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Außenministerin Annalena Baerbock (l., Bündnis 90/Die Grünen) und Antony J. Blinken, Außenminister der USA, in Karuizawa.

© dpa/Soeren Stache

Außenministerin in China, Südkorea und Japan: Baerbocks asiatisches Experiment

In China, Südkorea und Japan wollte Außenministerin Baerbock beweisen, wie weit ihr Ansatz einer wertegeleiteten Außenpolitik trägt. Beobachtungen von einer Reise.

Von Hans Monath

Die zarten Töne des Kinderorchesters stehen in hartem Kontrast zur Unordnung der Welt. Im Erholungsort Karuizawa haben die japanischen G7-Gastgeber eine musikalische Begrüßung der Außenministerinnen und -minister der wirtschaftsstärksten Demokratien organisiert. Die stehen nun in einer Reihe und hören zu.

Als die Musik endet, nimmt auch Annalena Baerbock einen Blumenstrauß entgegen. Die deutsche Außenministerin geht hinüber zu den jungen Musikern im Alter von vielleicht fünf bis zwölf Jahren und versucht sich in Konversation. Termine mit Kindern liegen der Grünen-Politikerin ohnehin.

In dem Erholungsort eine Zugstunde von Tokio entfernt wollen die G7-Vertreter bis Dienstagmorgen Ortszeit ihr Bündnis gegen das kriegführende Russland stärken und gleichzeitig den vielen anderen Staaten der Welt zeigen, dass sie deren Probleme nicht vergessen.

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Es geht deshalb nicht nur um die Ukraine und das iranische Atomprogramm, sondern auch um den Kampf gegen den Hunger und die Klimakrise.

China und Südkorea als erste Stationen

Für Baerbock ist Japan nach China und Südkorea die dritte Station ihrer Asienreise. Einen Tag zuvor besichtigte sie in Panmunjom am 38. Breitengrad die Grenze zwischen Süd- und Nordkorea, an der sich mehr als eine Million Soldaten gegenüberstehen.

Der Weg zum Hauptquartier der Waffenstillstandskommission ging vorbei an Bunkern, Kontrollstellen mit stacheldrahtbewehrten Maschendrahtzäunen und schwarzen Betonquadern, die im Ernstfall die Straße blockieren sollen.

Auf der anderen Seite wartet der Gegner, ein brutales kommunistisches Regime, das seine Nachbarn und die Welt mit Atomraketen bedroht. Gerade erst hatte Pjöngjang wieder entgegen aller Beschlüsse der Vereinten Nationen eine ballistische Langstreckenrakete gestartet.

Baerbocks Ministerium hatte den Abschuss sofort als Gefahr für den Weltfrieden verurteilt, sie selbst wird das später beim Treffen mit ihrem südkoreanischen Amtskollegen Park Jin in Seoul mit starken Worten bekräftigen und dem Partner Beistand versprechen.

Nun schaut die Grünen-Politikerin, eingerahmt von einer Delegation von Militärs, an drei blauen Baracken vorbei auf die wenige Meter entfernte Grenze zum Reich des Bösen. Die Demokratien können den „Systemwettbewerb mit autokratischen Kräften“ gewinnen, wenn sie zusammenarbeiten, heißt einer ihrer Leitsätze. An diesem Ort eingefrorener Weltgeschichte scheint dieser Ansatz nur begrenzt zu helfen.

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) besichtigt die demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea.
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) besichtigt die demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea.

© dpa/Soeren Stache

Baerbock trägt in dieser martialischen Umgebung einen dunklen Hosenanzug und statt der üblichen hohen Absätze flache feste Schuhe mit schwarzer Profilsohle. Das passt zu einem Ort, an dem der Offizier in Uniform, der sie herumführt, auf viele ihrer Fragen knapp antwortet: „Yes, Mam!“

Die Angriffe auf die Glaubwürdigkeit schmerzen noch

Die 42-Jährige weiß von dem Hohn, mit dem die längst zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht übergossen wurde, als sie beim Besuch deutscher Soldaten in Mali auf hohen Pumps durch die Wüste stakste. Politik kann ein brutales Geschäft sein.

Baerbock selbst hat das erfahren während der Attacken auf ihren Lebenslauf und die Plagiate in ihrem Buch. Sie ist nicht erst seit der Veröffentlichung der Leitlinien für feministische Außenpolitik von der Frauenfrage bewegt, beobachtet sehr genau, wie und wo Männer eigene Regeln durchsetzen und Frauen Steine in den Weg legen wollen.

Wer Baerbock auf Lambrechts Abschied anspricht, spürt: Die eigenen Erlebnisse im Wahlkampf, die Attacken auf ihre Glaubwürdigkeit als Kanzlerkandidatin, sie schmerzen sie auch zwei Jahre später noch.

Sie weiß auch jetzt: Obwohl sie auf ihrer sechstägigen Asienreise Tausende von Kilometern von Berlin entfernt unterwegs ist, steht sie als Frau und als engagierte Vertreterin einer wertebasierten Außenpolitik zu Hause unter besonderer Beobachtung.

Kanadas Außenministerin Melanie Joly, Deutschlands Vertreterin Annalena Baerbock und Japans Außenminister Yoshimasa Hayashi bei dem Treffen in Karuizawa.
Kanadas Außenministerin Melanie Joly, Deutschlands Vertreterin Annalena Baerbock und Japans Außenminister Yoshimasa Hayashi bei dem Treffen in Karuizawa.

© AFP/Andrew Harnik

Ausgerechnet der Koalitionspartner SPD hatte ihr noch vor der Abfahrt Steine ins Gepäck gelegt. Fraktionschef Rolf Mützenich und der konservative Seeheimer Kreis empfahlen indirekt, doch etwas netter und schmeichelnder umzugehen mit der Großmacht China, die ihren Unterdrückungsapparat stetig ausbaut und rücksichtslos mehr Einfluss in der Welt verlangt.

Baerbock folgte diesem Rat in Peking nicht. Denn den Fehler, dass Deutschland die Übergriffe eines zunehmend autokratischen Staates zu lange bemäntelt wie im Falle Russlands, will sie nicht wiederholen.

Öffentlicher Schlagabtausch mit dem chinesischen Kollegen

Deshalb nahm sie auch beim Treffen mit ihrem chinesischen Kollegen Qin Gang kein Blatt vor den Mund. Sie sprach die Drohungen gegen Taiwan an („Eine militärische Eskalation wäre ein Worst-Case-Szenario“), die Zwangsarbeit in Xinjiang, und sie kritisierte, dass die in der Frage von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine angeblich vermittlungswilligen Chinesen nicht den Aggressor klar benennen.

Die Außenministerin hat es sehr beeindruckend vermocht, ihr zu Beginn der Amtszeit angekündigtes Zusammenspiel von ,Dialog und Härte‘ in der Chinapolitik beim Antrittsbesuch umzusetzen.

Thorsten Benner, Chef des Thinktanks Global Public Policy Institute

Der Gastgeber bestritt in einem spektakulären öffentlichen Schlagabtausch die Vorwürfe entweder, ging nicht darauf ein oder verwahrte sich pauschal gegen Ratschläge aus dem Westen. Die Zusammenarbeit wollen beide trotzdem stärken.

Außenministerin Annalena Baerbock vor der Presse in Peking.
Außenministerin Annalena Baerbock vor der Presse in Peking.

© Reuters/Suo Takekuma/Pool

In deutschen Medien wurde ihr Ansatz denn teils auch kritisch bewertet: „In Asien endet Baerbocks wertegeleitete Außenpolitik“, schrieb ein Kommentator. Doch auf manche Experten macht er Eindruck.

De-Risking als Strategie

„Die Außenministerin hat es sehr beeindruckend vermocht, ihr zu Beginn der Amtszeit angekündigtes Zusammenspiel von ,Dialog und Härte‘ in der Chinapolitik beim Antrittsbesuch umzusetzen: Freundlich im Ton, interessiert an den Verhältnissen in der Volksrepublik und hart in der Sache hat Baerbock sehr effektiv Schadensbegrenzung nach dem missglückten Macron-Besuch betrieben mit klaren Worten zur Taiwan-Frage und einer Bekräftigung der wegweisenden europäischen De-Risking-Agenda von Kommissionspräsidentin von der Leyen“, sagt Thorsten Benner, Chef des Thinktanks Global Public Policy Institute.

Der französische Präsident hatte Europa nach seinem Peking-Besuch geraten, sich aus dem Streit um die Unabhängigkeit des demokratischen Taiwan zwischen China und den USA herauszuhalten.

Die EU-Kommissionspräsidentin dagegen erklärte, Europas Wirtschaft müsse ihre strategische Abhängigkeit von einem zunehmend gefährlichen China zurückfahren („De-Risking“), was auch Baerbocks Ansatz ist.

Etwas kritischer sieht das Guntram Wolff. „Die Außenministerin fand deutliche Worte in China“, lobt der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zwar, schränkt aber ein: „Ob diese etwas bewirken, ist mehr als fraglich.“ Wichtiger als solche Ansagen seien „klare Politikmaßnahmen zu Hause, die echte Sicherheitsrisiken reduzieren“.

In Stil und Persönlichkeit anders als Kanzler Scholz

Das Kanzleramt beobachtet Baerbocks Art, Politik zu machen, eher misstrauisch. Sie selbst redet öffentlich die Differenzen klein – sei es ihr Drängen auf die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern, als das Kanzleramt noch zögerte, sei es das Ringen um die neue Nationale Sicherheitsstrategie, die immer noch nicht vorliegt.

Die Unterschiede in Stil und Persönlichkeit zu Olaf Scholz sind unübersehbar: Ihre Botschaften sind oft emotional, ihre Urteile belegt durch Begegnungen mit Frauen und Kindern. Er wägt jedes Wort, sie redet oft so schnell, als ob sie wenig Zeit hätte, manchmal zu schnell.

Dann muss sie zurückrudern, weil sie etwa entgegen allen offiziellen Linien im Europarat behauptete, Europa führe einen Krieg mit Russland. „Wer keine Fehler macht, der lebt nicht“, sagte sie dem Tagesspiegel dazu. Fast könnte man auf die Idee kommen, sie meine damit den Kanzler.

Ihr Vorgänger Joschka Fischer, der erste grüne Außenminister, soll ihr geraten haben, sich öffentlich nicht gegen die Autorität des Kanzlers zu stellen – angeblich mit dem Argument, es gebe nur diesen einen in der Regierung. Bei den Grünen gehen die Meinungen darüber auseinander, ob sie dem Ratschlag bisher folgt.

DGAP-Chef Wolff bescheinigt Baerbock jedenfalls eine positive Bilanz. Sie habe „als eine der Ersten in Deutschland klar und deutlich eine größere Unterstützung der Ukraine eingefordert“. Dies sei nicht nur im direkten Sicherheitsinteresse Deutschlands, sondern auch eine Notwendigkeit, wenn den russischen Kriegsverbrechen Einhalt geboten werden solle. Auch die Debatte darüber, ob Kriegsverbrechen erfasst und strafrechtlich verfolgt werden sollten, habe sie vorangebracht: „Insofern ist ihre Politik wertegeleitet.“

Doch dann folgt die Einschränkung: „Umso enttäuschender war die zögerliche Reaktion der Außenministerin im Falle Irans. Die massiven Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen, und die iranische Unterstützung Russlands mit Waffen schienen unsere Außenpolitik lange nicht zu interessieren."

Baerbock und ihr Ministerium sehen das naturgemäß anders. Sie argumentieren, die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen, wie viele Kritiker fordern, scheitere an rechtlichen Bedenken der EU. Womöglich spielt es auch eine Rolle, dass Teheran auf diesen Schritt mit der endgültigen Aufkündigung des Atomabkommens antworten könnte, an dem die EU noch festhält.

Beim Treffen in Karuizawa stehen auch Beratungen über das iranische Atomprogramm auf der Tagesordnung. Ganz zum Schluss soll es auf Wunsch der japanischen Gastgeber, die den Schrecken der Atomwaffe im Zweiten Weltkrieg erlebten, dann um nukleare Abrüstung gehen.

Das ist im Sinne der deutschen Außenministerin, deren Partei einst auch aus der Friedensbewegung entstand. Doch es gibt auch die Pragmatikerin Baerbock. Die hatte nicht lange nach dem Angriff Russlands auf die Krim eine glaubhafte nukleare Abschreckung gefordert. Manchmal verlangt wertegeleitete Außenpolitik eben auch, große Spannungen auszuhalten.

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