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Parteitag: FDP-Basis kritisiert "herzlose" Parteiführung

Auf ihrem Parteitag gibt die FDP der SPD die Schuld an der Finanzkrise. Die Steuern will sie stark senken und Opel nicht retten. Doch in der Partei gibt es Widerspruch. Ein Überblick der Streitthemen der Liberalen.

In der FDP wird nicht gern öffentlich gestritten. Szenen wie vom Berliner Grünen-Parteitag, wo die Redner Stunden im Verzug lagen und jeder kleinste Antrag diskutiert wurde – solche Szenen gibt es hier in Hannover nicht. Der 60. FDP-Bundesparteitag läuft wie am Schnürchen. Viele Programmpunkte beginnen überpünktlich. Die Pausen sind oft minutenlang, weil ein Tagesordnungspunkt so schnell abgearbeitet wurde – und die nächsten Redner noch nicht bereit stehen. Manchen Abstimmungen geht keine Kontroverse voran, etwa wie der "Generaldebatte" über die Haltung der Partei zu Opel. Alle vier Redner stimmten dem Antrag zu.

Das heißt nicht, dass die FDP ein einförmiger Haufen ist. Liberale sind für gewöhnlich Individualisten. Im Gespräch genehmigen sich viele eine eigene, durchaus differenzierte Meinung. Nur: Anders als viele Grünen-Mitglieder sind sie keine Berufs-Revoluzzer. Der öffentliche, hitzige Streit auf dem Parteitagspodium entspricht nicht ihrer Kultur. Eher schmieden sie Allianzen, veröffentlichen Positionspapiere oder geben Interviews.


Ein Überblick über die Streitthemen der Liberalen:

Opel

Die Ansichten zum Automobilkonzern sind in der Partei nicht so eindeutig wie es die Debatte und die fast einstimmige Abstimmung suggeriert. Den Antrag "gegen eine Staatsbeteiligung bei Opel" hat Andreas Pinkwart eingebracht, Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident . Der Steuerzahler dürfe nicht für Misswirtschaft in Haftung genommen werden. Pinkwart betont, dass die Rettung von Opel zum Präzedenzfall werden könne. "Andere staatliche Bittsteller" könnte die Politik "besser abwehren", wenn man im Fall Opel hart bliebe, sagte er.

Allerdings regt sich schnell Widerstand in den anderen Ländern, in denen Opel-Standorte angesiedelt sind. FDP-Politiker aus Hessen und Thüringen wollen zunächst einen solchen Parteitagsbeschluss verhindern. Um einen offenen Konflikt  zu umgehen, wird Pinkwarts Antrag um einen Absatz ergänzt. Dort betont die FDP ihren Willen, auch ohne Staatsbeteiligung eine Lösung für Unternehmen und Beschäftigte zu finden.

Sozialpolitik

Ein junger Mann hat am Samstagmorgen als erster den Mut, offen seine Parteiführung zu kritisieren. Johannes Wolf von den bayerischen Jungliberalen ging aufs Podium und sagte: Ihm fehle nach anderthalb Tagen Parteitag etwas Entscheidendes: "das Herz". Er wünsche sich im Wahlprogramm "ein bisschen mehr Sozialpolitik". Später schließen sich andere Redner an, baten, in der neuen Präambel den ein oder anderen sozialpolitischen Aspekt zu erwähnen. Tatsächlich kommt das Wahlprogramm der FDP ziemlich technisch und kühl daher. Nach einigen Stunden entstand der Eindruck, es drehe sich vor allem um Einkommenssteuern, Unternehmenssteuern, Gewerbesteuern, Kapitalgewinnsteuern, Erbschaftssteuern, und viele weitere Steuern mehr.

Philipp Rösler ist so etwas wie der Shootingstar der FDP. Der junge Wirtschaftsminister aus Niedersachsen hatte sich voriges Jahr von der Parteispitze leicht distanziert. Auch diesmal in Hannover übt Rösler kaum verhohlen Kritik am FDP-Kurs. Er sei als Teenager "nicht in die FDP eingetreten" wegen der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Tatsächlich hätte seine Partei "liberale Antworten auf alle Fragen". Er sehe seine Aufgabe künftig darin, diese stärker zu betonen, sagte Rösler kurz vor seiner Wahl ins Präsidium. Sein gutes Ergebnis von mehr als 90 Prozent zeigt, dass Rösler einen Nerv getroffen hat. Auch andere, eher links-liberal eingestellte Politiker wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erhalten gute persönliche Ergebnisse. Oliver Lukner, Kreisvorsitzende aus Biberach, sagt, Rösler und andere "kämpfen" gegen die verbreitete Furcht, dass seine Partei zur "Ein-Themen-Partei" degeneriere.

Schuld an der Krise

Ähnlich skeptisch sieht ein Teil der Delegierten auch die offizielle Analyse der Parteiführung zur Wirtschafts- und Finanzkrise. Wer dachte, die FDP befindet sich nach Clash des Finanzkapitalismus in der Argumentationskrise, der irrt. Eine geflügelte Antwort, unter anderem von Guido Westerwelle oder seinem Generalsekretär Dirk Niebel, ist Folgende: Schuld an der Krise ist in Deutschland, vor allem die SPD. Die sozialdemokratischen Finanzminister Steinbrück und Hans Eichel hatten im letzten Jahrzehnt die Verantwortung über den Finanzmarkt. Die Finanzkrise sei eine Folge der miesen sozialdemokratischen Aufsicht. Die FDP, die seit Jahren forderte, die Landesbanken zu privatisieren, sei in ihren Krisenwarnungen überhört worden.

Der Applaus für solche Sätze ist nicht besonders hoch. Da argumentieren unsere Parteigranden schon ziemlich selbstgerecht, sagt ein Delegierter: Wer habe denn dem ungezügelten, sich selbst regulierenden Kapitalismus das Wort geredet?, fragt er rhetorisch. 

Bildungspolitik

Der schleswig-holsteinische Landesverband fordert in einem Antrag das gebührenfreie Studium. Bildung sei ein Bürgerrecht, die Liberalen stünden für Chancengerechtigkeit, heißt es darin. Auch die Jungliberalen lehnen Studiengebühren mehrheitlich ab. Allerdings stellen sich da die Länder dagegen, in denen die FDP regiert und Gebühren bereits erhoben werden – etwa NRW und Bayern.

Koalition

Westerwelle ist erfahrener, fähiger Redner. Dennoch musste er am Freitag die beiden Wahlziele ablesen, die er offiziell für den Wahlkamp ausgibt. Die FDP will die Große Koalition beenden und eine linke Regierung aus SPD, Grüne und Linkspartei verhindern. Eine Hintertür zur Ampel hielt er sich also offen: Im schlimmsten Fall könnte es diesen Wahlzielen zufolge nötig sein, sich auf eine Koalition mit SPD und Grünen einzulassen.

Tatsächlich sind in Hannover sind kaum Anhänger für eine Ampel zu finden. Die Europa-Spitzenkandidatin Sylvana Koch-Mehrin sagt dazu: "Eher wird Steinbrück Botschafter in der Schweiz, als dass wir mit der SPD koalieren." Eher ist das Gegenteil der Fall: Manche verstehen nicht, warum Westerwelle die koalitionspolitische Tür wieder einen Spalt aufgemacht hat. Die meisten sind sich sicher: Die SPD ist keine ernsthaft Option. Aber man redet nicht so lautstark darüber wie zum Beispiel die Grünen. Auf deren Parteitag kam kein Beitrag ohne FDP-Schmähung aus.

ZEIT ONLINE

Michael Schlieben[Hannover]

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