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Ein weiterer Rücktritt als Ergebnis des Wirecard-Untersuchungsausschusses. 

© Hannibal Hanschke/Reuters

Noch ein Rücktritt in Wirecard-Affäre: Chef der Bilanzpolizei geht

Edgar Ernst, Leiter der Prüfstelle DPR, hat Regeln gebrochen. Wer ist politisch verantwortlich? Was heißt das für die Reform der Finanzaufsicht?

Es geht munter weiter: Der Rücktritt des Präsidenten der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), Edgar Ernst, ist schon die vierte Rückzugsentscheidung eines Offiziellen in der Wirecard-Affäre. Der Chef der Finanzmarktaufsichtsbehörde Bafin, Felix Hufeld, hat zusammen mit einer führenden Mitarbeiterin dort schon seinen Hut genommen. Und auch Ralf Bose, der Chef der Behörde Apas, die sich um die Kontrolle der Wirtschaftsprüfer kümmert, verlor unlängst seinen Posten.

Die DPR, die Ernst leitet, hat bisher unter anderem im Auftrag der Bafin Bilanzen von Unternehmen geprüft. Die privatrechtlich organisierte Prüfstelle war auch im Fall Wirecard beauftragt, das Zahlenwerk zu sichten. Der Auftrag erging im Februar 2019, bis zur Wirecard-Pleite, bei der dann die betrügerisch aufgeblähte Bilanz offenkundig wurde, konnte die DPR jedoch kein Ergebnis vorlegen. 

Ernst hatte das vor zwei Wochen im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags damit begründet, dass die DPR mit ihren Mitteln nicht in der Lage gewesen sei, die Bilanzfälschungen bei Wirecard aufzudecken.

Geht auch Chef von EY?

Aber damit nicht genug: Laut „Financial Times“ und "Handelsblatt" soll auch der Deutschland-Chef der Wirtschaftsprüfungsfirma EY, Hubert Barth, abgelöst werden. EY hatte den Vertrag zur Bilanzprüfung bei Wirecard. Bis 2019 testierten die EY-Prüfer Jahr für Jahr die Abschlüsse des Finanzdienstleisters, auch nachdem kritische Berichte – unter anderem in der „FT“ – Zweifel aufkommen ließen, ob es im Asien-Geschäft des Konzerns mit rechten Dingen zugeht. 

Ob Gelder in Milliardenhöhe auf Wirecard-Konten in Südostasien möglicherweise gar nicht vorhanden waren, prüfte EY nach Erkenntnissen im Wirecard-Ausschuss nur unzulänglich. Die deutsche Tochter des global  agierenden EY-Konzern – früher Ernst & Young – ist nun mit vielen Anleger-Klagen konfrontiert und könnte dadurch in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Es könnte das Unternehmen zerreißen, lautet eine Einschätzung im Ausschuss. Auch die Commerzbank hat mittlerweile als bisher größter Eigner von Wirecard-Anteilen Klage gegen EY angekündigt.

Barth muss demnächst im Wirecard-Untersuchungsausschuss auftreten. Im Dezember hatte er die Aussage verweigert mit dem Hinweis, er sei nicht rechtswirksam von allen Wirecard-Vorständen von seiner Schweigepflicht entbunden worden. Der Bundesgerichtshof entschied dann nach einer klage des Ausschusses, dass Barth sich darauf nicht berufen kann - es genüge, dass ihn der Insolvenzverwalter entbunden habe.

Ein Aufsichtsratsmandat zu viel

Ernst kündigte seinen Rückzug zum Jahresende an, nachdem im Untersuchungsausschuss deutlich geworden war, dass er Verhaltensregeln missachtet hat. Seit 2016 ist es dem DPR-Chef nicht mehr gestattet, Aufsichtsratsmandate anzunehmen. Ernst tat das aber 2017 doch, als er ein Aufsichtsratsmandat beim Metro-Konzern übernahm. Zuvor war er bereits in den Aufsichtsrat von Vonovia und Tui eingetreten. Zuständig für die DPR ist in der Bundesregierung  das Justizministerium, indirekt über die Verbindung zur Bafin auch das Finanzministerium.

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Den Vertrag mit der DPR hat die Regierung schon im vorigen Jahr gekündigt, doch geht es derzeit darum, ob und wie die DPR auch nach 2022 als Prüfeinrichtung in die staatliche Bilanzkontrolle eingebunden werden soll. Diese ist bisher zweistufig, also mit der DPR als Zusatzinstanz neben der Bafin. Doch gibt es Kritik an der Konstruktion – Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will allerdings bisher daran festhalten. Ernst will mit Rücksicht auf die Reformüberlegungen einen personellen Neuanfang bei der DPR ermöglichen. Der Druck, sich zurückzuziehen, war in den vergangenen Tagen gewachsen.

"Der Besen kehrt gut"

„Der Besen Untersuchungsausschuss kehrt gut“ – mit diesen Worten reagierte der Linken-Politiker Fabio De Masi auf den Rücktritt. Für den DPR-Präsidenten und die von ihm bestellten Gutachter müsse ein Mandatsverbot wie für Abschlussprüfer gelten, um Interessenkonflikte auszuschließen. De Masi forderte die Regierung auf, dies im geplanten Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) festzulegen.

Für die Grünen-Abgeordnete Lisa Paus personifiziert Ernst „alles, was schief läuft in der Bilanzkontrolle in Deutschland“. Es herrsche „Interessensverquickung und Pseudokontrolle“. Mit Ernst Weggang sei aber nichts wirklich gelöst bei der DPR. Sie sei insgesamt dysfunktional und gehöre aufgelöst.  Der CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer sagte: „Der Rückzug des DPR-Präsidenten ist konsequent. Wer die Compliance-Regeln ignoriert, kann nicht an der DPR-Spitze bleiben.“

"Viel Vertrauen verspielt"

Kritisch äußerte sich auch die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe. „Es ist unvereinbar, öffentliche Kontrollaufgaben zu erfüllen und nebenbei hunderttausende Euros von den Prüflingen zu erhalten. Aufsichtsratsmandate vertragen sich nicht mit den Aufgaben des obersten Bilanzpolizisten.“ Mit Blick auf die angestrebte Reform gehöre es dazu, dass jeder Anschein eines Interessenkonflikts vermieden werde. „Die DPR hat viel Vertrauen verspielt und muss um ihre Existenzberechtigung kämpfen.“ Unter der Führung von Ernst werde das nicht gelingen.

Aber im Bundestag wird auch die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt. Immerhin konnte Ernst das regelwidrige Aufsichtsratsmandat unbeanstandet mehr als drei Jahre wahrnehmen. De Masi forderte, die Rolle des Justizministeriums bei der Genehmigung des weiteren Aufsichtsratmandats zu klären, nahm allerdings die aktuelle Ressortchefin Christine Lambrecht (SPD) in Schutz. Sie sei nicht verantwortlich. Lambrecht amtiert seit neun Monaten. Davor war seit März 2018 die SPD-Politikerin Katarina Barley Justizministerin, davor hatte seit 2013 SPD-Mann Heiko Maas das Amt inne.

Kritik an Scholz und Lambrecht

Hauer sagte dagegen, auch Scholz und Lambrecht „müssen sich fragen lassen, wieso sie bei dem Compliance-Verstoß weggeschaut haben anstatt die klaren Regeln durchzusetzen“.  Der FDP-Politiker Florian Toncar kommentierte: "Man kann nicht gleichzeitig Bilanzkontrolleur und Kontrollierter sein. Das hätte Herrn Ernst ebenso klar sein müssen wie der Bundesjustizministerin. Es stellt sich daher die Frage, wie Frau Lambrecht ihre Aufsicht über die DPR im letzten Jahr ausgeübt hat."

De Masi erinnerte daran, dass die Prüfstelle – das war schon 2016 – ein Vorgehen gegen Wirecard zurückgewiesen hatte. „Die DPR hat Wirecard geradezu angebettelt, ihr Argumente zu liefern, um nicht wegen Betrug ermitteln zu müssen.“ Mit Blick auf die geplante Reform forderte er, die Union solle ihren Widerstand gegen eine unmittelbare hoheitliche Bilanzkontrolle durch die Finanzaufsicht, wie sie in den übrigen EU Mitgliedsstaaten üblich sei, aufgeben. „Die privatrechtliche DPR taugt nicht als Bilanzpolizei. Man kann auch die Alkoholkontrolle nicht dem ADAC überlassen.“

Kein zweistufiges Verfahren mehr?

Auch Kiziltepe will mehr Reform, als die Regierung bisher plant. Die Bilanzkontrolle müsse zweifelsfrei unabhängig sein. „Für das zweistufige Kontrollverfahren sehe ich keine Zukunft“, sagte sie. „Wenn es übel riecht, dann müssen wir mit hoheitlichen Befugnissen nachschauen können. Das muss die Bafin in Zukunft leisten können.“ Ob die DPR weiter eine Rolle bei der Umsetzung neuer Prüfungsstandards spiele, „werden wir im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren besprechen“. 

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