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Politik: Nahost-Konflikt: Wieder in der Nähe

Im Nahen Osten gilt das als Erfolg: Seitdem die Waffen offiziell ruhen, wurden lediglich 14 Menschen umgebracht und Dutzende verwundet. Vor zwei Wochen trat die von CIA-Direktor George J.

Im Nahen Osten gilt das als Erfolg: Seitdem die Waffen offiziell ruhen, wurden lediglich 14 Menschen umgebracht und Dutzende verwundet. Vor zwei Wochen trat die von CIA-Direktor George J. Tenet ausgehandelte Waffenruhe in Kraft. In dieser Zeit, so heißt es, sei die Gewalt um etwa 60 Prozent zurückgegangen. Ohne Waffenruhe wären statistisch also mehr als doppelt so viele Menschen getötet worden. Ist es Zynismus oder ein Zeichen realistischer Bescheidenheit, wenn man ein kleines bisschen Hoffnung schöpft aus der relativen Zurückhaltung, die beide Seiten an den Tag legen?

Am Dienstag kamen US-Präsident George W. Bush und der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon in Washington zusammen. Es war bereits ihr zweites Treffen innerhalb von drei Monaten. Am Donnerstag wird US-Außenminister Colin Powell in die Region fahren. Es ist bereits seine zweite Reise in den Nahen Osten. Überdies hat Amerika inzwischen mit William Burns einen Sonderbeauftragten für die Lösung des Konflikts ernannt, und auch der CIA-Direktor wirbelt diplomatisch munter weiter.

Ganz offensichtlich hat die Bush-Regierung einen Kurswechsel in ihrer Nahost-Politik vollzogen. Angetreten war sie mit der Überzeugung, dass die Vorgänger-Regierung zu viel Zeit und Energie auf den Konflikt verschwendet habe. Unermüdlich hatte sich Bill Clinton für den Friedensprozess eingesetzt, am Ende brach der Bürgerkrieg aus. Eine ähnliche Blamage wollte Bush vermeiden. Israelis und Palästinenser selbst müssen den Frieden wollen, wir können ihnen nicht helfen: Diese Botschaft sandte der neue US-Präsident anfangs aus. Währenddessen eskalierten die Auseinandersetzungen. Am 1. Juni sprengte ein palästinensischer Selbstmordattentäter in Tel Aviv 20 israelische Jugendliche in die Luft. Spätestens seit diesem Tag gilt die amerikanische Abstinenz nicht mehr.

Drei Faktoren haben zu dem Kurswechsel geführt. Erstens wird sich die Bush-Administration ganz allgemein ihrer außenpolitischen Verantwortung stärker bewusst. Sie sieht ein, dass allein das Ziel, alles anders als Clinton machen zu wollen, zu dürftig ist. Die Verhandlungen mit Nordkorea wurden wieder aufgenommen, von einem Rückzug der Truppen aus dem Balkan redet keiner mehr, ein Arbeits-Verhältnis zu Russland wurde aufgebaut. Im Nahen Osten wird das Neu-Engagement besonders deutlich.

Zweitens sieht die neue amerikanische Regierung durch die neunmonatige Gewalt ihre Interessen in der Region zunehmend bedroht. Die Stabilität der moderaten arabischen Staaten wird gefährdet und eine Isolierung des Irak erschwert. Außerdem wird eine Neuformulierung des Verhältnisses zum Iran behindert.

Drittens wurde die Annahme widerlegt, dass diplomatischer Druck nichts nützt. Schon als im April israelische Truppen Teile des Gazastreifens besetzten, zogen sie sich, nachdem Powell protestiert hatte, sofort wieder zurück. Als dann im Mai der Mitchell-Bericht erschien, konnten es sich weder Israelis noch Palästinenser leisten, den amerikanischen Senator zu brüskieren. Deshalb stimmten sie dessen Ergebnissen zu. Als schließlich Anfang Juni das israelische Sicherheitskabinett darüber diskutierte, wie das Selbstmordattentat von Tel Aviv zu sühnen sei, erhielt Scharon Dutzende von Telefonanrufen aus aller Welt. Auch der deutsche Außenminister mahnte erfolgreich einen Racheverzicht an.

Israel ist ein kleines Land, das auf gute internationale Beziehungen angewiesen ist. Palästina ist noch kleiner und schwächer. Ohne die Sympathien der Weltöffentlichkeit kann es seine Ziele nicht erreichen. In dieser doppelten Abhängigkeit liegt Amerikas Chance. Um sie zu nutzen, müsste sich Bush demnächst allerdings auch mit Jassir Arafat treffen. Die Zeit des Zuschauens ist jedenfalls vorbei.

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