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Der Plenarsaal des Europaparlaments in Straßburg – das Gesetzespaket zum künftigen europäischen Asylrecht muss auch hier eine Mehrheit finden.

© Imago/Dwi Anoraganingrum

Nach der Einigung ist vor der Einigung: Nun redet beim Asyl das EU-Parlament mit

Deutschland hat einem hochumstrittenen EU-Asylkompromiss zugestimmt. Die Kritiker hoffen jetzt, dass das Europaparlament noch Verbesserungen erreicht.

Bevor Deutschland „Ja“ sagte, hat Nancy Faeser viel telefoniert. Die Innenministerin von der SPD, die am Donnerstag im Namen der Bundesregierung die Verhandlungen in Luxemburg führte, versicherte sich immer wieder der Unterstützung von Kanzleramt und Auswärtigem Amt. Es ging schließlich um viel – die Überwindung der jahrelangen Blockade beim EU-Asylrecht, aber auch um die Statik innerhalb der Ampelkoalition. Besonders viele Grüne erachten die dafür notwendigen Kompromisse als zu weitgehend.

Sich um des Koalitionsfriedens willen zu enthalten oder wie Ungarn mit „Nein“ zu stimmen, kam für die Verantwortlichen nicht infrage. Ohne die deutsche Stimme – so wird es am Tag danach in Berlin kolportiert – wäre die erforderliche Mehrheit nicht zustande gekommen. Die Alternative zu dem schwierigen Kompromiss wäre aus Sicht von Faesers Ministerium über kurz oder lang der Zusammenbruch des freien Schengener Reiseverkehrs gewesen, weil ohne Aussicht auf ein gemeinsames EU-Grenzregime immer mehr Grenzkontrollen eingeführt worden wären.

Die Regierung versucht am Tag danach, die Kritik zu entkräften. Ihrer Interpretation zufolge werden nur wenige Schutzsuchende das umstrittene Asylverfahren an den EU-Außengrenzen durchlaufen, weil es nur vorgesehen ist für Menschen aus Ländern mit einer Schutzquote von unter 20 Prozent.

Grenzverfahren auch in Deutschland

Mindestens 30.000 Plätze soll es europaweit für diese Grenzverfahren geben – davon beispielsweise knapp 8500 in Ungarn, gut 6100 in Italien oder 1600 in Griechenland, aber auch etwas mehr als 400 an deutschen Häfen und Flughäfen. Die Gefahr, dass diese Unterkünfte zahlenmäßig an ihre Grenze gelangen, weil Verfahren länger als die avisierten zwölf Wochen dauern oder Rückführungen auch von dort nicht so schnell möglich sind, kann aber auch das Bundesinnenministerium nicht ganz von der Hand weisen.

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Plätze für das Grenzverfahren soll Ungarn, das gegen den Asylkompromiss gestimmt hat, stellen.

So setzt nun auch Faesers Haus darauf, dass der Kompromiss vom Donnerstagabend in Luxemburg nicht das letzte Wort war. In einer Protokollnotiz verwies Deutschland daher zusammen mit Irland, Luxemburg und Portugal auf den sogenannten Trilog. Das ist der letzte Schritt im europäischen Gesetzgebungsprozess, wenn der Rat der Mitgliedstaaten und das Europaparlament im Beisein der EU-Kommission ihre jeweiligen Positionen zusammenzubringen versuchen.

Erreichen will das Innenministerium mit den Abgeordneten, was mit den anderen Staaten „nicht durchsetzbar“ war, nämlich „Familien mit Kindern ebenfalls pauschal aus den Grenzverfahren auszunehmen“, wie es in einer diplomatischen Korrespondenz aus der deutschen EU-Vertretung in Brüssel heißt.

Beistand aus Brüssel

So schlecht stehen die Chancen dafür nicht. Zumindest äußert sich Faesers SPD-Parteifreundin Birgit Sippel, die als parlamentarische Berichterstatterin für eines der sechs Einzelgesetze des Asylpakets zuständig ist, sehr ähnlich. „Als Europaabgeordnete wollen wir in den nun anstehenden Verhandlungen noch erreichen, dass Familien mit Kindern nicht inhaftiert werden und Schutzsuchende gerecht verteilt werden in Europa – wenn sich alle aus dieser Verpflichtung freikaufen können, wäre das alles andere als ein Fortschritt“, sagte sie dem „Tagesspiegel“.

Sippel reicht auch nicht, dass das Bundesinnenministerium es bereits als Erfolg feiert, dass bei Abschiebungen in einen sicheren Drittstaat zumindest eine „Verbindung“ zwischen dem abgelehnten Asylbewerber und dem jeweiligen Land bestehen muss. Es müsse, so die Sozialdemokratin, „eindeutig sichergestellt werden, dass abgelehnte Asylbewerber vorzugsweise in ihr Heimatland kommen und nicht einfach in ein Land, durch das sie Richtung Europa gereist sind“.

Der schwedische Christdemokrat Tomas Tobé, Verhandlungsführer des Europaparlaments bei der so wichtigen Verordnung zum Asyl- und Migrationsmanagement, kündigte am Freitag erste Gespräche schon für nächste Woche an. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte er dem Tagesspiegel: „Ich hoffe auf konstruktive Verhandlungen.“

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