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Einige Radler starteten trotzdem und wurden von der Polizei begleitet.

© dpa

Oberursel: Verkäuferin verhinderte den Anschlag auf das Radrennen

Eine aufmerksame Verkäuferin verhinderte einen Bombenanschlag in Oberursel. Was ist passiert, und was sind die Hintergründe? Lesen Sie hier Fragen und Antworten zu diesem Thema.

Von Frank Jansen

Die Bundesrepublik ist wieder einmal einem islamistischen Terrorangriff entgangen. Mit der Festnahme des Ehepaares Halil und Senay D. in der Nacht zu Donnerstag im hessischen Oberursel, einer Nachbarstadt von Frankfurt am Main, ist die Gefahr allerdings nicht gebannt. Das Landeskriminalamt veranlasste, dass eines der traditionsreichsten Radrennen Deutschlands, die für den Maifeiertag geplante Tour „Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt“ ausfällt. Die Polizei hatte beobachtet, dass Halil D. den Teil der Strecke erkundete, der durch Oberursel führt. Sicherheitsexperten befürchten trotz oder auch wegen der Festnahme des Paares Anschläge von Salafisten. Einige Hobbyradfahrer fuhren am 1. Mai dennoch die Strecke ab, begleitet von Polizei.

Wie gefährlich war das Ehepaar?

Im Keller des Wohnhauses von Halil und Senay D. entdeckte die Polizei eine funktionsfähige Rohrbombe, ein in Einzelteile zerlegtes Sturmgewehr G3, möglicherweise aus alten Bundeswehrbeständen, sowie 100 Schuss Munition des Kalibers neun Millimeter und ein Übungsgeschoss für eine Panzerfaust. Und drei Liter Wasserstoffperoxid, dazu Azeton, Spiritus, einen Kanister mit Diesel. Das Wasserstoffperoxid hatte Halil D. am 30. März in einem Baumarkt in Frankfurt gekauft, seine Frau und die zwei Kinder des Paares waren dabei. Mit der Chemikalie hätte das Paar eine weitere Bombe, mit hoher Explosivkraft, herstellen können. „So ein Sprengsatz, dazu die Rohrbombe und das G-3-Gewehr: das ist ein enormes Gefährdungspotenzial“, sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte, „das Zeug hätte für mehrere Anschläge gereicht“. In Polizeikreisen wird an den Angriff auf den Stadtmarathon in Boston erinnert. Bei der Explosion im April 2013 starben drei Menschen, 264 wurden verletzt.

Wie kamen die Behörden dem Paar auf die Spur?

Dass ein Anschlag oder sogar mehrere Angriffe verhindert wurden, ist wohl einer Verkäuferin des Baumarkts zu verdanken. Als Senay D. sich nach der ungewöhnlich hohen Menge von drei Litern Wasserstoffperoxid erkundigte, verlangte die Mitarbeiterin aus Sicherheitsgründen die Personalien. Halil D. trug sich in eine Liste ein, mit falschem Namen. Eine Ausweis ließ sich die Verkäuferin nicht zeigen, das Paar konnte die Chemikalie mitnehmen. Dennoch ließ die Geschichte der Angestellten keine Ruhe. Die Frau hatte Zweifel, dass Halil D. und seine Frau das Wasserstoffperoxid, wie behauptet, für die Reinigung eines Gartenteichs von Algen benötigten. Außerdem sah das Paar aus, wie man sich klischeehaft Islamisten vorstellt: Halil D. mit Vollbart, seine Frau tief verschleiert.

Die Verkäuferin informierte die Polizei. Dort und beim Verfassungsschutz waren Halil D. und seine Frau schon als Salafisten bekannt. Bis zum Kauf der Chemikalie galt das Paar nicht als terrorverdächtig. Das änderte sich nun. Die Eheleute wurden observiert, dabei fiel das Interesse von Halil D. an der Strecke des Radrennens in Oberursel auf. Den Behörden war zudem die kriminelle Vergangenheit des Mannes geläufig. In Polizeikreisen ist von 15 Delikten die Rede, darunter ein Verstoß gegen das Waffengesetz.

Wer sind Halil und Senay D.?

Halil D. ist 35 Jahre alt, er hat die deutsche Staatsbürgerschaft und entstammt einer türkischen Familie. Geboren wurde er in Bad Friedrichshall (Baden-Württemberg). Die 34-jährige Senay D. ist Türkin und kam aus Igdir, einer Stadt an der Grenze zu Armenien, nach Deutschland. Das Paar lebte von Hartz IV. Die kleinen Kinder übergab die Polizei nach der Festnahme der Eltern dem Jugendamt.

Was für ein Anschlag drohte?

Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz vermuten, Halil D. habe die Strecke des Radrennens durch Oberursel ausgespäht, um dort einen Sprengkörper zu platzieren. Die Rohrbombe war nach bisherigen Erkenntnissen fertig gebaut. „Ohne das Radrennen wäre das Paar noch länger von Polizei und Verfassungsschutz beobachtet worden“, heißt es in Sicherheitskreisen, „doch das Risiko eines Anschlags war so hoch, dass der Zugriff erfolgte“. Das Rennen wurde dennoch abgesagt, da die Behörden mehrere Terrorszenarien für möglich halten.

Halil D. und seine Frau könnten über Sprengsätze verfügt und sie an der Rennstrecke abgelegt haben, womöglich mit einem Zeitzünder. Polizisten suchten das Gebiet ab, in dem Halil D. beobachtet worden war. Gefunden wurde bislang nichts.

Und: Das Paar könnte Komplizen haben. Vermutlich seien Halil und Senay D. nicht die „typischen Einzeltäter“, sagt ein Sicherheitsexperte, „da waren noch ein paar Leute im Hintergrund“. Es sei bekannt, dass Halil D. und seine Frau Kontakte zur Salafistenszene in Frankfurt und Umgebung unterhalten. Nicht bestätigt sind allerdings Medienberichte, wonach Halil D. in Verbindung zur nordafrikanischen Filiale von Al Qaida gestanden haben soll. Sie nennt sich „Al Qaida des islamischen Maghreb“ und ist für zahlreiche Terrorangriffe in Algerien und weiteren Ländern verantwortlich. Es bleibt auch offen, ob Halil D. in Spanien den Anführer einer salafistischen Gruppierung getroffen hat. Bestätigt wird jedoch, dass Halil D. in Kontakt stand zu einem der Mitglieder der im September 2007 aufgeflogenen Sauerlandgruppe, dem Türken Adem Y. Er hatte zusammen mit zwei deutschen Konvertiten verheerende Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen in Deutschland geplant – mit Wasserstoffperoxid, das für Bomben aufbereitet werden sollte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte Adem Y. im März 2010 zu elf Jahren Haft.

Welche Gefahr geht von der salafistischen Szene aus?

Das Milieu wächst rasant. Der Verfassungsschutz spricht von aktuell 7300 Salafisten, 2011 waren es noch 3800. Hochburgen der Szene finden sich in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hessen, hier insbesondere in Frankfurt und Umgebung. Bundesweit gebe es mehr als 100 salafistische Netzwerke, sagt ein Sicherheitsexperte. Diese Strukturen hätten sich um „Prediger, Radikalisierer und sonstige charismatische Leute“ gebildet. Einige Netzwerke hätten mehre Dutzend Mitglieder, andere kaum mehr als fünf.

Zu den größeren zählt „Helfen in Not“. Die Vereinigung ist vor allem in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hessen aktiv. Bei Benefizveranstaltungen träten salafistische Prediger auf, sagt der Experte. „Helfen in Not“ sammelt Spenden für Verletzte im syrischen Bürgerkrieg. Auf der Homepage des Vereins steht, Ziel sei es, „ausschließlich leidende Muslime zu unterstützen“. Ob Halil und Senay D. mit „Helfen in Not“ zu tun hatten, ist offen.

Karitative Hilfe ist Element einer Art Arbeitsteilung in der salafistischen Szene. Vor allem mit Blick auf Syrien, dem für militante Islamisten attraktivsten Schlachtfeld im heiligen Krieg gegen „Ungläubige“. Knapp 700 radikalisierte Muslime sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bislang aus Deutschland in das Kampfgebiet gereist. Ende 2014 waren es „erst“ 550.

Die meisten zieht es zur Terrormiliz „Islamischer Staat“, die in Syrien und im Irak ein großes Territorium erobert hat. Von den Ausgereisten sollen 85 ums Leben gekommen sein, zehn von ihnen sprengten sich als Selbstmordattentäter in die Luft. Ungefähr 230 Islamisten sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt, davon haben 50 laut Verfassungsschutz Kampferfahrung gesammelt. Zumindest diese 50 Rückkehrer zählen zu den 280 islamistischen „Gefährdern“, die Polizei und Nachrichtendienste für Deutschland auflisten. Gefährder sind die Leute, denen die Behörden militante Aktionen oder zumindest die Unterstützung dafür zutrauen.

Warum wächst die Szene weiter?

Aus Sicht von Experten sind mehrere Gründe maßgeblich. Da ist zum einen die Propaganda von Predigern wie dem deutschen Ex-Boxer Pierre Vogel, auf der Straße und im Internet. Die Agitation werde immer professioneller und spreche gerade junge, sich radikalisierende Muslime emotional an. Und anlog zum Wachstum der Szene nimmt auch die Zahl der Prediger zu. Das scheint ein wechselseitiger Prozess zu sein. Das Angebot salafistischer Propaganda umfasst zudem klassische Kraft-Macho-Aktivitäten. In Mönchengladbach zogen Salafisten sogar eine Kampfsportschule auf.

Ein weiterer Grund: den fortschreitenden Zerfall islamischer Staaten, von Syrien über den Irak bis Libyen und Jemen, nutzen salafistische Terrororganisationen wie der IS zur Realisierung lang gehegter Sehnsüchte von Islamisten. Das Angebot, in einem Gottesstaat leben zu können, „ist eine Vision, die lockt“, sagt ein Experte. So nimmt die Dynamik salafistischer Propaganda noch zu.

Und dann ist da noch das Aufschaukeln der Extreme. Fremdenhass in Deutschland nähre sich auch von den Umtrieben der Salafisten, sagt der Experte. Die Salafisten ihrerseits empfinden die Hetze von Rassisten erst recht als Bestätigung. So steige die Gefahr von Gewaltakten weiter. Auf beiden Seiten.

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