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Oskar Lafontaine (66) war von 1995 bis 1999 Parteivorsitzender SPD, die er 2005 verließ. Bis 2009 führte er gemeinsam mit Gregor Gysi die Bundestagsfraktion der Linkspartei. Drei Jahre lang, bis Mai dieses Jahres, stand er auch an der Parteispitze der Linken.

© Mike Wolff

Oskar Lafontaine: "Logisch, dass die SPD Fehler korrigiert"

Oskar Lafontaine sieht den SPD-Beschluss zur Rente mit 67 nur als "bescheidene Korrektur". Im Interview spricht der Ex-Linken-Chef über seinen Rückzug und das schwierige Verhältnis zu den Sozialdemokraten.

Herr Lafontaine, seit gut 100 Tagen sind Sie nicht mehr Linken-Vorsitzender. Fehlt Ihnen das Mitmischen in der ersten Reihe?

Die neuen Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst machen ihre Sache gut. Wo mein Rat gefragt ist, werde ich ihn auch weiter geben.

Gab es Momente, in denen Sie den Rückzug aus der Bundespolitik bereut haben?

Solche Momente gibt es natürlich immer wieder, wenn man politisch engagiert ist. Aber mein Rückzug hatte ja massive Gründe. Eine Krebserkrankung ist kein Pappenstiel.

Sogar die Parteizeitung „Neues Deutschland“ stellt der neuen Parteiführung ein schlechtes Zeugnis aus. Der Linkspartei gelinge es nicht, die öffentliche Debatte zu beeinflussen. Woran liegt das?

Unsere Meinung wird in den Medien fast immer systematisch ausgeblendet, deshalb dringen wir nicht so durch, wie wir wollen. Die Opposition besteht für viele Medien nur aus SPD und Grünen. Wir machen aber auch Fehler. Wir sollten uns nicht überflüssige interne Debatten liefern, sondern die politische Auseinandersetzung mit den anderen Parteien suchen. Ein entscheidendes Thema ist die Rente.

Die SPD will den Einstieg in die Rente mit 67 um drei Jahre verschieben. Freuen Sie sich über diesen Kursschwenk?

Das ist nur eine bescheidene Korrektur. Die SPD-Beschlüsse ändern nichts daran, dass massive Altersarmut vorprogrammiert ist. Das Rentenniveau wird durch verschiedene Faktoren, die mit der Rente mit 67 gar nichts zu tun haben, in den nächsten Jahren um 33 Prozent gekürzt. Wer heute 1000 Euro im Monat verdient, hat nach 45 Arbeitsjahren einen Rentenanspruch von 400 Euro.

Wie sollte die Politik denn auf die steigende Lebenserwartung reagieren?

Die Löhne sollten wieder der Produktivität folgen. In Deutschland war die Lohnentwicklung in den letzten Jahren um 30 Prozent schwächer als in Luxemburg. Wenn die Löhne steigen, werden auch höhere Renten gezahlt. Dann würden es die Arbeitnehmer auch gut verkraften, wenn der Rentenbeitrag um ein oder zwei Prozentpunkte angehoben wird. Wer den Rentnern wirklich helfen will, muss das deutsche Lohndumping beenden.

Viele haben erwartet, dass nach Ihrem Rückzug die Zusammenarbeit in der Opposition besser läuft. Das Gegenteil ist der Fall. Warum gelingt es SPD und Linken nicht, ihr Verhältnis zu entkrampfen?

Das liegt am Programm. SPD und Grüne stehen für Hartz IV, sie stehen für die Zerstörung der Rentenformel und sie befürworten Kriegseinsätze der Bundeswehr. Wir werden unsere Positionen nicht aufgeben, nur weil SPD und Grüne sie immer erst dann revidieren, wenn es nicht mehr anders geht.

Bei der SPD ist zumindest Bewegung erkennbar. Müsste die Linke nicht auch mal auf die Sozialdemokraten zugehen?

Ich finde es logisch, dass die SPD die Fehler korrigiert, die zu einem massiven Vertrauensverlust bei ihren Anhängern geführt haben. Aber wir können doch nicht unsere Ablehnung von Kriegen aufgeben, um der SPD sympathisch zu werden.

Hat Rot-Rot-Grün 2013 im Bund überhaupt eine Chance?

Das ist allein eine Frage der politischen Ziele. Ich vermag nicht abzusehen, wie sich bis dahin insbesondere die Sozialdemokraten programmatisch verändern.

Wäre es denn sinnvoll, dass sich die Linke im Bund oder in einem westlichen Bundesland an einer Regierung beteiligt?

Eine Regierungsbeteiligung im Westen oder im Bund ist bisher regelmäßig an der SPD oder den Grünen gescheitert. Irgendwann werden diese beiden Parteien erkennen, dass auf Länderebene wirkliche Fortschritte beispielsweise in der Schul- oder Energiepolitik nur in Zusammenarbeit mit den Linken erreicht werden können. Und im Bund gibt’s eine Wiederherstellung des Sozialstaates und eine friedliche Außenpolitik nur mit der Linken.

Warum profitiert die Linke bislang weder vom steigenden Misstrauen der Deutschen gegenüber dem Kapitalismus noch vom Dauerstreit der schwarz-gelben Koalition?

Wir dringen mit den besten Vorschlägen nicht durch. Auch einige unserer Landesverbände müssen ihre Streitigkeiten überwinden und sich auf die Sacharbeit konzentrieren. Dazu kommt, dass einige wenige unserer Mitglieder die Partei oder unsere führenden Politiker regelmäßig öffentlich kritisieren, statt mit inhaltlichen Vorschlägen zu glänzen, die unsere Wähler überzeugen würden. In den Medien werden diese Mitglieder Reformer genannt. Das ist erstaunlich, da mir kein einziger Reformvorschlag dieser Personengruppe bekannt wurde.

Sie haben die rot-rote Landesregierung in Berlin immer wieder kritisiert. Wären Sie froh, wenn dieses Bündnis nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 abgelöst wird?

Ich bin immer dafür, dass sich die Linke an einer Regierung beteiligt. Allerdings nur dann, wenn sie im Sinne ihrer politischen Vorstellungen Fortschritte erreicht. Das wünsche ich mir selbstverständlich auch für Berlin. Dort war es beispielsweise ganz wichtig, dass die Privatisierung der größten Sparkasse Deutschlands durch die Linke verhindert wurde.

Rot-Rot sollte in Berlin weitermachen?

Wenn die Bedingungen stimmen selbstverständlich.

Können Sie sich vorstellen, noch einmal in die Bundespolitik zurückzukehren, wenn Ihr Gesundheitszustand es erlaubt?

Wir haben eine Führung, die ist gewählt. Spekulationen werden in Umlauf gebracht, um die Führung der Linken zu verunsichern. Das ist ein durchsichtiges Spiel, auf das wir nicht hereinfallen sollten.

Viele sehen Sie in der Rolle des heimlichen Parteichefs, ist da nichts dran?

Ach, das sind immer solche netten Zuschreibungen. Gregor Gysi ist ja auch schon oft als heimlicher Parteichef bezeichnet worden. Unsere Parteichefs sind Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Dann haben wir Vordenker und Reformer, Chaoten und Spinner, Betonkommunisten und Regierungssozialisten. Die Medien brauchen solche Bonbons. Im Übrigen: Es gelten die Zuständigkeiten, die auf unserem Parteitag festgelegt worden sind.

Sind Sie froh, dass Sie sich als Ex-Parteichef nicht mehr für Ihren Lebenswandel, Abrechnungen oder Mitgliederstatistiken rechtfertigen müssen?

Das ist wohl der Preis, den alle Politiker linker Parteien in Spitzenfunktionen zahlen müssen. Die Versuchung ist groß, Neid gegen sie zu schüren, wenn sie ein höheres Einkommen haben als ein Hartz-IV-Empfänger. So kann man auch von den skandalösen Millionengehältern in den Vorstandsetagen von Banken und Großunternehmen ablenken.

Das Interview führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

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