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Polen in Trauer vereint: Ein letzter Gruß auf Warschaus Straßen

Langsam gleitet der Sarg von Lech Kaczynski durch die Innenstadt Warschaus. Tausende säumen die Straßen, schweigend, viele mit Tränen in den Augen. In der Trauer um den Präsidenten sind die Polen vereint - und rätseln über die Zukunft.

Kurz nach drei Uhr Nachmittag war der Leichnam aus dem russischen Smolensk in einem Flugzeug nach Warschau überführt worden. Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw hatte ihn in der Nacht zum Sonntag einwandfrei identifiziert. „So können die Polen den Präsidenten auf Warschaus Straßen ein letztes Mal begrüßen“, verkündete ein Fernsehsprecher ungewollt komisch. Dagegen konnte die Leiche seiner Frau Maria noch nicht identifiziert und deshalb auch noch nicht nach Polen zurückgebracht werden.

Lech Kaczynskis Präsidentenmaschine war am Samstag kurz vor neun Uhr morgens beim Landeanflug auf dem Militärflughafen von Smolensk im dichten Nebel in einen Waldstück gestürzt. Von den 88 Passagieren und acht Besatzungsmitgliedern überlebte keiner das Unglück.

Niederschmetternder hätte die Symbolik von Kaczynskis grauenvollem Ende für die Polen kaum sein können. Der Staatspräsident hatte sich selbst auf eine Trauerreise begeben und war mit seinen engsten Mitarbeitern, Spitzenpolitikern, den sechs wichtigsten Generälen der Polnischen Armee und Angehörigen von Opfern des Massakers von Katyn vor 70 Jahren zu den Gedenkfeiern nach Westrussland unterwegs.

„Dieses tragische, verfluchte Katyn“, kommentierte Kaczynskis Vorgänger Aleksander Kwasniewski kurz nach der Unglücksnachricht sichtlich bestürzt. Noch am Nachmittag machte sich Kaczynskis geliebter Zwillingsbruder Jaroslaw auf den Weg zur Unglückstelle. Wenig später flog Ministerpräsident Donald Tusk nach Smolensk, wo er noch in der Nacht kurz mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin zusammentraf. Putin sprach den Polen am Samstag in einer Fernsehansprache sein Beileid aus. „Dies ist auch für uns eine Tragödie“, sagte er. Zu Trauermusik ließ Moskaus Staatsfernsehen die Namen der 96 Toten über den Bildschirm laufen. Medwedew und Putin zündeten in einer Kirchenkapelle Kerzen für die Opfer an.

„Dieses Flugzeug hätte nicht mehr fliegen dürfen“, kritisierte die Stadtpräsidentin von Warschau, Hanna Gronkiewicz-Waltz, „bei solchen Käufen sollte man nicht sparen“. Seit Jahren wird in Polen über einen Ersatz für die altersschwache Regierungsflotte aus Sowjetzeiten diskutiert. Bereits 2003 hatte der damalige Regierungschef Miller nur mit viel Glück einen Hubschrauberabsturz in einem Waldstück bei Warschau überlebt. Doch weder unter der Regierung von Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw noch seinem Nachfolger Tusk wurde die hoffnungslos veraltete Regierungsflotte erneuert. „Ein unglaubliches Unglück ist über uns hereingebrochen“, sagte eine Marktsteherin im Stadtteil Praga. „Außer Kaczynski waren vor allem Dutzende von Intellektuellen in der Maschine“, klagte sie. Über den umstrittenen Präsidenten will in dieser Stunde niemand ein schlechtes Wort verlieren.

Kaczynski hatte sich mit seiner nachtragenden Art und seiner Jagd auf vermeintliche kommunistische Agenten in Polen viele Feinde gemacht. Doch in der Trauer sind nun alle Polen vereint. „Mein Schmerz ist unaussprechlich“, sagte eine Frau vor dem Blumenmeer beim Präsidentenpalast in der Nacht zum Sonntag im Gespräch mit den Tränen ringend. Auch Regierungschef Tusk von der liberalen Bürgerplattform (PO), ein erbitterter politischer Gegenspieler der Kaczynski-Zwillinge, soll bei der Todesnachricht spontan in Tränen ausgebrochen sein. „So ein Drama hat die heutige Welt noch nicht erlebt“, sagte er am Samstagmittag um Fassung ringend. Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski (PO) übernahm noch am Samstag, wie von der Verfassung vorgesehen, interimistisch das Präsidentenamt. Innerhalb von zwei Wochen muss er einen Nachwahltermin festsetzen. Die Präsidentenwahl muss spätestens in 60 Tagen stattfinden. Bisher galt er selbst für die regulär im Herbst stattfindenden Wahlen als Favorit. Lech Kaczynski gaben die meisten Umfragen keine Chance auf eine zweite Amtszeit.

Nun rätselt man in Warschau bereits über die Auswirkungen der Flugzeugkatastrophe. Ohne Präsident kann das Land durchaus funktionieren, schlimmer ist die Lücke im Generalstab der polnischen Armee. Beobachter sprechen auch von einem möglichen Sympathiebonus für Polens lahmende Rechtskonservative. Würde sich Jaroslaw Kaczynski zu einer Kandidatur durchringen, könnte er davon durchaus profitieren. Erst allerdings muss sich die PiS, die bei dem Unglück auch ihre Fraktionschefin verloren hat, von dem Schock erholen.

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