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Politik: Neue Bedürftigkeit

Daniel Bahrs Pflegereform kommt nicht recht voran. Nun verabschiedete sich auch der Chef seines Expertenbeirats.

Berlin - Nach dem Minimalkompromiss der Koalition zur Pflegereform hat Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bei seinem zentralen Projekt einen weiteren Rückschlag erlitten. Der bisherige Chef des zuständigen Expertenbeirats, Jürgen Gohde, kündigte an, für die Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zugunsten von Demenzkranken nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Er habe den Eindruck gewonnen, dass es „der Koalition für dieses Ziel an der nötigen Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit fehlt“, sagte Gohde dem Tagesspiegel. Deshalb wolle er Bahrs Beratergremium künftig weder leiten noch ihm angehören.

Der Minister nannte den Rückzug des früheren Diakonie-Präsidenten und derzeitigen Chefs des Kuratoriums Deutsche Altershilfe bedauerlich. Am Ziel, Pflegebedürftigkeit neu zu definieren, halte die Regierung aber fest. Man wolle „einen neuen Begriff definieren, der wegkommt von der reinen Verrichtung, also weg von der Minutenpflege“, sagte Bahr. „Endlich sollen auch Menschen für den besonderen Betreuungsaufwand bei Demenz Leistungen erhalten.“ An der Spitze des Beirats, der bereits unter Bahrs SPD-Vorgängerin Ulla Schmidt installiert wurde, werde künftig ein „Tandem“ stehen, kündigte der FDP- Politiker an: der frühere Vize-Chef des Krankenkassen-Spitzenverbands, Klaus- Dieter Voß, und der Patientenbeauftragte der Regierung, Wolfgang Zöller (CSU). Mit Letzterem will Bahr offenbar sicherstellen, dass ihm die Christsozialen beim Thema Pflege nicht mehr wie in der Vergangenheit in den Rücken fallen.

Er habe Verständnis dafür, dass Regierung und Parlament zur Klärung ihrer Reformvorstellungen Zeit benötigten, sagte Gohde. Allerdings habe er „wirklich lange gewartet“. Bereits Anfang September hatte Bahr dem Experten den neuerlichen Beiratsvorsitz angetragen. Einen Arbeitsauftrag hat er bis heute nicht. Das liegt daran, dass sich die Koalition nicht einigen kann, wie viel Geld sie für die weiter gefasste Definition von Pflegebedürftigkeit lockermachen will. In verschiedenen Szenarien hatte der Beirat dafür bis zu 3,1 Milliarden Euro veranschlagt. Mit den 1,1 Milliarden durch die beschlossene Beitragserhöhung zum Jahr 2013 seien die nötigen Verbesserungen jedenfalls „nicht zu kriegen“, hatte Gohde frühzeitig betont. Und Experten hatten errechnet, dass die günstigeren Umstellungsvarianten auch jede Menge Reformverlierer produzieren würden.

Für die Opposition ist Gohdes Demission der endgültige Beleg für Bahrs Scheitern. Die „großspurig angekündigte Pflegereform“ verkomme „vollends zur Luftnummer“, hieß es bei der Linkspartei. Die Regierenden bewiesen „einmal mehr, dass sie die Dringlichkeit des Problems nicht erkannt haben“, kommentierten die Grünen. Und die Deutsche Hospizstiftung forderte den Rücktritt des Ministers.

Die dringend nötige Hilfe für Demenzkranke und ihre Angehörigen sei durch Bahrs unverantwortliches Nichthandeln „endgültig abgesagt“, befand SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Gleichzeitig machte sie klar, dass stattdessen nun ihre Partei den Experten zu vereinnahmen gedenkt. Die SPD werde „zügig gemeinsam mit Jürgen Gohde erörtern, wie wir uns auf die schnelle Umsetzung einer Pflegereform mit neuem Pflegebedürftigkeitsbegriff und einer soliden Finanzierung mit einer Bürgerversicherung vorbereiten“.

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