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ORTSTERMIN: Kandidat der Pragmatiker

Es ist ein besonderer Auftritt für Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Kanzlerkandidat, als früherer Kanzleramtschef von Gerhard Schröder und heutiger Vizekanzler in hohem Maß verantwortlich für die „Agenda 2010“ und den Kurs der SPD in der großen Koalition, wagt einen Besuch bei den Jungsozialisten.

Es ist ein besonderer Auftritt für Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Kanzlerkandidat, als früherer Kanzleramtschef von Gerhard Schröder und heutiger Vizekanzler in hohem Maß verantwortlich für die „Agenda 2010“ und den Kurs der SPD in der großen Koalition, wagt einen Besuch bei den Jungsozialisten. Die haben sich am Freitagnachmittag in München zu ihrem dreitägigen Bundeskongress getroffen. Ganz oben auf der Tagesordnung steht eine Abrechnung mit der regierenden SPD.

Was der Nachwuchs in seiner Mehrheit von den Leistungen der SPD in den vergangenen elf Regierungsjahren hält, konnte Steinmeier schon auf den ersten Seiten des Juso-Arbeitsprogramms nachlesen: Die Krise der SPD sei eine Krise der politischen Glaubwürdigkeit, hieß es da. Die Regierungs-SPD habe in der großen Koalition etliche Vorhaben mitgetragen, die der Haltung weiter Teile der Partei widersprochen hätten. Für die Zeit nach der Bundestagswahl haben die Jusos schon mal angekündigt, gegen die Rückkehr zu einer „sozialdemokratischen Regierungspolitik“ zu kämpfen, die zu oft „an den Neoliberalismus angelehnt“ gewesen sei.

Die harsche Kritik hindert die Delegierten dann aber nicht daran, den Kandidaten kräftig zu beklatschen, als er am Abend an der Seite von Juso-Chefin Franziska Drohsel in die Halle einzieht. Steinmeier wiederum geht in seiner Rede nur am Rande auf den Grundkonflikt zwischen Parteiführung und Nachwuchs ein. Auf diese Weise befördern beide Seiten den Eindruck, als handele es sich bei den Attacken der Jusos gegen die Parteispitze nur noch um Folklore.

Steinmeier möchte in München vor allem zeigen, dass er nach seiner umjubelten Rede auf dem SPD-Parteitag am vergangenen Sonntag nichts von dem neuen Schwung verloren hat. Wieder gibt sich der Kandidat kämpferisch: „Alles ist offen, alles ist möglich!“ Die Wahl sei eine „Richtungsentscheidung“, Schwarz-Gelb dürfe keine Mehrheit bekommen, warnt er. Dann lässt er jenen Satz folgen, für den er schon auf dem Parteitag den meisten Applaus erhalten hat: „Es kann doch nicht sein, dass die Ideologie, die uns in die Krise hineingeführt hat, gleichzeitig die Antwort auf die Krise ist.“ Auf das Bekenntnis zur „Agenda 2010“ verzichtet Steinmeier in München dagegen vorsichtshalber.

Einen neuen Akzent setzt der Kandidat gegen Ende seiner 30-minütigen Rede mit einer Solidaritätserklärung an die Adresse der demonstrierenden Studenten: „Es geht um unsere gemeinsame Zukunft, die Studentinnen und Studenten tun das Richtige.“ Der Bundesbildungsministerin Annette Schavan wirft er vor, nichts Besseres zu tun gehabt zu haben, als die Demonstranten zu „beschimpfen“.

Nach Steinmeiers Rede klatschen die Delegierten, und manche stehen sogar auf und rufen: „So sehen Sieger aus.“ Es sind vor allem Genossen aus Baden-Württemberg, wo die Jusos weniger vom „Demokratischen Sozialismus“ träumen als von realen Veränderungen. Sie nennen sich „Pragmatische Linke“ – und der frühere Karrierebeamte Steinmeier ist ihr Kandidat.

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