zum Hauptinhalt

Politik: Not ohne Ende

Der Krieg vertreibt Tausende Libanesen aufs Neue – mehr als 100 000 Menschen im Südlibanon sind von Hilfe abgeschnitten

„Wir informieren die Israelis über unsere Bewegungen, dann fahren wir los, ohne das grüne Licht abzuwarten“, erklärt Sergio Cettini von der Hilfsorganisation „Médecins sans Frontières“ (MSF). Er ist eben aus dem Süden des Libanon nach Beirut zurückgekehrt. Seit Dienstag kommt das grüne Licht ohnehin nicht mehr. Der Süden des Zedernstaates ist praktisch zur No-Go- Area geworden, kein Fahrzeug darf sich dort bewegen. Mehr als 100 000 Menschen sind in dieser Region derzeit eingeschlossen.

Bereits nach wenigen Kriegstagen hatten die libanesische Regierung und internationale Hilfsorganisationen humanitäre Korridore verlangt, um die Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Israel hat diesen Forderungen nie zugestimmt; schlimmer noch, es gibt immer seltener Bewilligungen für Hilfskonvois, womit die Arbeit der meisten Organisationen ins Stocken geraten und die Versorgungsketten löchrig geworden sind.

Fast eine Million Vertriebene in einem knappen Monat, das ist auch im Weltmaßstab einzigartig. Gegenwärtig sei nur die Krise in Darfur noch schlimmer als die Lage im Zedernstaat, lautet die Einschätzung des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK). Das IKRK ist zusammen mit MSF und der französischen Première Urgence eine der drei letzten internationalen Organisationen, die im Süden noch aktiv sind.

„Seit auch die Behelfsbrücke zerstört ist, müssen wir eine Menschenkette über den Litani-Fluss bilden. Auf diese Weise ist die Menge an Nahrungsmitteln und Medikamenten, die wir transportieren können, beschränkt“, sagt Cettini, der in den Dörfern viele, vor allem alte Menschen angetroffen hat, die zu schwach sind, um zu fliehen, und sich in Kellern verstecken. Zum Teil würden diese Leute unter Schock stehen, andere wollten trotz aller Aufforderungen ihre Heimat einfach nicht verlassen. Vier Spitäler, darunter jenes in Bint Jbeil, mussten dichtmachen.

In der Hafenstadt Tyrus müssen die Krankenhäuser ihre letzten Vorräte aufbrauchen. Das Fahrverbot verhindert, dass Nachschub an Lebensmitteln für Patienten und Personal geliefert werden kann. „Schlecht und jeden Tag schlechter ist die Versorgung mit Diesel, um die Generatoren zu betreiben, und mit Brennstoffen zum Kochen. Wir haben bereits ein Lager mit 36 Flüchtlingsfamilien gefunden, in dem die Wasserpumpe nicht mehr funktionierte“, schildert der MSF-Vertreter. Die Brennstoffknappheit bezeichnen Hilfsorganisationen als das größte Einzelproblem.

Viele Flüchtlinge sind immerfort auf dem Track – von einem vermeintlich sicheren Ort an den andern. Am Freitag versuchten mehr als 3000 Christen aus der von der israelischen Armee besetzten Stadt Marjayoun zu flüchten. Sie hängten sich an einen Konvoi von 350 libanesischen Soldaten, die von der UN-Truppe Unifil in Sicherheit gebracht wurden, nachdem israelische Truppen ihre Kaserne in der Stadt überrollt hatten.

Die Reise der Flüchtlinge muss immer weiter in den Norden gehen, nachdem Israel auch die Einwohner der drei Beiruter Stadtteile Shiyyah, Bourj al-Barjaneh und Hay al-Salloum aufgefordert hat, ihre Häuser zu räumen. Hier hatten sich bereits viele Flüchtlinge aus dem Süden niedergelassen, die sich jetzt teilweise zum dritten Mal auf den Weg machen müssen. Am Donnerstag ist der alte Leuchtturm und damit erstmals das Zentrum der Metropole beschossen worden. Tausende Vertriebene peilen deshalb nun die Hafenstadt Tripolis im Norden des Libanon an.

Die Flüchtlingslager in der Hauptstadt – Schulen und öffentliche Gebäude – sind bereits überfüllt. Die Behörden haben nun begonnen, in einem Stadion Zelte aufzustellen, um weiteren Menschen eine vorläufige Bleibe anbieten zu können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false