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Gesundheitspolitik: Pflegebranche boomt – und kränkelt

Die Pflege wird zunehmend zur Wachstumsbranche und zum Jobmotor: Doch Verbände beklagen drohenden Fachkräftemangel.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Der Bedarf an Voll- und Teilzeitbeschäftigten im Pflegesektor wird bis zum Jahr 2050 voraussichtlich auf rund 2,1 Millionen ansteigen und sich damit gegenüber heute verdreifachen. Das geht aus einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (DIW) für den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienst (bpa) hervor. Hauptgründe für dieses enorme Wachstum der Branche sind die steigende Zahl der Pflegebedürftigen auf bis zu vier Millionen, der Trend zur Professionalisierung der Pflege sowie der Rückgang der familiären Pflege. Gegenwärtig werden noch rund zwei Drittel der 2,25 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland zu Hause versorgt.

Schon heute bietet die Pflege mit 885 000 Beschäftigungsverhältnissen mehr Jobs als die Automobilindustrie in Deutschland. Weil die Pflegewirtschaft wenig konjunkturabhängig und vor allem in ländlichen Regionen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sei, erweise sie sich als „stabiler Beschäftigungsanker in der Krise“, resümiert in einer anderen Studie das Wifor-Institut der Universität Darmstadt. Allein zwischen 1996 und 2008 stieg die Bruttowertschöpfung der Pflegewirtschaft um mehr als 50 Prozent.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht dennoch die Gefahr eines drohenden Pflegenotstandes, wenn auf die demografische Entwicklung nicht politisch reagiert werde. Die Pflegebranche sei ein „Riese auf tönernen Füßen“, sagte Verbandsvorsitzender Eberhard Jüttner am Montag in Berlin. Die beeindruckenden Mitarbeiterzahlen könnten nicht darüber hinwegtäuschen, „dass wir dem wachsenden Bedarf nicht gerecht werden“. Notwendig sei eine „attraktivere Vergütung und Arbeitsbedingungen, die mehr Zeit am Menschen und damit auch mehr persönlichen Erfolg und Zufriedenheit ermöglichen“, sagte Jüttner. Für Sparmaßnahmen, wie jüngst die der Bundesagentur für Arbeit bei Umschulungen von Arbeitslosen zu Altenpflegern, bestehe in der Pflege kein Spielraum. Überfällig ist nach Ansicht Jüttners die sofortige Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes – weg von der Minutenpflege hin zum tatsächlichen Unterstützungsbedarf des Pflegebedürftigen.

Auch bpa-Präsident Bernd Meurer forderte, politische Weichen zu stellen für umfassende Umschulung und Qualifizierungen zu Pflegefachkräften. Während heute jeder vierte Bundesbürger älter als 60 Jahre sei, werde im Jahr 2030 jeder dritte dieses Alter erreicht haben. Die besonders häufig auf Hilfe angewiesene Altersgruppe der über 80-Jährigen werde sich bis 2050 fast verdoppeln. Bereits im Jahr 2020 fehlten bis zu 300 000 zusätzliche Pflegekräfte, warnte Verbandspräsident Meurer.

Die DIW-Studie geht davon aus, dass wegen der hohen Arbeitsintensität und der starken Belastung mit Steuern und Sozialabgaben in der Pflegebranche ein „im Branchenvergleich überdurchschnittlicher Schwarzarbeitsanteil zu erwarten“ sei. Angesichts der Probleme in diesem Bereich fordert Meurer einen „Pflegegipfel mit allen gesellschaftlichen Kräften noch 2010“.

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