zum Hauptinhalt
Kim Jong Un spricht auf dem Parteikongress in Pjöngjang.

© dpa

Nordkoreas Diktator: Die Rationalität des Irrationalen

Kim Jong Un ist nicht verrückt - er folgt der kalten Logik des Machterhalts. Eine Analyse.

Mit einer Mischung aus Grusel und Faszination betrachten Menschen im Westen Fotos, die in diesen Tagen aus Pjöngjang um die Welt gehen: Parteisoldatinnen stehen stramm, U-Bahnhöfe und Plätze sind verwaist, und Händler bieten uralte Handymodelle an, als wären sie der letzte Schrei. Der Machthaber Kim Jong Un zeigt dem Westen, was doch eigentlich unmöglich ist: dass man selbst noch in der globalisierten Welt ein ganzes Land abschotten kann. Er provoziert regelmäßig seine Nachbarn, führt angeblich Atomtests durch und drohte kürzlich den USA sogar mit einem Atomangriff. Ist der Mann verrückt? Weil er alles negiert, was im Westen heute als rational, fortschrittlich und alternativlos gilt, liegt diese Schlussfolgerung nah.

Kim Jong Un folgt Machiavelli

Doch das scheinbar irrationale Handeln folgt durchaus einer Rationalität – auch wenn das Volk zugleich mit irrationalen Verheißungen abgespeist wird. Wie viele Diktatoren und Autokraten folgt Kim Jong Un der grausamen Logik des Machterhalts. Er könnte aus dem Lehrbuch des Niccolo Machiavelli entsprungen sein. Nach Ansicht dieses politischen Denkers aus dem 16. Jahrhundert folgt ein guter Herrscher nicht moralischen Maßstäben, er fragt also weder nach dem Gemeinwohl noch nach der Gerechtigkeit, sondern sichert seine Herrschaft nach funktionellen Imperativen.
Machiavellis Maxime sind im Westen allenfalls noch in einer weichen Interpretation akzeptabel. Doch für Kim Jong Un scheinen sie zu passen: Moralische Bedenken zählen nicht. Kim Jong Un vernichtet seine Gegner, wenn er auch nur ahnt, dass sie ihm gefährlich werden könnten. Auch den eigenen Onkel ließ er hinrichten. Die Nachbarn provoziert er immer gerade so weit, dass sie zwar Sanktionen verhängen, aber nichts tun, was seine Macht ernsthaft bedrohen würde. Und dass ein Großteil der Nordkoreaner humanitäre Hilfe bräuchte, wie die Vereinten Nationen schreiben, ist ihm egal. Das alles ist zutiefst unmenschlich, aber nicht verrückt.

Was für den Westen nach Vernunft klingt, ist für den Diktator ein Schritt ins Irrationale

Den Nordkoreanern wäre nicht zu wünschen, Kim Jong Un würde noch rationaler agieren. Im Gegenteil: Vermutlich wäre es für sie und ihre Nachbarn besser, er würde sich mehr Irrationalität gönnen, abweichen von der Logik der reinen Macht, sich und das Land öffnen für Gedanken und Dinge, die der eigenen Vernunft widersprechen.
Am Wochenende kündigte Kim Jong Un auf dem Parteikongress an, Nordkorea wolle Atomwaffen nur dann einsetzen, falls die Souveränität des Landes bedroht sei. Das Land bleibe außerdem der Nicht-Verbreitung von Atomwaffen verpflichtet und er wolle sich für die Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarn einsetzen. Das hört sich für westliche Ohren so an, als käme da endlich einer zur Vernunft. In seiner eigenen Logik dürfte die Ankündigung ein gewagter Schritt hinaus in die Unvernunft der anderen sein.
Ist so jemandem, dessen Rationalität im Westen kaum noch verstanden wird, zu glauben, gar zu trauen? Der Westen hat gar keine andere Wahl. Er muss ihm glauben und ihn beim Wort nehmen. So wie auch die anderen selbst ernannten Cäsaren, die alle auf einmal scheinbar verrückt geworden sind.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false