zum Hauptinhalt

Politik: Paraguay hofft auf den Wechsel

Bei der Wahl hat die Opposition gute Chancen, die jahrzehntelange Ära der Colorados zu beenden

„Ich bin ein Kind der Diktatur und habe nie etwas anderes gekannt als die Mauscheleien der Colorado-Partei. Mein größter Wunsch ist, einmal im Leben einen Machtwechsel zu erleben“, sagt die Paraguayerin Martha Galeano. Und dann stimmt die 47-jährige Ärztin aus Asuncion in den ohrenbetäubenden Jubel mit ein, als ihr Präsidentschaftskandidat Fernando Lugo die Bühne betritt. Lugo, ein vom Vatikan suspendierter Bischof, ist der neueste Hoffnungsträger der Linken in Lateinamerika, obwohl er sich selbst lieber „im Zentrum“ ansiedelt. Der großgewachsene Mann mit dem silbergrauen Vollbart wird zwar von Basisbewegungen und linken Studentengruppen unterstützt, er polemisiert aber nicht wie der venezolanische Staatschef Hugo Chavez, mit dem ihn die Colorados gerne vergleichen, sondern er winkt strahlend in die Menge und redet von Frieden und Liebe. Mit sonorer Stimme verspricht er ein Ende des Leidensweges – und trifft damit den Nerv seiner Landsleute.

Das Binnenland im Herzen Südamerikas ist so etwas wie der Wilde Westen der Region. Schon zu Kolonialzeiten war Paraguay ein Niemandsland und Schmugglernest. Die seit 60 Jahren herrschende Colorado-Partei hat Korruption und das Recht des Stärkeren zementiert, selbst über den Sturz des Diktators Alfredo Strössner hinaus. Doch langsam bröckeln die Klientelstrukturen, die Colorados sind heruntergewirtschaftet. Wirtschaftlich steht das Land zwar ordentlich da, aber die Sozialstatistiken weisen es als eines der Schlusslichter in der Region aus. 35 Prozent der sechs Millionen Einwohner sind arm, ein Fünftel hat keinen Anschluss an Trinkwasser oder die Kanalisation, 35 Prozent sind arbeitslos oder unterbeschäftigt. Knapp eine Million ist mangels Perspektiven ins Ausland abgewandert.

Lugo, der vor zwei Jahren bei einem Bürgerprotest mehr oder weniger freiwillig in die Politik geriet, verkörpert den Saubermann, die Antipolitik, den ersehnten Wechsel. Umfragen bescheinigen dem 56-Jährigen einen Sieg bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag. Entsprechend angespannt ist die Stimmung bei den Colorados. Präsident Nicanor Duarte fungiert derzeit hauptamtlich als Spitzenkandidat für den Senat sowie als Wahlkampfmanager seiner Präsidentschaftskandidatin Blanca Ovelar und eröffnet deren Meetings mit Brandreden gegen den „kriminellen Priester“ und die „verräterische Presse“. Die als effiziente Technokratin geltende Ex-Bildungsministerin hat nicht viel zu sagen, winkt aber hingebungsvoll mit einem roten Tuch und fordert die rund 200 000 Staatsangestellten auf, „nicht in die Suppe zu spucken“. Die mit Bussen herangekarrten Parteigänger schwenken lustlos rote Fähnchen und interessieren sich mehr für die Verlosung von Radios und Fernsehern.

Ob sich Lugos Vorsprung von sechs Prozentpunkten in den Umfragen am Sonntag auch bei der Wahl niederschlägt und es wirklich zum ersten friedlichen Machtwechsel in 200 Jahren kommen wird, ist alles andere als sicher. „Wir sind der Friedhof aller politischen Theorien“, warnt der Kommentator Alfredo Boccia. Denn in dem sehr ländlichen Paraguay ist die Parteizugehörigkeit eine Familientradition, und außerdem ist fast alles käuflich. Paraguay zählt nach Erhebungen von Transparency International mit Haiti, Venezuela und Ecuador zu den korruptesten Ländern Lateinamerikas. Die Colorados verfügen über eine gut gefüllte schwarze Wahlkampfkasse und kontrollieren den gesamten Staatsapparat bis hin zur Justiz. Bisher konnten sie damit noch immer das Blatt zu ihren Gunsten wenden. Doch diesmal haben sie den Bogen möglicherweise überspannt. Denn schon die parteiinternen Vorwahlen, aus denen Ovelar als Siegerin hervorging, wurden manipuliert. Der sich für den legitimen Sieger haltende Luis Castiglioni boykottiert seither den Wahlkampf seiner Parteigenossin und schwächt die Colorados von innen.

Seit Monaten versucht die Parteiführung mit allen Tricks, das Blatt doch noch zu ihren Gunsten zu wenden. Die Opposition fürchtet Stimmenkauf und Manipulation der Wahlakten. Es droht ein Nachwahlkonflikt. Die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zeigten sich „besorgt über die Rückschritte“ und planen, bis zur endgültigen Proklamation des Siegers in Paraguay zu bleiben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false