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Verbündete und Konkurrenten: Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) rangen bei den Gesprächen um die Nationale Sicherheitsstrategie um Kompetenzen.

© dpa/Photothek/Thomas Koehler

Geschrumpftes Großprojekt: Wie reformfähig ist die deutsche Außenpolitik ohne Sicherheitsrat?

Eine Außenpolitik „aus einem Guss“ hatte sich die Ampel vorgenommen, ein Nationaler Sicherheitsrat war im Gespräch. Experten erklären, warum es anders kam.

Von Hans Monath

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Es sollte ein ganz großer Wurf werden. „Die deutsche Außenpolitik soll aus einem Guss agieren und ressortübergreifend gemeinsame Strategien erarbeiten, um die Kohärenz unseres internationalen Handelns zu erhöhen“, hieß es im Koalitionsvertrag der Ampel von 2021. Der versprach ein völlig neues Instrument, eine „umfassende Nationale Sicherheitsstrategie“. Bislang hatte nur das Verteidigungsministerium regelmäßig ein „Weißbuch“ vorgelegt.

Am Mittwoch in einer Woche soll das Kabinett nun die Nationale Sicherheitsstrategie beschließen. Ursprünglich sollte sie schon Anfang des Jahres zur Münchner Sicherheitskonferenz vorliegen. Denn angesichts von Russlands Krieg gegen die Ukraine warten Deutschlands Partner auf ein Dokument, das ihnen deutsche Entscheidungen in der Krise erklärt.

Als Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im März 2022 den Prozess zur Erarbeitung der Strategie mit den anderen Ressorts vorstellte, waren die Hoffnungen noch groß. Doch dann begann zwischen den Ministerien, dem Kanzleramt und den Bundesländern ein mühseliges Ringen um Kompetenzen und Zuständigkeiten. Inzwischen steht fest: Eine revolutionäre Neuordnung der Institutionen wird es nicht geben, der vor allem von der FDP befürwortete Nationale Sicherheitsrat ist vom Tisch.

Grundlegende strukturelle und organisatorische Veränderungen sind nicht mehr in Sicht. So scheiterte der Plan, Zuständigkeit der Länder beim Katastrophenschutz an den Bund zu übertragen, an deren Widerstand.

Das Einhalten der ursprünglichen Deadline von Februar hätte einen Reifeprozess der Koalition bewiesen.

Cathryn Clüver Ashbrook, Senior Advisor bei der Bertelsmann-Stiftung

Die Ursache für die Blockade sieht Cathryn Clüver Ashbrook, Senior Advisor bei der Bertelsmann-Stiftung, „in ungeklärten Macht- und Ressorthoheitsfragen“ zwischen Kanzleramt und den Ministerien.

Die frühere Chefin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) nennt noch einen zweiten Grund, nämlich „einen Mangel der strategischen Praxis“ in Deutschland und der historisch gewachsenen Scheu, Visionen für die künftige Positionierung Deutschlands in der Welt zu entwickeln.

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Dabei hätte nach Clüver Ashbrooks Meinung die Ausnahmesituation des Kriegs gegen die Ukraine verlangt, den Egoismus einzelner Ressorts zugunsten einer gemeinsamen höheren Effizienz zurückzustellen: „Das Einhalten der ursprünglichen Deadline von Februar hätte einen Reifeprozess der Koalition bewiesen.“ Es kam dann anders.

Aber wie nun umgehen mit dem Ergebnis? Die Sicherheitsstrategie müsse vom Auswärtigen Amt federführend umgesetzt werde, Ministerin Baerbock müsse „übergreifend durch verschiedene Ressorts und Ministerien Prioritäten setzen können“, fordert die Politikwissenschaftlerin: „Das bedarf struktureller Veränderungen bis hin zu einem nationalen Sicherheitsrat. Dass dieser nun nicht kommen soll, schwächt die Glaubwürdigkeit Deutschlands gegenüber seinen Partnern nur noch weiter.“

Russlands Krieg gegen die Ukraine setzt auch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik unter Handlungsdruck.
Russlands Krieg gegen die Ukraine setzt auch die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik unter Handlungsdruck.

© REUTERS/UKRAINIAN ARMED FORCES

Thorsten Benner, Co-Chef des Thinktanks Global Public Policy Institute (GPPI), ist da anderer Meinung: „Das Scheitern ist wenig überraschend, weil die politische Machtlogik in einer Koalitionsregierung mit Ressortprinzip eine ganz andere ist als etwa im Präsidialsystem der USA.“ So habe etwa ein Auswärtiges Amt unter grüner Führung wenig Interesse daran, dass ein SPD-Kanzleramt noch mächtiger werde mithilfe eines dort gesteuerten Nationalen Sicherheitsrats.

Benner warnt: „Das als ,Ressortegoismus‘ abzuqualifizieren wäre falsch, es geht um grundlegende Machtfragen in einer Koalitionsregierung, die man nur in den Koalitionsverhandlungen selbst im Rahmen eines großen Pakets auflösen kann, aber kaum im laufenden Geschäft einer Koalition.“

Nun müssen die Zeitenwende-Ziele forciert werden

Nun gehe es darum, im Rahmen der bestehenden Mechanismen die Umsetzung der von der Regierung formulierten höchst ambitionierten Ziele der Zeitenwende zu forcieren: Von der militärischen Stärkung Deutschlands und Europas, Unterstützung der Ukraine und Stabilisierung der europäischen Nachbarschaft bis hin zu weniger Abhängigkeit von China und Stärkung der Zusammenarbeit mit Partnern im Indo-Pazifik, Lateinamerika und Afrika.

Als entscheidenden Faktor macht der Thinktank-Chef den „gemeinsamen politische Willen der Koalitionspartner“ aus und sagt voraus: „Die kommenden Haushaltsverhandlungen sind dafür vielleicht der härtere und entscheidendere Test als die Textarbeit an der Sicherheitsstrategie.“

„Der Koalition fiel es offensichtlich schwer, sich auf einige zentrale Themen zu einigen“

Guntram Wolff, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

„Die Nationale Sicherheitsstrategie kommt spät“, urteilt auch Guntram Wolff, Direktor der DGAP: „Der Koalition fiel es offensichtlich schwer, sich auf einige zentrale Themen zu einigen.“ Nach dem Verzicht auf die Einsetzung eines Nationalen Sicherheitsrats erwartet Wolff, dass nun das Papier „klare Schwerpunkte setzt“.

In einem Punkt urteilt der DGAP-Chef hart. Die Bundesregierung müsse sich eingestehen, dass die bisherige deutsche Klimastrategie gescheitert sei: „Mit Plädoyers zu mehr freiwilligen Selbstverpflichtungen werden die weltweiten Emissionen nicht reduziert werden“, sagt Wolff voraus: „Nach 27 Klimakonferenzen bedarf es hier neuer Ideen.“

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