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Politik: Nachhaltiges Wachstum

Erst hat Kretschmanns Partei die Christdemokraten in der Regierung abgelöst – nun punktet sie in Sachen Wirtschaftskompetenz.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält ein Flugmodell in seinen Händen. Es sieht aus wie eine zu groß geratene Silbermöwe. „Sie können den Vogel jetzt fliegen lassen“, sagt der Vorstandschef der Festo AG, Eberhard Veit. Der Grüne wirft den Hochtechnologieträger mit Schnabel in die Höhe. Er fliegt flügelschlagend durch die Herbstluft. Und landet wieder am Ausgangspunkt. Kretschmann staunt: „Unglaublich.“

Der Flug ist Demonstration grüner Technologie. Das Objekt, der Silbermöwe nachempfunden, soll Ideen für ressourcensparende Konstruktionen liefern. Es ist ein Firmenbesuch ganz nach Kretschmanns Geschmack.

Die Grünen und die Wirtschaft. Es ist noch nicht lange her, da passte das gar nicht. Unternehmergrößen hatten im Landtagswahlkampf 2011 für die CDU geworben. Und danach weiter für den Bau von Stuttgart 21. Für viele Mittelständler war das Milliardenprojekt ein Synonym für die Zukunftsfähigkeit des Landes. Und die Grünen die Dagegen-Partei. In dieser Zeit traf Kretschmann einmal auf Berthold Leibinger, den Aufsichtsratschef von Trumpf. Wie es so gehe, wollte der Regierungschef von dem Mann wissen, den er respektvoll den „Nestor des schwäbischen Mittelstands“ nennt. „Persönlich gut, wirtschaftlich gut, politisch schlecht“, lautete die Antwort.

Und jetzt gibt es diese Umfrage, die auch noch die CDU in Auftrag gegeben hat. Danach misst die Wählerschaft den Grünen mehr Wirtschaftskompetenz zu als den Schwarzen. „Die CDU hatte die Bodenhaftung verloren. Die Grünen haben erst mal einen Vorschuss“, sagt Ruth Baumann. Sie sitzt im Büro ihrer Straßenbaugesellschaft, die sie in Freiburg mit ihrem Mann leitet. Baumann ist eine Exotin. Frau im Straßenbau. Frau in der CDU. Als die Fraktionen in Stuttgart Anfang des Jahres Wahlleute für die Bundespräsidentenkür suchten, riefen erst die Grünen an, dann die CDU. Sie mussten sich einen Platz teilen. Baumann war die personifizierte Schnittmenge. Eine, deren Firma Straßen wie Radwege baut. „Tendenziell bin ich eine Schwarze. Aber ich habe keine Berührungsängste. Mir geht’s um den Mittelstand.“ Die Handwerkerin hadert mit der Politik. Es werde zu viel verwaltet, zu wenig gestaltet.

Klagen, die man oft hört in ihren Kreisen. Der Frust vieler Kleinunternehmer hat sich im Lauf der Zeit auf die CDU projiziert. Bei der Bundestagswahl 2009 liefen viele zur FDP über, bei der Landtagswahl 2011 auch zu den Grünen. „Viele Parlamentarier treten oft nur staatstragend auf. Dabei wissen wir selbst, wer den Staat trägt“, sagt Baumann. „Die Grünen haben den Leuten zumindest das Gefühl gegeben, zuzuhören und etwas ändern zu wollen.“

Die Ökopartei und die Wirtschaft, das ist auch eine Geschichte der Annäherung. Kretschmann war noch nicht vereidigt, da sorgte sein Halbsatz, weniger Autos seien besser als mehr, für Ärger. Er hat ihn nie zurückgenommen. Er hat ihn aber auch nicht wiederholt. Vielmehr hat er später einen Satz platziert, den die Bosse und die Beschäftigten von Daimler, Bosch und Co lieber gelesen haben dürften als so mancher Grüne: „Wir waren schon immer eine Autofahrerpartei.“

„Ich bin ein Fan des lebenslangen Lernens. Ich glaube, Herr Kretschmann ist es auch“, sagt Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück. Kretschmann ist nach dem Wirbel um seinen Halbsatz nach Zuffenhausen gefahren und hat sich von Porsche-Chef Müller im „Boxster E“ übers Werksgelände fahren lassen. Hück sagt, man komme seither gut mit ihm aus. „Aber es gibt noch Skepsis, weil nicht alle Grünen wirtschaftsfreundlich ticken.“

Im Porsche-Stammwerk sind die meisten Arbeiter bei der IG Metall. Aber was das Wahlverhalten angeht, glaubt Hück, selbst SPD-Mitglied, ticke die Belegschaft wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Es gibt demzufolge auch bei Porsche viele Grünen-Wähler. Dass die Bürger die Wirtschaftskompetenz nun bei der Ökopartei verorten, sieht Hück dennoch skeptisch: „Das Auto Baden-Württemberg war ja schon entwickelt, die Grünen sind da nur zugestiegen. Sie sitzen zwar am Steuer, aber sie lenken ein altes, bewährtes Modell. Erst wenn sie ein neues Design, ein neues Modell auf den Markt bringen, kann man sagen: Das taugt etwas – oder nicht.“

Kretschmann sieht das Umfrageergebnis als Lohn seiner Bemühungen und als Resultat eines Wandels, in dem gutes Wirtschaften nicht mit Wachstum um jeden Preis gleichgesetzt wird. „In den ersten eineinhalb Regierungsjahren lag mein Fokus ganz klar auf Wirtschaftsterminen“, sagt er auf der Rückfahrt vom Festo-Stammsitz Esslingen. „Man kann nicht gegen die Wirtschaft regieren, und das war auch nie unsere Absicht.“ Seine Partei habe ein „natürliches Interesse, wirtschaftsnah zu sein“: Sie braucht die Unternehmen für die Energiewende und für grünes Wirtschaften.

Kretschmann gehörte in den Anfangsjahren der Grünen zum kleinen „ökolibertären Flügel“, der der jungen Partei die Wirtschaft näherbringen wollte. Längst haben auch seine Parteifreunde verstanden, dass es ohne die Chemieindustrie keine Windräder für Ökostrom gäbe. Und die Industrie hat den Reiz der Nachhaltigkeit entdeckt. Eine „grüne Produktlinie“ gehört inzwischen zum Standard. Die Partei der Wirtschaft sind die Grünen deshalb noch lange nicht. „Ich mach mir nicht die Illusion, dass die Wirtschaftschefs scharenweise zu uns überlaufen. Dazu ist die Wirtschaft zu lange zu gut mit der CDU verbandelt. Aber wir haben uns da jetzt viel Respekt erarbeitet“, sagt Kretschmann. Beim letzten Zusammentreffen mit Trumpf-Aufsichtsratschef Leibinger hatte er das Gefühl, dass „das Eis gebrochen ist“.

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