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Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland bezeichnete das Nazi-Regime als „Vogelschiss“.

© dpa/Kay Nietfeld

Partei bald „Verdachtsfall“?: Der Schlag gegen die AfD darf nicht als Blamage enden

Die Republik wartet. Wann stuft der Verfassungsschutz die AfD als „Verdachtsfall“ ein? Innenminister Seehofer lässt sich nicht treiben. Zu Recht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Die Aufregung wächst. In Politik und Medien wird heftig diskutiert, wann das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD komplett als „Verdachtsfall“ einstuft.

Wann wird verkündet, dass eine Beobachtung der Partei mit härteren Methoden wie dem Werben von V-Leuten startet? Diese Woche, im Februar, nach der Bundestagswahl – oder gar nicht? Die AfD rumort schon kräftig.

Beim Verwaltungsgericht Köln hat die Partei vorbeugend Eilanträge und Klagen eingereicht. Das BfV soll weder den Verdachtsfall erklären noch sich öffentlich dazu äußern dürfen.

Kurz zuvor präsentierte die AfD ein „Staatsvolk“-Papier, das netterweise auch Deutsche mit migrantischen Wurzeln zu Deutschen erklärt. Aber böse sein kann die Partei immer noch.

Für die Offensive gegen den Verfassungsschutz ist jedes Mittel recht

Sie nutzte einen offenbar durchgestochenen „Zwischenbericht“ des Berliner Verfassungsschutzes, um „Skandal“ zu rufen. Ein Beamter sei in der Behörde gemobbt worden, weil in dem Papier die AfD eher milde bewertet wird. Dass es sich um einen Entwurf handelte, war zweitrangig. Für die Offensive gegen den Verfassungsschutz ist jedes Mittel recht.

Die AfD ist nervös. Mit der Einstufung als Verdachtsfall würde sie endgültig zum Paria. Aber auch für den Verfassungsschutz geht es um viel.

Das Risiko einer Niederlage beim Verwaltungsgericht ist nicht unerheblich. Die vielen Indizien, die das BfV im Gutachten als gewichtige Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen der Gesamtpartei nennt, müssen einer Prüfung durch die Richter standhalten.

Sie sollten überzeugt sein, dass die AfD die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Verfassungsfeindlichkeit nicht nur in Einzelfällen, sondern planmäßig überschreitet. Gibt es Zweifels, kommt ein Beschluss pro AfD. Das wäre, gerade im Superwahljahr, ein Desaster für den Verfassungsschutz insgesamt.

Das mühsam wiedergewonnene Vertrauen würde leiden

In Bevölkerung, Medien und Politik würde die Professionalität des BfV in Frage gestellt. Und nicht nur die AfD, auch andere Gegner des Verfassungsschutzes würden behaupten, das BfV sei politisch getrieben beim Versuch gescheitert, im Wahljahr schnell noch die Partei madig zu machen. Das nach dem NSU-Schock mühsam wiedergewonnene Vertrauen der Bevölkerung in den Verfassungsschutz würde leiden. Ein Debakel auch für die Innenminister von Bund und Ländern. Und den Rechtsstaat.

BfV-Präsident Thomas Haldenwang (Archivfoto).
BfV-Präsident Thomas Haldenwang (Archivfoto).

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Andererseits besteht kein Anlass zu vorauseilender Panik. BfV-Präsident Thomas Haldenwang hat seit seinem Amtsantritt im November 2018 dem rechtsextremen Spektrum, vor allem der Neuen Rechten, viele Schläge versetzt. Und kaum Niederlagen kassiert.

Das BfV musste nur einen Nadelstich hinnehmen

Dass das Verwaltungsgericht Köln im Februar 2019 dem Eilantrag der AfD stattgab, dem BfV zu untersagen, die Partei öffentlich als „Prüffall“ für eine Beobachtung zu bezeichnen, war nur ein Nadelstich. Denn das BfV nahm die Rechten hart ran.

So stufte das Amt für Verfassungsschutz die AfD-Vereinigung „Der Flügel“ vom Verdachtsfall zum klassischen Beobachtungsobjekt hoch, wegen erwiesen rechtsextremistischer Bestrebungen. Vereinigungen im Vorfeld der Partei wurden reihenweise gebrandmarkt.

Die Identitäre Bewegung als eindeutig rechtsextrem, das „Institut für Staatspolitik“ des Demagogen Götz Kubitschek als Verdachtsfall, ebenso das Netzwerk „Ein Prozent“ und die Zeitschrift „Compact“, ein Hetzblatt für Fans des „Flügel“ und Coronaleugner. Zurücknehmen musste das BfV nichts. Haldenwang setzt Rechten mehr zu als Vorgänger Hans-Georg Maaßen. Gut für die Demokratie.

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Angesichts der vielen Provokationen der AfD gibt es schon lange viele Stimmen, die das BfV auffordern, die Einstufung als Verdachtsfall zu vollziehen. Das ist weiter geboten. Das Bundesinnenministerium, das den Verfassungsschützern grünes Licht geben muss, signalisiert allerdings: keine Eile.

Horst Seehofer und seine Experten sind vorsichtig. Sie prüfen seit einer Woche das knapp 1000 Seiten umfassende Gutachten des BfV zu extremistischen Bestrebungen in der AfD. Die Vorsicht ist nachvollziehbar. Schon wegen bitterer Lehren aus der jüngeren Geschichte.

Gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD sind eine Warnung

Die Verbotsverfahren gegen die NPD, glasklar eine Nazipartei, sind gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht urteilte nicht nach politischem Gusto, es ging um rechtliche Maßstäbe. Im zweiten Verfahren vor allem um die Verhältnismäßigkeit eines Verbots. Auch wenn die Causa AfD nur begrenzt vergleichbar ist, werden Gerichte beim Thema Verdachtsfall auch die Verhältnismäßigkeit beurteilen.

[Jetzt noch mehr wissen mit TPlus: Provokationen, Pöbeleien und die AfD im Rücken - Lesen Sie hier ein Interview mit dem Leiter der Gedenkstätte Buchenwald.]

Ist es verhältnismäßig, eine Partei zum Verdachtsfall zu erklären, wenn sich Parteichef Jörg Meuthen und viele Mitglieder vom Rechtsextremismus zumindest verbal distanzieren? In der AfD gibt es ein Patt zwischen halbwegs gemäßigten Mitgliedern und Extremisten. Ist das genug, um die ganze Partei als Verdachtsfall zu werten?

Politisch gesehen: ja. Auch weil die Partei sich bis heute nicht vom Spruch ihres Patriarchen Alexander Gauland distanziert, das Nazi-Regime sei nur ein „Vogelschiss“ gewesen. Strafrechtliche Folgen hatte die menschenverachtende Äußerung allerdings nicht.
Juristisch gesehen dürfte die AfD ein Grenzfall sein. Dass Richter bis hin zum Bundesverfassungsgericht dem „Verdachtsfall“ widersprechen, ist keineswegs auszuschließen. Sollte Seehofer meinen, er benötige über den Januar hinaus Zeit für die Risikoanalyse, dann ist es so. Und besser als eine große Blamage.

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