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Nach der Wahl: Britische Parteichefs auf Regierungssuche

Tories und Labour werben um Liberaldemokraten: In London wird über eine neue Regierung verhandelt – viel Zeit werden die Finanzmärkte den Akteuren nicht lassen.

Gemeinsam legten die drei Parteichefs Gordon Brown, David Cameron und Nick Clegg Kränze zum 65. Jahrestag der deutschen Kapitulation nieder, während in Hinterzimmern im Regierungsviertel hektisch über eine neue Regierung verhandelt wurde. Ans Kapitulieren dachte keiner von ihnen. Alle, auch Wahlverlierer Brown, wollen mitmischen.

Die Uhr läuft, am Montagmorgen öffnen die Finanzmärkte. „Der Himmel weiß, was dann mit dem Pfund passiert“, warnte Verfassungsexperte Professor Peter Hennessy von der Universität London. Er glaubt, dass die Verhandlungen von diesem Druck bestimmt werden und bis dahin die „Umrisse eines Finanzpaktes“ stehen werden. Tory-Chef David Cameron und der Vorsitzende der Liberaldemokraten Nick Clegg preschten mit dem Versuch, eine Regierung zu bilden, voran, dürften aber Schwierigkeiten haben, ihre Parteibasis auf diesem Weg mitzunehmen.

Labours Kulturminister Ben Bradshaw zog am Samstag durch die Fernsehstudios und betonte, das Land wolle eine „progressive Koalition aus Labour und Liberaldemokraten“. Er habe mit vielen Liberaldemokraten gesprochen. „Ich bin sicher, dass sie nichts in Betracht ziehen, das nicht die Reform des Wahlrechts beinhaltet“. Clegg steht unter Druck, seine Rolle als Königsmacher zu nutzen. Brown hat eine Wahlrechtsreform bereits angeboten. Aber er selbst ist das größte Hindernis für die gewünschte Koalition.

In der Tory-Presse wird Brown nun schon als „Hausbesetzer in der Downing Street“ beschrieben und aufgefordert, den Zeitpunkt für eine würdigen Rückzug nicht zu verpassen. Beobachter halten es für ausgeschlossen, dass Clegg gegen den erklärten Wählerwillen Brown im Amt halten könnte. Berichte über ein erhitztes Telefongespräch zwischen Brown und Clegg wurden dementiert. Aber Clegg hat mehrfach Zweifel an Browns Fähigkeit zu vertrauensvoller Kooperation geäußert.

Cameron machte den Liberaldemokraten in einer überraschend offensiven Stellungnahme ein „großes, offenes und umfassendes“ Angebot der Zusammenarbeit, sprach beim Wahlrecht aber nur von einer Allparteienkommission. Noch am Freitagabend begannen Sondierungsgespräche zwischen Verhandlungsteams beider Seiten. Am Samstag konsultierte Clegg die neue Parlamentsfraktion, am Abend war ein Treffen mit der Parteiexekutive vorgesehen. Anders als Cameron hat Clegg kaum Entscheidungsbefugnisse. Der Exekutivausschuss mit 35 teils direkt gewählten Mitgliedern könnte ihn schnell zurückpfeifen. Vor dem Gebäude der Partei in London demonstrierten tausend Anhänger für eine Wahlrechtsreform.

Auch bei den Konservativen brodelt es. 86 Prozent der Tory-Anhänger wollen, dass Cameron eine Minderheitsregierung führt. Viele werfen ihm vor, die Kernbotschaft der Partei verraten zu haben. Verteidigungssprecher Liam Fox schloss Zugeständnisse bei einer Wahlrechtsreform aus: „Kein Wähler hat mir gesagt, dass das eine Priorität sei.“ Andere glauben, dass die von Labour hinterlassene Haushaltskrise solche Bedenken entkräften wird. „Die Chancen stehen gut für eine schnelle Koalition, deren Grundlage die Rettung der Wirtschaft ist“, glaubt der frühere Tory-Politiker Michael Portillo. „In ganz Europa lassen sich Regierungen ihre Politik nun von den Investoren diktieren.“

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