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Politik: Neuanfang mit einem fernen Nachbarn

Türkischer Präsident Gül erntet von der EU Lob für seinen Besuch in Armenien

„Eine psychologische Wand ist eingerissen worden“, sagt der türkische Staatschef Abdullah Gül nach seiner Reise ins Nachbarland Armenien – das den meisten Türken bisher so fern war, als läge es auf dem Mond: Die gemeinsame Grenze ist geschlossen, es gibt kaum gegenseitige Besuche, keine diplomatischen Beziehungen.

Obwohl es also mit dem ersten Schritt eines türkischen Staatschefs auf armenischen Boden erst einmal vor allem um Gesten ging – als Rahmen für den Abstecher nach Erwian wurde das WM-Qualifikationsspiel Armeniens gegen die Türkei gewählt –, erreichte Gül erstaunlich konkrete Vereinbarungen und einen echten Neuanfang in den Beziehungen zum Nachbarland. So sagte der armenische Staatschef Serge Sarkisian während des nur etwa sieben Stunden dauernden Besuchs seine Unterstützung für das türkische Projekt einer „Kaukausus-Plattform“ zur Verhinderung und Beilegung von Konflikten wie dem in Ossetien zu. Die Außenminister beider Länder sollen sich um den grundlegenden Aufbau eines „Beratungsmechanismus“ zwischen beiden Ländern bemühen.

Die Chancen für den Beginn einer Aussöhnung zwischen den beiden Staaten stehen damit so gut wie nie. Ein positiver Effekt auf das Bild der Türkei im Westen und der außenpolitische Gewinn für Ankara sind in der Region und auch in der EU schon jetzt sichtbar: Der französische Staatschef Nicolas Sarkozy, einer der schärfsten Gegner einer türkischen EU-Mitgliedschaft und derzeit EU-Ratspräsident, lobte Güls Reise als „mutig und historisch“.

Schon in wenigen Wochen wollen Gül und Sarkisian am Rande der UN-Vollversammlung in New York erneut zusammenkommen. Und nach dem 2:0-Auswärtssieg der Türkei hat Gül den Armenier für das kommende Jahr zum WM- Qualifikations-Rückspiel in die Türkei eingeladen.

Das schmerzlichste Thema in den bilateralen Beziehungen umgingen die beiden Präsidenten bei ihrem ersten Zusammentreffen allerdings noch: Über den armenischen Vorwurf, die Türken hätten am Ende des Ersten Weltkrieges einen Völkermord an den Armeniern verübt und 1,5 Millionen Menschen ermordet, sei nicht gesprochen worden, sagt Gül. Die Türkei bestreitet nicht, dass damals viele unschuldige Menschen ums Leben kommen, weist aber den Genozidvorwurf strikt zurück. Demonstranten machten am Rande von Güls Besuch in Eriwan lautstark auf das heikle Thema aufmerksam und forderten die Türkei zur Anerkennung des Völkermords auf. In Ankara ätzte Oppositionschef Deniz Baykal schon vor der Reise, der Präsident solle doch gleich einen Kranz am Völkermordmahnmal in Eriwan niederlegen. Demnächst soll eine gemeinsame Historikerkommission die Geschichte aufarbeiten.

Ähnlich wie bei der vor fast zehn Jahren begonnenen Aussöhnung der Türkei mit Griechenland dürfte es dabei auch im Fall Armenien keine schnellen Durchbrüche geben. Aber auch im eigenen Land erntete Gül Lob für die Annäherung: „Unsere Kinder werden noch von dieser Geste sprechen“, kommentierte eine Zeitung.

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