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Christine Lambrecht (SPD), heute Bundesministerin der Verteidigung, war als Justizministerin für das neue Gesetz mit verantwortlich.

© dpa / Christoph Soeder

Populismus des Guten: Wie eine Justizministerin ungerecht wurde

Die Strafe für Kinderpornografie könnte wieder entschärft werden. Das ist überfällig, denn sie geht an der Realität vorbei.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Von Gerechtigkeit ist im Grundgesetz nur an zwei Stellen die Rede. Einmal im Bekenntnis zu den Menschenrechten als Grundlage „der Gerechtigkeit in der Welt“ (Artikel 1). Ein zweites Mal beim Amtseid des Bundespräsidenten (Artikel 56), den auch jeder Bundesminister zu schwören hat. Sie sollen „Gerechtigkeit gegen jedermann üben“.

Eine Übung, bei der insbesondere Justizministerinnen und Justizminister nicht scheitern sollten, wenn sie Strafgesetze machen. Zwar entscheidet der Bundestag. Der Regierungsentwurf aber setzt das Maß. Eine Übung in Gerechtigkeit: Bestraft werden soll nur, wer Strafe verdient. Und dann auch nur so, wie es der Schuld des Täters angemessen ist.

Versagt hat in dieser Übung in unvorbildlicher Weise Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in ihrer früheren Funktion an der Spitze des Justizressorts. Gegen vielfachen Expertenrat und mutmaßlich in Verleugnung eigenen besseren Wissens brachte sie ein Gesetz auf den Weg, das die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie mit einem Jahr Mindeststrafe belegt und damit förmlich von einem Vergehen zu einem Verbrechen heraufstuft. Der solcherart geänderte Paragraf 184b des Strafgesetzbuchs trat 2021 in Kraft.

Es spricht nichts dagegen, abscheuliche Delikte hart zu bestrafen. Das Spektrum der leider so genannten Kinderpornografie ist aber breiter, als der Begriff es nahelegt.

Jost Müller-Neuhof

Es spricht nichts dagegen, abscheuliche Delikte hart zu bestrafen. Das Spektrum der leider so genannten Kinderpornografie ist aber breiter, als der Begriff es nahelegt. Es handelt sich nicht nur um Abbilder entsetzlichen Missbrauchs, sondern oft genug um „Sexting“ unter Kindern und Jugendlichen, den Versand von Nacktaufnahmen oder Genitalbildern mit sexueller Ansprache. In der Statistik sind die Kinderpornografie-Delikte förmlich explodiert. Doch je nach Art der Begehung sind 40 bis 50 Prozent der Tatverdächtigen Menschen unter 18 Jahren.

Ein Richter hat seinen Fall beim Bundesverfassungsgericht vorgelegt

Alles Verbrecher? Ein Münchner Amtsrichter hat dem Bundesverfassungsgericht den Fall einer Mutter vorgelegt, die im Handy ihres Kindes das Nacktbild einer Achtjährigen vorfand und es „aus Empörung“, wie im Richterbeschluss steht, an andere Eltern schickte. „Die Angeklagte handelte – sicher – ohne pädosexuellen Hintergrund“. Doch nun droht der Frau neben der Mindeststrafe ein Eintrag ins Führungszeugnis. Für solche „harmlosen Fälle“, wie sie der Amtsrichter nennt, sei die Anwendung des heraufgesetzten Strafrahmens unverhältnismäßig – und damit verfassungswidrig.

Wann in Karlsruhe darüber entschieden wird, steht in den Sternen. Hoffnung macht die Justizministerkonferenz in Berlin kommende Woche. Sie diskutiert einen Antrag aus Brandenburg, das Delikt wieder in die alte Form zurückzustufen, damit „harmlose Fälle“ angemessen behandelt werden können. Einige Bundesländer haben schon Zuspruch signalisiert, die Ampel-Rechtspolitikerinnen und -politiker werden es ähnlich sehen: Hier ist etwas schiefgelaufen, das korrigiert werden muss. Tausenden Beschuldigten droht nichts anderes als eine ungerechte Strafe.

Die Angeklagte handelte – sicher – ohne pädosexuellen Hintergrund.

Aus dem Vorlagebeschluss des Amtsgerichts München

Das alles war nicht neu und nicht unvorhersehbar für die damalige Justizministerin Christine Lambrecht. Sie war zunächst gegen die Verschärfung, fiel dann aber um. Sie ließ sich von der Großen Koalition treiben, die sich ihrerseits von Schlagzeilen treiben ließ. Jeder neue spektakuläre Missbrauchsfall stellte einen Anspruch an die Politik, solches Tun wirksam zu beenden. Das mit der Heraufstufung zum „Verbrechen“ klang zu gut, um es zu unterlassen. Es gibt ihn eben, den Populismus des Guten.

Mit dem Ausscheiden aus dem Amt verabschieden sich Minister von der Verantwortung. Von der Verteidigungsministerin sollte man deshalb kein Wort erwarten zu ihrem früheren Wirken als Justizministerin. Dabei wäre es angebracht: Sie hätte widerstehen müssen, wie es ihre Pflicht gewesen wäre.

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