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Nach der Kommunalwahl in NRW: Union fordert von Merz nun endlich Reformen
Mit guter Regierungsarbeit will Schwarz-Rot die AfD zurückdrängen. Bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen hat das nicht geklappt. Umso mehr fordert man in der Union nun Reformen.
Stand:
Als Lackmustest für die Bundesregierung hatte die Union die Kommunalwahl im Nordrhein-Westfalen in diesem Frühjahr bezeichnet. Bei der Abstimmung in dem mit Abstand bevölkerungsreichsten Bundesland wollten die Konservativen beweisen, dass die schwarz-rote Koalition mit effizientem Regieren die Erfolgswelle der in weiten Teilen rechtsextremen AfD brechen kann.
Das ist an diesem Sonntag nicht gelungen. Nach einer Hochrechnung von Infratest dimap um 21.12 Uhr erhielt die AfD landesweit 15 Prozent der Stimmen. Vor fünf Jahren waren es nur 5,1 Prozent. Die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen zeigt damit einmal mehr, dass sich die AfD auch in Westdeutschland etabliert.
Im Vergleich zur Bundestagswahl konnte die schwarz-rote Koalition nur leicht hinzugewinnen. Die CDU erhielt laut der Hochrechnung 33,7 Prozent der abgegebenen Stimmen, bei der Bundestagswahl waren es 30,1 Prozent. Die SPD erzielte in ihrem einstigen Stammland mit 22,1 Prozent erneut ein katastrophales Ergebnis und konnte sich gegenüber der Bundestagswahl (20 Prozent) nur leicht verbessern. Die AfD verlor im Vergleich zum Februar leicht.
Das Land braucht klare Signale beim sogenannten Bürgergeld.
Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) von CDU/CSU
Damit wird die AfD nun erstmals auch in den meisten Stadt- und Kreistagen in NRW zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft. Der Generalsekretär der NRW-CDU, Paul Ziemiak, machte dafür in einer ersten Reaktion im WDR vor allem die Sozialdemokraten verantwortlich, die in ihren Hochburgen – etwa im Ruhrgebiet – Wähler an die AfD verloren hätten. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hingegen zeigte sich besorgt. „Dieses Ergebnis muss uns zu denken geben, kann uns auch nicht ruhig schlafen lassen. Selbst meine Partei nicht, die diese Wahl so klar gewonnen hat“, sagte Wüst im ARD-„Bericht aus Berlin“.
Union drängt auf Bürgergeld-Reform
In der Union wächst vor seiner Regierungserklärung am Mittwoch dann auch der Druck auf Kanzler Friedrich Merz (CDU), mit beherzten Reformen rasch Vertrauen bei den Wählern zurückzugewinnen.
„Das Land braucht klare Signale beim sogenannten Bürgergeld“, sagt Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) von CDU/CSU, dem Tagesspiegel mit Blick auf ein zentrales Wahlversprechen der Union. Die CDU-Politikerin verweist auf 1,4 Millionen offene Stellen.
Darunter leide vor allem der Mittelstand gleich doppelt. Die Betriebe und ihre Mitarbeiter müssten Produktionsrückgänge und Mehrarbeit schultern. Zugleich koste das Bürgergeld den Steuerzahler inzwischen fast 50 Milliarden Euro pro Jahr. „Der Mittelstand hat deshalb immer mehr den Eindruck, dass Leistung sich nicht mehr lohnt.“
„Beim Herbst der Reformen geht es um weit mehr als die Sozialstaatsreform“, sagt Tilman Kuban, europapolitischer Sprecher der Union im Bundestag, dem Tagesspiegel. „Wir brauchen endlich Bürokratierückbau, mehr Pragmatismus in der Energiepolitik und nach der erfolgreichen Sicherung der deutschen Grenzen den effizienten Schutz der europäischen Außengrenzen.“
Der Fraktionsvize der Union im Bundestag, Mathias Middelberg, fordert ebenfalls mehr Tempo von der Regierung. „Die Investitionen aus dem Sondervermögen müssen jetzt anlaufen“, sagt der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. Auch bei den versprochenen Reformen will er schnell erste Schritte sehen. „Aktiv- und Frühstart-Rente, erste Maßnahmen zum Bürokratieabbau und die ersten Umbauten beim Bürgergeld müssen kommen.“
Merz hat einen Herbst der Reformen angekündigt, der Mittwoch wird zeigen, wie er sein Versprechen einlösen will. Sein Problem: der Koalitionspartner. Das schlechte Abschneiden in NRW stärkt bei den Sozialdemokraten nicht den Reformeifer. Dass man mit Einschnitten beim Sozialstaat die Wähler zurückgewinnt, glaubt in der SPD kaum jemand. Stattdessen wollen viele Funktionäre wieder mehr klassische sozialdemokratische Positionen vertreten.
Achim Post, Vorsitzender der NRW-SPD, betonte in einem ersten Statement zunächst, dass die SPD spürbar besser als bei den Bundestagswahlen abgeschnitten hätte. Die Rechtsextremen gingen aus dieser Wahl jedoch gestärkt hervor. „Die Menschen erwarten gerade jetzt von der Politik, dass sie sich mit den großen Problemen beschäftigt und nicht mit sich selbst“, betonte Post. Er kritisierte den Debattenstil der vergangenen Monate, bei der Richterinnenwahl, aber auch in der Diskussion zur Reform des Sozialstaats und der Rente. „Ein ‚Weiter so‘ darf es jetzt nicht geben und wird es mit der NRW-SPD auch nicht“, so Post.
Kaum Reformeifer bei der SPD
Das Potenzial zum größten Zankapfel in der Koalition hat das Bürgergeld. Die Beamten von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) arbeiten derzeit an einem Reformentwurf. Bei der SPD sieht man darin allerdings eher kleinere Korrekturen. Die von Kanzler Merz postulierte Hoffnung, dadurch fünf Milliarden Euro pro Jahr einzusparen, halten viele Sozialdemokraten für unrealistisch.
Unterschiedliche Erwartungen gibt es auch an die von Bas eingesetzte Kommission für eine Reform des Sozialstaats. Sie soll Wege aufzeigen, wie Hunderte verschiedene Sozialleistungen zusammengefasst werden können. In der Union sieht man ein großes Einsparpotenzial. Bei der SPD erwartet man eher, dass künftig mehr Menschen ihnen zustehende Leistungen auch in Anspruch nehmen.
Arbeitsministerin Bas hält Merz‘ Credo, dass man sich den Sozialstaat in seiner gegenwärtigen Form nicht mehr leisten könne, dann auch für „Bullshit“. Angesichts dieser unterschiedlichen Problemanalyse könnte es statt vieler Reformen schnell einen heißen Herbst für die Koalition geben. (Mitarbeit: Karin Christmann, Christopher Ziedler)
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