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Polizisten am Rande einer Veranstaltung mit Daniel Ortega in Managua.

© Reuters/Oswaldo Rivas

Proteste in Nicaragua: Ortegas brutaler Machtkampf

Nicaraguas Opposition wird seit Monaten unterdrückt. Betroffene berichten von schwarzen Listen und Folter – aber sie geben nicht auf.

Gabriela blickt während des Gesprächs im Café nervös um sich. Seit zwei Wochen ist die 21-jährige Studentin der Sozialarbeit wieder frei. Paramilitärs hatten sie an einer Straßensperre abgefangen, drei Tage lang festgehalten, geschlagen, gefoltert, mit Messern ihre Haut angeritzt, drei Männer haben sie vergewaltigt. Sie musste sich ausziehen und bekam nichts zu essen. Gesehen hat sie ihre Peiniger nie. Nur gehört. Sie hatten ihr die ganze Zeit eine Kapuze übergestülpt. Garbriela erzählt. „Wer sind deine Chefs? Wer hat euch bezahlt?“, wollten ihre Peiniger wissen. Sie habe nichts preisgegeben. Gabriela hatte vor der Festnahme noch Zeit, ihr Handy zu zerbrechen und den Chip zu zerstören. Sie steht auf der schwarzen Liste der Regierungsgegner.

Die Paramilitärs sagten ihr, sie solle abhauen aus Nicaragua, wenn ihr das Leben lieb sei. Gabriela will nicht. „Wenn wir Studenten nichts tun für Nicaragua, wer dann?“, fragt sie. Gabriela lebt jetzt im Untergrund. Zum Treffen ist sie mit dem BWL-Studenten Leddy gekommen. Ihn hatte die reguläre Polizei verhaftet, aber auch dem 20-Jährigen erging es nicht besser. Die Polizisten zerquetschten ihm mit ihren Stiefeln die Finger, quälten ihn mit brennenden Zigaretten, rissen ihm das Piercing von der Augenbraue und zwangen ihn, Lobgesänge auf den Staatspräsidenten Daniel Ortega anzustimmen.

Die blauen Flecken sind kaum noch zu sehen, aber dafür frische Narben. Alles ging so schnell: Die Aufbruchsstimmung, die Besetzung der Universität, dann die Verteidigung gegen die Angriffe der Paramilitärs, die mit Maschinengewehren auf die Protestierenden schossen. Seit Mai standen die beiden jungen Leute auf den Barrikaden der staatlichen Universität. Sie forderten Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, und verlangten, dass der 72-jährige Sozialist Ortega, der seit elf Jahren autoritär regiert, endlich anderen Platz macht und demokratische Wahlen anberaumt. Eine bewaffnete Revolution brachte ihn 1979 zum ersten Mal an die Macht, ein friedlicher Bürgerprotest will ihn nun stürzen. Ortega antwortet auf die Bedrohung, so wie einst der rechte Diktator Anastasio Somoza: mit brutaler Gewalt.

Ortega bezeichnet die Demonstranten als rechte Schläger

Die Demonstranten, behauptet Ortega, seien gar keine Studenten sondern rechte Schlägertruppen. Gabrielas Studentenausweis haben ihre Folterknechte behalten, aus den Registern der Universität hat die regierungstreue Rektorin alle kritischen Studenten gelöscht. So als habe es Gabriela und Leddy nie gegeben. Zum Treffen haben sie deshalb als Beweis ihre Diplome mitgebracht, in einer Klarsichthülle. „Sie sind mein größter Schatz“, sagt Gabriela.

Javier Pastora arbeitete 32 Jahre lang als Chef der Chirurgie und Medizinprofessor im staatlichen Hospital der Stadt Leon. Vor zwei Wochen ist der 55-Jährige von einem Tag auf den anderen entlassen worden. „Wir verzichten auf ihre Dienste“, stand in dem Standardbrief, den ihm die Direktorin überreichte. Ob es Klagen gegeben habe, etwas an seiner Arbeit auszusetzen sei, wollte Pastora wissen. Nein, entgegnete die Direktorin, aber er habe an Demonstrationen teilgenommen und sei ein „destabilisierender Faktor“. „Ich darf seither das Hospital nicht einmal mehr betreten“, sagt Pastora verbittert.

So wie ihm erging es rund 50 Ärzten im ganzen Land. Ihr Vergehen: Sie sind Kritiker der Regierung und haben verletzte Demonstranten medizinisch versorgt. „Dabei ist das doch meine ärztliche Pflicht“, sagt Pastora, der nun mit anderen Betroffenen eine Sammelklage einreichen wird. Aussicht auf Erfolg habe die nicht, räumt er ein. „Die Justiz wird von Ortega kontrolliert. Aber wir wollen nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs vor internationale Gerichte ziehen und hoffen dort auf Gerechtigkeit.“

Die Liste der Regierungsgegner ist lang

Pastora ist bekannt, hat ein großes Netz von Unterstützern, auch im Ausland. Andere müssen sehen, wie sie zurechtkommen. Der Parkplatzaufseher Luis Herrera wurde von seinem Chef entlassen, weil er zu den Protesten ging, dabei von Spitzeln der Regierung gefilmt und erkannt wurde. Er bettelt jetzt auf der Strasse um Geld. „Diese Regierung muss weg, sie schadet dem Land“, klagt er am Rande eines Protestmarsches in Managua. Pfarrer Edwin Roman, der sein Pfarrhaus in der Stadt Masaya während der Proteste in ein Lazarett für die Verletzten umwandelte, musste nach Todesdrohungen eine Zeitlang die Stadt verlassen. „Wer jung ist, Student, Arzt oder Pfarrer gilt für diese Regierung als Verbrecher“, sagte er.

Musiker Guillermo Norori, 44 und Produzent des 2010 für einen Grammy nominierten, sozialkritischen Albums CPC, hat keine Aufträge mehr und überlebt, indem er zuhause gefüllte Maisfladen backt und per Motorradkurier ausliefert. „Der Staat mochte uns nie und hat immer nur linientreue Musiker beauftragt, aber früher hatten wir private Unterstützung für Produktionen oder wurden für Konzerte gebucht“, erzählt er. „All das ist auf Null geschrumpft.“

Manche Auftraggeber haben Angst, andere kein Geld mehr wegen der Wirtschaftskrise. „Weil viele Musiker Protestsongs schrieben und privat produzierten, landeten sie auf schwarzen Listen, wurden festgenommen oder mussten das Land verlassen“, erzählt Norori. Unter den Exilierten sind auch so bekannte Personen wie der Sänger Carlos Mejia Godoy, der schon unter Somoza in den 70er Jahren ins Exil musste.

Die Liste der Regierungsgegner ist lang, die Klageschriften gegen sie wegen Terrorismus und Waffenbesitz sind laut Denis Darce von der Permanenten Nationalen Menschenrechtskommission „Fliessbandproduktionen ohne jegliches juristisches Fundament und ohne Beweise“. Gegen unliebsame Kritiker würden Straftaten erfunden, während 30 dokumentierte Anzeigen gegen Polizisten wegen Folter eingefroren wurden. Ziel sei es, die Bürger einzuschüchtern und den Protest zu kriminalisieren. „Wir leben in einem Unrechtsstaat.“

Schwarzer Trauerflor für die 317 Ermordeten

Ob die Repression dem mit allen Mitteln um seine Macht kämpfenden Ortega am Ende aufgeht, ist unklar. „Es ist ein kurzfristiger Sieg und der hat einen hohen Preis“, gibt der oppositionelle Politiker Edmundo Jarquin zu bedenken. „Ortega hat seine Legitimität verspielt, das Land in eine Wirtschaftskrise gestürzt, und in den Augen der internationalen Gemeinschaft ist er ein destabilisierender Faktor.“

Die Medien, in denen solche Meinungen noch vertreten werden dürfen, sind ebenfalls Ziel der Repressionen. Der TV- Kanal „100% Noticias“ berichtet seit Beginn der Proteste im April ausführlich. Seine Sendungen sind mit einem schwarzen Trauerflor für die 317 Ermordeten versehen. Der Sender wurde von Vermummten angegriffen, die Fensterscheiben wurden eingeschlagen, der Direktor bedroht. Im Kreuzfeuer der Regierung und ihrer Anhänger steht auch Carlos Fernando Chamorro, der Direktor der unabhängigen Mediengruppe „Confidencial“.

Seine Journalisten wurden von Vermummten verprügelt, er selbst wird als Putschist verunglimpft. Für Chamorro, dessen Vater 1978 von Killern Somozas erschossen wurde, sind diese Tage des Terrors ein Déjà-vu. Auf die Frage, ob er Angst habe, antwortet er mit einem Satz, den sein Vater kurz vor seiner Ermordung einem Journalisten sagte: „Ja, aber jeder ist Herr seiner eigenen Ängste.“

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