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Bernd Raffelhüschen.

© dpa

Ökonom Raffelhüschen kritisiert Bundesregierung: "Schwarz-Gelb hat Schuldenabbau verpasst"

Der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen wirft der schwarz-gelben Koalition Versagen vor. Die Wahlprogramme der Parteien sieht er kritisch: Sie brächten nur zusätzliche Belastungen.

Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen ist ein streitbarer Mann, für Linke wie Rechte ist er eine Reizfigur. Seine Forschungsergebnisse sind umstritten. Am Donnerstag dürfte er die Zahl seiner Freunde im politischen Betrieb weiter gesenkt haben. Jährlich bietet der Wirtschaftsprofessor in Kooperation mit der Stiftung Marktwirtschaft eine „Nachhaltigkeitsbilanz“ der öffentlichen Haushalte – er misst also, wie zukunftsfest die Politik bei Schulden, Steuern, Renten und Krankenversicherung wirtschaftet. Dieses Jahr hat er sich mit seinem Team auch die Wahlprogramme vorgenommen. Sein Urteil ist deutlich: Schwarz-Gelb hat die Chance zur Haushaltskonsolidierung, die durch die gute Wirtschaftslage da ist, nicht genutzt, alle Parteien versprechen neue Ausgaben, welche die Nachhaltigkeitsbilanz verschlechtern.

„Noch nie hatten Politiker in Deutschland so viel Geld zur Verfügung wie jetzt“, sagte Raffelhüschen bei der Vorstellung seiner Zahlen in Berlin. „Aber sie geben alles wieder aus, es wurde nichts für den Schuldenabbau genutzt.“ Stattdessen habe die Bundesregierung sich „fragwürdige und kostspielige Geschenke“ ausgedacht: Betreuungsgeld, Abschaffung der Praxisgebühr, Pflegereform. Auch die Beitragssenkung in der Rentenversicherung sieht Raffelhüschen kritisch. Das sei ein Griff in die „Trickkiste“ gewesen, mit der Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Bundesetat entlastet habe – denn der Bundeszuschuss an die Rentenkasse sei an den Beitragssatz gebunden (statt an die Höhe der versicherungsfremden Leistungen, wie Raffelhüschen vorschlägt).

  "Koalition hat Spielräume nicht genutzt"

Schwarz-Gelb habe die Spielräume „nicht für das Richtige genutzt“ – und das wäre Schuldenabbau gewesen. Es sei „ökonomisch unverständlich“, die Bundesrepublik müsste in der aktuellen Phase sehr hoher Steuereinnahmen „eigentlich Überschüsse ausweisen“. Raffelhüschen rügt nicht zuletzt die Position nahezu aller Parteien, die Bildungsausgaben zu erhöhen. Das sei nicht nötig, betont der Professor: Die Ausgaben je Schüler seien in Deutschland noch nie so hoch gewesen wie heute.

Und die Wahlprogramme brächten allesamt „zusätzliche Belastungen für die öffentlichen Haushalte“, sagte Raffelhüschens Mitarbeiter Stefan Moog. Zwar billigt er den Grünen im Vergleich mit der SPD zu, dass ihre Versprechungen einigermaßen solide finanziert seien – aber die massiven Steuererhöhungen, die Rot-Grün plant, halten die Freiburger Wissenschaftler für nicht gerechtfertigt. Die Versprechen der SPD seien durch die in Aussicht genommenen Steuererhöhungen zudem noch nicht einmal zur Hälfte gedeckt. Wie auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) glaubt Raffelhüschen, dass sich Vermögende massiv den von SPD und Grünen geplanten Steuererhöhungen zu entziehen versuchen werden. Am Ende würden die Einnahmen unter den Erwartungen liegen, sagt er voraus.

 Unsichtbare Staatsschuld weiterhin hoch

Angesichts des Fehlens einer nachhaltigen Politik durch Schwarz-Gelb ist die „Nachhaltigkeitslücke“ in den Etats nur leicht geschrumpft, und das laut Raffelhüschen auch nur wegen der guten Konjunktur der letzten beiden Jahre („wir haben derzeit keine Krise“, sagt der Ökonom). Er unterscheidet in seiner Nachhaltigkeitsbilanz zwischen expliziter und impliziter Staatsschuld. Die explizite Verschuldung ist der im Gesamtetat ausgewiesene Schuldenstand von Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen: Er liegt nach der aktuellen Aufstellung Raffelhüschens bei 80,4 Prozent. Die implizite Staatsschuld sind alle aus Gesetzen resultierenden Leistungsversprechen des Staates für die Zukunft: vor allem Renten und Pensionen sowie weitere Sozialversicherungen. Diese implizite Schuld liegt laut Raffelhüschen derzeit bei 146,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Sie muss durch künftige Steuern und Abgaben gedeckt werden, was nach Ansicht des Ökonomen angesichts der Bevölkerungsentwicklung – mehr Alte, weniger Junge – zunehmend problematisch wird. Wegen der Rentenkürzungen der letzten Jahre sei die Gesetzliche Rentenversicherung noch am ehesten „demographiefest“, meint Raffelhüschen. Kritisch sieht er daher die Wahlversprechen der Parteien in der Rentenpolitik.

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