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Quellen: Institut for Economics and Peace, Global Peace Index 2010.

© Tsp/Kroupa

Nach innen und außen: Was ist Frieden?

Der Frieden hat es nicht leicht, denn immer wieder wird er gebrochen. Doch die Hoffnung ist da: Wenigstens Weihnachten soll er herrschen.

Alle Jahre wieder ist es so weit. Wenn es Christen und andere Sinnsuchende in die Weihnachtsgottesdienste zieht, hören sie das Lukasevangelium, Kapitel 2, Vers 14: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Und dann ist sie wieder da, die Hoffnung, dass Friede auf Erden vielleicht doch mehr ist als ein frommer Wunsch. Dass die Bibel recht hat mit der Vorhersage: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ (Micha 4,1–4)

Wie wird Frieden definiert?

Einfach gesagt ist Frieden Harmonie, die erreicht wird durch die Abwesenheit von Konflikten. Das gilt für den inneren Frieden, den man mit sich selbst macht oder der in einem Land herrschen kann, und für den äußeren, in dem Völker und Staaten miteinander leben – oder eben nicht. Diese Definition reicht aber nicht mehr aus. Der norwegische Mathematiker und Politologe Johan Galtung, der die Friedens- und Konfliktforschung mitbegründet hat, nennt die reine Abwesenheit von Gewalt einen negativen Frieden. Dagegen besteht ein positiver Friede außerdem in der Abwesenheit von struktureller Gewalt. Das sei alles, was Individuen daran hindert, sich voll zu entfalten: Diskriminierung genauso wie die ungleiche Verteilung von Einkommen, Bildungschancen und Lebenserwartungen.

„Frieden bedeutet menschliche Sicherheit: ein menschenwürdiges Leben für alle, ohne Hunger und Not und mit Toleranz gegenüber dem anderen“, sagt Peter Croll, Direktor des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), eines der großen deutschen Friedensforschungsinstitute. Frieden sei ein Prozess, der im Kopf beginne und immer wieder neu gestartet werden müsse.

Auch für den Friedensnobelpreisträger von 2009, Barack Obama, ist Frieden mehr. „Wenn die Menschenrechte nicht geschützt sind, ist Frieden ein leeres Versprechen“, sagte der US-Präsident bei der Preisverleihung. Ein gerechter Frieden beinhalte bürgerliche und politische Rechte sowie wirtschaftliche Sicherheit und Chancen.

Wie lässt sich Frieden messen?

Kurios ist, dass, um Frieden zu messen, meist das Gegenteil betrachtet wird: das Ausmaß der Gewalt, die Rüstungsausgaben, die Zahl der Waffen und Konflikte. Dabei wird die Friedensforschung zunehmend populär: Weltweit werden immer mehr Universitätsinstitute und Ideenschmieden gegründet, die sich mit Frieden und Konfliktlösungsmechanismen beschäftigen. Immerhin gibt es seit vier Jahren einen weitgehend anerkannten Index, der versucht, den Frieden zu messen. Um die Länder zu vergleichen, hat das Institut for Economics and Peace, ein weltweit agierender Thinktank, vor vier Jahren den Global Peace Index (GPI) erstellt. Dieser misst anhand von 23 Indikatoren, wie friedfertig Staaten sind, beispielsweise anhand der Militärausgaben, der Beziehungen zu den Nachbarn oder der Schwere der Gewalttaten im Land.

Wo gibt es Frieden?

Vor allem in Westeuropa. Von den 149 Ländern, die der GPI untersucht hat, sind die meisten westeuropäischen unter den 20 friedfertigsten. Alle fünf skandinavischen Länder rangieren unter den Top Ten. Spitzenreiter ist zum zweiten Mal in Folge Neuseeland. Die Begründung: Das Land habe freundschaftliche Beziehungen zu seinen Nachbarn, die Gefahr gewalttätiger Demonstrationen sei äußerst gering, die Mordrate rekordverdächtig niedrig und der Respekt vor Menschenrechten sehr hoch. An zweiter und dritter Stelle folgen Island und Japan. Am wenigsten friedfertig sind der Irak, Somalia und Afghanistan. Neutrale Staaten gelten generell als eher friedlich, allerdings garantiert Neutralität keinen Spitzenplatz. So herrscht in der Schweiz seit 1848 Frieden, das Land beteiligt sich nicht an Konflikten zwischen anderen Staaten – und kommt dennoch nur auf den 18. Platz des Index. Ein Grund dafür dürfte sein, wie die Alpenrepublik beim Kriterium „Ausmaß der Militarisierung” abschneidet: Viele Schweizer haben Waffen zu Hause und die Armee ist gut ausgerüstet.

Wie friedlich ist Deutschland?

Deutschland liegt beim GPI auf dem 16. Platz wie schon 2009. Und das trotz der Beteiligung am Afghanistankrieg, bei der auch in diesem Jahr mehrere Bundeswehrsoldaten starben. Für die Friedfertigkeit der Bundesrepublik spricht, dass die Beziehungen zu den Nachbarn gut sind und das politische System stabil. Allerdings ist die Gefahr von Terroranschlägen gestiegen: Mehrere Außenministerien warnen vor Reisen nach Deutschland oder rufen wie die USA ihre Staatsbürger zu erhöhter Wachsamkeit auf. 2010 war zudem ein Jahr vieler Großdemonstrationen – gegen die Sparpolitik oder Stuttgart 21, bei denen es auch zu Ausschreitungen kam. Hauptgrund dafür, dass es Deutschland noch nie unter die Top Ten schaffte, sind die Militärausgaben und der Rüstungsexport: Die Bundesrepublik liegt hier an dritter Stelle.

Gibt es Frieden nur in Demokratien?

An dem Satz, dass sich Demokratien selten bis gar nicht angreifen, wird kaum jemand etwas Falsches finden. Aber auch in gefestigten Demokratien kann der innere Frieden bedroht sein. Die Angst, dass sich im hoch verschuldeten Griechenland soziale Spannungen und Wut in gewalttätigen Ausschreitungen entladen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, war 2010 groß. Und obwohl Demokratien miteinander friedlich umgehen, greifen sie gegenüber anderen Regimen durchaus auf gewaltsame Mittel zurück und sind in Konflikte verwickelt – siehe die Kriege in Afghanistan und dem Irak. BICC-Chef Croll warnt vor der Idee, dass man das westliche Demokratiemodell nur mit allen Mitteln exportieren müsse, um eine friedlichere Welt zu bekommen. „Frieden lässt sich nicht verordnen“, sagt er. Und kritisiert die Annahme, dass Frieden durch Gewalt oder deren Androhung gesichert werden kann und es manchmal notwendig ist, mit militärischen Mitteln gewaltsame Konflikte zu beenden. Obama hat sich dagegen in seiner Preisrede klar positioniert: „Wir müssen anfangen, die harte Wahrheit anzuerkennen, dass wir gewaltsame Konflikte zu unseren Lebzeiten nicht ausrotten werden. Es wird Zeiten geben, zu denen Nationen – allein oder gemeinsam handelnd – die Anwendung von Gewalt nicht nur für notwendig, sondern auch für moralisch gerechtfertigt halten werden.“

Wird die Welt friedlicher?

In den letzten Jahren nicht unbedingt. Dem GPI zufolge ist die weltweite Gewalt gestiegen. Verantwortlich dafür sind soziale Spannungen aufgrund der Wirtschaftskrise. Immerhin: Der Anteil der Militärausgaben am weltweiten Bruttoinlandsprodukt ist gesunken. „Man kann wohl sagen, dass die Welt insgesamt friedlicher geworden ist, das Streben nach Frieden ist gewachsen. Weniger Konflikte werden gewaltsam ausgetragen. Aber es gibt immer wieder Rückschläge, und das zeigt, wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen“, sagt Croll.

Auch wenn die Hoffnung dieser Tage wieder genährt wird: Friede auf Erden für alle ist ein Idealzustand, der wohl nie erreicht wird. Selbst Albert Einstein, der sich selbst für den Frieden engagierte, kam zu der Einsicht: „Solange es die Menschen gibt, wird es Kriege geben.“

Dass die Menschheit dennoch lernfähig ist, zeigen Abrüstungsverhandlungen wie aktuell über das Start-Abkommen. Auch wenn die Kriege im Irak und Afghanistan noch toben, der Frieden im Nahen Osten und anderen Krisenregionen weiter unerreichbar scheint: Mit den modernen Massenvernichtungswaffen hat der Krieg an Legitimation verloren.

Was gefährdet Frieden?

Grundsätzlich die Neigung der Menschen zu Hass, Eifersucht und Neid. „Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt“, lässt Friedrich von Schiller seinen Wilhelm Tell sagen. Friedensgefährdend war immer die Tatsache, dass die Ressourcen weltweit ungerecht verteilt und begrenzt sind. Kriege wurden in der Geschichte um Land, Macht und immer wieder auch den Glauben geführt. „Moderne“ Konfliktauslöser wie Migration, Weltwirtschaftskrisen oder die Auswirkungen des Klimawandels haben meist ähnliche Ursachen. Land, Wasser und Rohstoffe werden knapp, die Menschheit wächst, Kulturen prallen aufeinander. Solche Konflikte können sich schnell auf das friedliche Wohlstandseuropa auswirken, durch ein dramatisches Anwachsen von Flüchtlingsströmen etwa. Auch egoistisches Regieren, Vetternwirtschaft und Korruption gefährden den inneren Frieden eines Staates. Wo Ressourcen gerecht verteilt werden, sind die Chancen auf Frieden groß. Das zeigt das Beispiel Norwegen, von dessen reichhaltigen Ölvorkommen alle profitieren. Norwegen war 2007 das friedlichste Land der Erde. Dagegen steht Sierra Leone, wo der Großteil der Bevölkerung vom Ressourcenreichtum des Landes – unter anderem Diamanten, Gold und Bauxit – nichts hat. Sierra Leone zählt nach elf Jahren Bürgerkrieg zu den ärmsten Ländern der Welt.

Was braucht man für Frieden?

Für Immanuel Kant war Frieden kein natürlicher Zustand. Er müsse erst gestiftet werden. Der Mensch sei von Natur aus vorbestimmt, in Konflikte zu geraten und Kriege zu führen. Doch aus jedem Konflikt entstehe eine größere Eintracht, die nach unbestimmter Zeit zwangsläufig im „ewigen Frieden“ ihren Endzustand erreiche. In der Schrift „Zum ewigen Frieden“ beschreibt Kant auch den Unterschied zwischen echtem und unechtem Frieden. Demnach führt ein Waffenstillstand nur zu einem unechten Frieden. Stattdessen müsse ein echter Friedensbund ausgehandelt werden, an den sich die Kriegsparteien halten und der die Konflikte löst.

Konsens ist, dass Gesellschaften angesichts globaler Probleme wie der Klimaerwärmung, des Verlusts der biologischen Vielfalt, des Zugangs zu Trinkwasser oder der Bekämpfung der Armut gemeinsam nach Lösungen suchen müssen. Martin Luther King formulierte es bereits 1965: „Wir werden keinen Frieden auf Erden haben, ehe wir nicht die gegenseitige Abhängigkeit alles Seins begreifen.“

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