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© dpa

EU-Gipfel: Neue Brüsseler Gemütlichkeit

Der EU-Gipfel tagt jetzt auf engerem Raum – Ratspräsident Herman Van Rompuy hofft auch politisch auf mehr Familiengefühl.

Die Wände sind mit Edelhölzern vertäfelt, die Regale dazwischen deckenhoch mit historischen Goldschnitt-Ausgaben gefüllt, die Fenster und Mosaikböden mit Art-Deco-Motiven verziert. Die 1902 errichtete Bibliothek Solvay im Brüsseler Europaviertel erwartet am 11. Februar Gäste besonderer Art: Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU werden erstmals in dem eklektizistischen Bauwerk tagen. Für alle Beteiligten ist das zweifellos eine Verbesserung. Denn das Brüsseler Ratsgebäude, bislang Heimstatt der EU-Gipfel, hat den Charme eines Betonbunkers.

Der neue Ort wurde von einem neuen Mann ausgewählt. Herman Van Rompuy, erster permanenter Präsident des Europäisches Rates, will damit den informellen Charakter des bevorstehenden Gipfeltreffens betonen. „Es geht um die Gesprächsatmosphäre“, erläutert sein Sprecher. Die lasse sich mit einem Ortswechsel auflockern. Das habe Van Rompuy schon als belgischer Premier bei Regierungsklausuren erfolgreich ausprobiert. Möglich wird der Umzug in die relativ kleine Bibliothek wegen der neuerdings begrenzten Teilnehmerzahl: Wie schon beim EU-Gipfel im Dezember sitzen dieses Mal wieder nur die Regierungschefs selbst am Tisch. Die Außenminister bleiben zu Hause. Und auch die vielen Beamten aus Kommission und Rat, die früher den Tagungssaal bevölkerten, müssen draußen bleiben.

Die neue Gemütlichkeit kommt bei Präsidenten, Premiers und auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel bestens an. Den politischen Führungskräften Europas behagt es nicht, dass ihre Gipfeltreffen nach der EU-Erweiterung auf 27 Staaten so unübersichtlich geworden sind. Im Brüsseler Ratsgebäude sitzen die Regierungschefs teilweise so weit voneinander entfernt, dass sie sich kaum noch sehen können. „Es gibt das dringende Bedürfnis, wieder persönlicher miteinander umzugehen“, sagt ein Brüsseler Diplomat.

Der neue Wohlfühlfaktor bei den EU-Gipfeln ist kein Selbstzweck. Van Rompuy verbindet damit auch politische Hintergedanken. Der Belgier will die EU-Regierungschefs enger zusammenschweißen, sie gemeinsam stark machen – und findet dafür in den Hauptstädten viel Verständnis. Die Regierungschefs spüren nämlich langsam, dass sie sich an globalen Verhandlungstischen allein kein Gehör mehr verschaffen können. Das gilt für Weltklimakonferenzen ebenso wie für die Gespräche im Rahmen der größten Industrie- und Schwellenländer (G20) über eine neue Weltfinanzarchitektur. In den nationalen politischen Eliten reift deshalb die Erkenntnis, dass die EU ihre Antwort auf globale Probleme besser als bisher intern organisieren muss. „Davon hängt ab, ob Europa ,taker'' oder ,maker'' von weltweiten Regeln sein wird“, meint ein hochrangiger EU-Beamter. Deshalb wollen die Staats- und Regierungschefs im institutionellen Gefüge der EU mehr Gewicht gewinnen. Konsequenzen hat das vor allem für die Fachministerräte, etwa den EU-Finanzministerrat (Ecofin). Bislang gibt er die wirtschaftspolitische Agenda der EU-Staaten weitgehend vor, doch das soll sich nun ändern. „Die Chefs wollen die Suppe aus den Ministerräten nicht mehr nachkochen, sondern eigene Rezepte entwickeln“, heißt es im Europäischen Rat. Zum Beispiel zur wirtschaftspolitischen EU-Strategie für das neue Jahrzehnt: Die sogenannte „EU 2020“ steht beim Gipfel im Februar auf der Tagesordnung.

Damit preschen die Regierungschefs vorneweg, was keineswegs allen gefällt. Weder der Ecofin-Rat noch die EU-Kommission haben ihre Vorschläge zu dem Thema bislang vorgelegt. Das blieb nicht unbemerkt im Wirtschafts- und Währungsausschuss, wo hohe Beamte der Finanzministerien den Ecofin-Rat vorbereiten. Die Regierungschefs würden dem Ecofin-Rat das wirtschaftspolitische Heft aus der Hand nehmen, so die Befürchtung. Van Rompuy hat genau das wohl vor, wie es in seinem Umfeld heißt.

Ruth Berschens[Brüssel]

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