrer Art. Schon in Düsseldorf wäre ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde eine Sensation gewesen. Die nächste Bewährungsprobe wird im Januar mit der Landtagswahl in Niedersachsen kommen. Der eigentliche Härtetest ist dann die Bundestagswahl im September 2013. Bis dahin werden alle – Bürger, die politische Konkurrenz und auch die Medien – sehr genau verfolgen, was die Piraten in den Parlamenten, den eigenen Gremien und im Netz machen. Der weitere Findungsprozess wird so ablaufen, wie es sich die Piraten eigentlich nur wünschen können – in aller Öffentlichkeit. Die Folge ist aber, dass sie ihren Nimbus verlieren könnten: ihr Etikett der Andersartigkeit. Plötzlich kommen Grabenkämpfe, Machtspiele und Debatten auf die Partei zu. Das mag es alles schon immer bei den Piraten gegeben haben, aber nicht unter dem Brennglas der Medienöffentlichkeit und nicht vor dem Hintergrund einer veränderten, nämlich gestiegenen Erwartungshaltung.

Auch strukturell könnte sich für die Piraten nach diesem Wahlsieg nun einiges verändern. Denn bisher ist der Berliner Landesverband besonders einflussreich, weil hier der Durchbruch gelungen ist und auch, weil hier die profiliertesten Piratenköpfe ihre tatsächliche, mindestens aber ihre politische Heimat haben. Doch in dem Landesverband tobt ein Machtkampf. Landeschef Hartmut Semken steht schwer unter Druck und könnte noch im Sommer abgewählt werden. Mit dem Erfolg in NRW könnte die dortige Landesgruppe zur wichtigen, vielleicht zur wichtigsten Größe heranwachsen. Dass der nächste Bundesparteitag in Bochum stattfindet, ist ein erstes kleines Zeichen dafür.

Viel von dieser neuen Erwartungshaltung wird natürlich von außen auf die Partei projiziert, weshalb Piratenchef Bernd Schlömer sich auch bemüht, die Partei etwas abzuschotten. „Wir werden uns nicht unter Druck setzen lassen – auch nicht, was unsere programmatische Entwicklung betrifft“, sagt er. Man wolle in Ruhe an der eigenen Entwicklung arbeiten. Wahlniederlagen sind da einkalkuliert. „Die Weiterentwicklung der Piratenpartei misst sich nicht an Einzügen in Parlamente. Verpassen wir mal einen Sprung in ein Parlament, dann ist das kein schwerer Schicksalsschlag für uns“, erklärt Schlömer. „Die Zeit, in der man uns ignorieren oder sich nur pauschal mit uns auseinandersetzen konnte, ist mit dem Einzug in den nordrhein-westfälischen Landtag endgültig vorbei“, sagt er.

Mit steigendem Wahlerfolg steigt natürlich die Verantwortung. Schon jetzt fällt ihnen im Prinzip die Rolle der Mehrheitsbeschaffer zu. In Schleswig-Holstein gehen sie sehr selbstbewusst damit um. Sie sind zur Tolerierung des nur auf einer Stimme Mehrheit beruhenden möglichen Bündnisses aus SPD, Grünen und Süd-Schleswigschen-Wählerverband bereit – aber sie stellen Bedingungen. In NRW müssen sie sich über mögliche Bündnisse noch keine Gedanken machen. Paul kündigte an, dass man sich auf die Parlaments- und Oppositionsarbeit konzentrieren wolle. Denn die Piraten müssen nach NRW in die nächste Phase gehen: Verstetigung. Oder anders ausgedrückt: Sie müssen die Mühen der Ebene erkunden.

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