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Ortstermin: Wie säkular ist Deutschland?

Andrea Nüsse über eine Diskussion zwischen dem muslimischen Juristen An-Naim und Bundesinnenminister Schäuble am Wissenschaftskolleg in Berlin.

Es war eine ungewohnte Kulisse für Innenminister Wolfgang Schäuble. Das Wissenschaftskolleg, Hort philosophischen und interdisziplinären Geistes im Grunewald, hatte den Initiator der Islam-Konferenz zur Debatte mit dem sudanesisch-amerikanischen Rechtsprofessor Abdullahi Ahmed An-Naim und dem Ex-Verfassungsrichter Dieter Grimm über Religion und säkularen Staat geladen. Am Morgen noch hatte Schäuble bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts die wachsende Terrorgefahr durch islamistische Extremisten aufgezeigt; abends die intellektuelle Auseinandersetzung mit einem der führenden muslimischen Theoretiker zu den Beziehungen zwischen Religion, Islam und Staat.

An der These des aus dem Sudan stammenden An-Naim, der an der Emory University in Atlanta lehrt, dass auch der Islam am besten gelebt werden kann in einem neutralen, säkularen Staat, konnte Schäuble wohl wenig aussetzen. Die Begründung An-Naims, dessen Buch „Islam und der säkulare Staat“ 2008 Aufsehen erregte: Seit dem Tode des Propheten seien Staat und Religion ohnehin getrennt gewesen. Da der Islam politisch instrumentalisiert werde, sei die freie Religionsausübung des Gläubigen besser gesichert, wenn der Islam nicht von Staats wegen verordnet werde.

Das Modell des "neutralen Staates"

Doch An-Naim will sein Modell des „neutralen Staates“ auch im Westen verwirklicht sehen. Diese Staaten seien aufgrund ihrer Geschichte, die durch die Auseinandersetzung mit dem Christentum geprägt sei, oft „nicht säkular genug“. In Deutschland funktioniere die Partnerschaft zwischen Staat und den zwei christlichen Kirchen. Dürfe der Staat die Muslime außen vor lassen, nur weil sie weniger zentral organisiert sind als die Kirchen?

Schäuble betonte erneut, dass sich nicht der deutsche Staat verändern müsse, sondern die muslimische Gemeinschaft in Deutschland, wenn sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden wolle. Der ehemalige Verfassungsrichter Grimm dagegen findet die Frage schon erlaubt, ob der Staat nicht Alternativen bieten müsse, wenn eine Glaubensgemeinschaft aufgrund ihrer religiösen Vorstellungen keine dem Verfassungsrecht entsprechende Struktur bilden könne. „Man könnte das Paket aufschnüren und nur einige Rechte geben.“ Ähnlich wie sich die Lebensgemeinschaft trotz staatlicher Anerkennung rechtlich weiter von der Ehe unterscheide.

Zwei Visionen

Doch wirklich deutlich wird der Dissens zwischen Schäuble und An-Naim nicht in Rechtsfragen, sondern in der Vision, die sie von der Gesellschaft der Zukunft haben. Der in Khartum geborene Wissenschaftler, der in Schweden, Ägypten, Kanada und den USA gelebt hat, bezeichnet sich als „Kosmopoliten“ mit sudanesischen Wurzeln. Vom Standpunkt des modernen Weltbürgers aus müssten historisch bedingte Eigenheiten staatlicher Strukturen überdacht werden, um sich auch neuen Bevölkerungsgruppen gegenüber vollständig zu öffnen.

Das sieht der deutsche Innenminister anders: „Kosmopolitismus als Identität ist schön“, aber vielleicht nicht „für alle Menschen ausreichend“, formuliert Schäuble vorsichtig. Er fordert sehr klar „Rücksichtnahme auf Mehrheiten“ und deren Identität. Dazu gehöre beispielsweise, dass in einer historisch christlich geprägten Kleinstadt die historisch christlich geprägt kein Muezzinruf erschallen sollte. Diese Selbstvergewisserung sei nötig, um offene Gesellschaften tolerant zu halten, gerade in schwierigen Zeiten, hält der Innenminister dem Weltbürger An-Naim entgegen.

Mit einer knappen Antwort auf eine Zuhörerfrage macht Schäuble indirekt auch deutlich, für wie kontraproduktiv er den Eklat um den Hessischen Kulturpreis hält. Es empfehle sich immer, Texte vollständig zu lesen, sagt er in Anspielung auf den Aufsatz des Preisträgers Navid Kermani, an dem sich der katholische Bischof Karl Lehmann gestoßen hatte Und: „Es wird nicht besser, wenn man mehr dazu sagt.“

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