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Porträt: Hauptmann Niebels Dritte Welt

Eigentlich wollte er das Entwicklungshilfeministerium abschaffen. Jetzt ist er selber der Minister. Der FDP-Mann wusste, dass er deshalb Hohn und Spott ernten würde. Inzwischen ist das Lachen verstummt.

Ein Berg von deutschem Mann steht auf einem sandigen Platz im äthiopischen Dorf Abdi Buch, keine 60 Kilometer von der Grenze zu Somalia. Mitten im Trubel, den seine vielen hundert Gastgeber ihm zu Ehren veranstalten, organisiert er den geordneten Rückzug.

Er trägt Wanderstiefel, graue Hosen, ein hellblaues Hemd. Gerade hat er in einer Baracke ein 13-jähriges Mädchen höflich gefragt, ob es denn wirklich noch weiter die Schulbank drücken wolle und auch nicht so früh heiraten – was diese artig bestätigte. Zufrieden tritt er hinaus auf den Platz, setzt seine Ray-Ban-Sonnenbrille auf und die olivgrüne Fallschirmjägermütze und ruft: „Herr Oberst.“ Lauter: „Herr Oberst!“ Als der einzige Deutsche in Uniform weit und breit sich immer noch nicht rührt, schreit der Mann mit der Mütze: „Herr Oooberst Dreyer!“ Und schiebt lachend hinterher: „Ich kann das auch.“

Brüllen kann Dirk Niebel, der Bundesentwicklungshilfeminister. Er tut es aber nur zum Spaß seiner Begleiter, die wissen, dass er gern mit seinem Image kokettiert. Daher trägt es auch der Angebrüllte mit Fassung. Die deutsche Botschaft in der Hauptstadt Addis Abeba hatte ihn, den örtlichen Militärattaché, dem Minister für den Tag in der Wüste zur Seite gestellt, damit er dessen gut 40-köpfige Delegation aus Unternehmern, Abgeordneten, Diplomaten und Journalisten auf der Reise durch den Osten des armen Landes zusammenhält. Er soll stets laut ankündigen, wann welche Teilnehmer wieder in ihre weißen Geländewagen einsteigen sollen. „Aufsitzen“, ruft er dann. Weil Niebel die vom Oberst verkündete Wagenbelegung missfällt, ruft er nach ihm, damit er diese korrigiert.

Es ist eine typische Szene aus „Hauptmann Niebels Dritte Welt“, wie man es nennen könnte, wäre es eine TV-Show. Vergangene Woche produzierte der FDP-Mann die Folgen 34 im Jemen und 35 in Äthiopien seit seinem Dienstantritt vor 15 Monaten. Von jeder Reise gibt es diese Fotos mit der Mütze. „Ich war fünf Jahre lang Generalsekretär, natürlich provoziere ich gern“, sagt Niebel. Allerdings findet er die Kritik daran „lächerlich“. Mit der Mütze hebe er sich nur „wohltuend von meiner Amtsvorgängerin ab“. Und während seine Kritiker in der Heimat noch damit beschäftigt sind, sich über diese Fotos und Fernsehaufnahmen lustig zu machen, widmet Niebel sich der viel größeren Mission: Er baut das System der deutschen Entwicklungshilfe komplett um.

Abendempfang in der deutschen Botschaft Addis Abeba: Zur Grußrede stellt Niebel sein Glas Rotwein auf einem Sims hinter der gehissten Europaflagge ab und redet ruhig und druckreif: „Wir brauchen eine werteorientierte Entwicklungspolitik, die auch interessengeleitet sein kann. Staaten haben keine Freunde, sondern in erster Linie Interessen.“

Unter den rund 100 Gästen sind auch direkt Betroffene seiner Politik: Entwicklungshelfer, Abteilungsleiter der ehemaligen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und zweier kleinerer Organisationen, die es seit zwei Wochen nicht mehr gibt, da Niebel alle drei zusammengelegt hat zur neuen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. „Das wird dazu führen, dass auch die eine oder andere Doppelstruktur abgebaut wird.“ Die Reform sei nötig gewesen, „um die Kontrolle der Regierung zurückzugewinnen“. Stille im Saal, hinten etwas Gemurmel, am Ende nur diplomatischer Sekundenapplaus.

Unter Beobachtern über Parteigrenzen hinweg ist kaum umstritten, dass das System der staatlichen deutschen Entwicklungshilfe seit den 60er Jahren ein Eigenleben entwickelt hat. Einigen Geschäftsführern der GTZ, die maßgeblich vom Ministerium finanziert wird, schien es egal zu sein, wer unter ihnen zuständiger Bundesminister ist. Mehrere Regierungen planten eine Zerschlagung des undurchsichtigen Geflechtes von Unterreferaten und Förderprogrammen, ihnen fehlte aber in letzter Konsequenz der Wille oder die Macht dazu. Dann kam Niebel.

Der 47-jährige Hauptmann der Reserve wurde einer breiten Öffentlichkeit spätestens ab 2005 bekannt, als er zum Generalsekretär der FDP gewählt wurde. Er profilierte sich mit markigen Forderungen wie der Abschaffung der Agentur für Arbeit und im letzten Bundestagswahlkampf mit dem Vorschlag, das Entwicklungshilfeministerium abzuschaffen und die Aufgaben dem Auswärtigen Amt zuzuschlagen. Heute erklärt er, dass das in den Koalitionsverhandlungen nicht möglich war. „Da stand die Partei vor zwei Möglichkeiten: Irgendwen das machen lassen – womöglich weiter wie bisher. Oder es selber besser zu machen, wohl wissend, dass das die mediale Höchststrafe bedeutet.“ Tatsächlich erntete er vor allem Spott dafür, den Posten selbst anzunehmen.

Jetzt spottet kaum mehr jemand im politischen Berlin. Häme ist Anerkennung dafür gewichen, dass er die drei Entwicklungsgesellschaften zusammengelegt hat. Und bissiger Kritik, dass er es nicht bei einer Reform der Organisation belässt, dass er die deutsche Entwicklungshilfepolitik neu definiert, zu einem Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik macht, als Geldgeber auch stärker Ansprüche im Ausland stellt.

An einem warmen Nachmittag besucht Niebel das äthiopische Ministerium für öffentliche Dienste. Er sitzt gerade an einem langen Tisch und stellt dem Gastgeber, Minister Junedin Saddo, die politischen Mitglieder seiner Delegation vor: „Hier zu meiner Linken sitzt Thilo Hoppe, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Das ist eine Oppositionspartei – hoffentlich noch für sehr lange Zeit.“ Die Äthiopier lachen, Hoppe lacht mit. „Sie sehen“, fügt Niebel hinzu, „dass wir bei uns in Deutschland mit der Opposition zusammenarbeiten. Ohne Gewalt“, und spielt damit auf den Umstand an, dass im äthiopischen Unterhaus lediglich einer von 548 Abgeordneten der Opposition angehört.

Niebel lädt in dem Gespräch auch die anderen beiden mitgereisten Mitglieder des Bundestages ein, Fragen zu stellen, darunter Annette Groth von der Linken. Bevor die etwas sagt, sagt er den Äthiopiern Sätze, die auch die Linke genauso hätte formulieren können: „Elf Prozent Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr ist eine bemerkenswerte Leistung. Aber es spiegelt sich noch nicht genügend im Aufbau von Arbeitsplätzen wieder.“ Dann sagt er: „Was uns ganz besonders wichtig ist, ist dass alle Bürger Ihres Landes Zugang zu staatlichen Dienstleistungen bekommen.“ Schließlich setzt er dann auch urliberale Akzente. Er erwarte, dass von den Programmen, die Deutschland finanziert, nicht nur staatsnahe Unternehmen profitieren. Und er spricht über das Bildungssystem, betont die Wichtigkeit von Freiheit bei Inhalten, die vermittelt werden. „Es hat sich gezeigt, dass kreative Forscher immer bessere Ideen gehabt haben als Bildungsbürokraten.“

Wer ist dieser Mann, der es wagt, Ratschläge zu geben? In Zeiten der schnellen Fotos und 30-Sekunden-O-Töne, die Politiker für die TV-Nachrichten abgeben, kann man Niebel leicht auf den ehemaligen Zugführer einer Luftlandebrigade reduzieren, der er mal war. Sein öffentliches Auftreten fördert das. Dabei ist sein Werdegang mitnichten so gradlinig.

Niebel wurde 1963 in Hamburg geboren. Sein Vater, ein promovierter Wirtschaftswissenschaftler, war angestellt bei einem Konsumgüterkonzern, seine Mutter eine studierte Lehrerin der Haushaltswirtschaft. Die Eltern trennten sich, er wuchs mit Mutter und beiden Schwestern im reichen Stadtteil Blankenese auf – „nicht in einer Villa, aber ordentlich“, sagt er. „Ich glaube, ich bin ein gutbürgerliches Kind dieser Republik.“

Als Jugendlicher trat er der CDU bei, wechselte nach dem Studium des Parteiprogramms mit 18 Jahren zur FDP. Nach der Schule ging er zum Arbeiten in einen Kibbuz, aus dieser Zeit stammt seine Sympathie für Israel. Bis heute spricht er etwas Hebräisch und hört auf seinem iPod Songs von Liel Kolet, einer jungen israelischen Sängerin.

Als junger Mann ging er zur Luftlandebrigade 25, einer Eliteeinheit, ins badische Calw. Aus der Zeit stammt seine 27 Jahre alte Mütze mit einem silbernen Button, dem Emblem der Fallschirmjäger: einem Adler im Sturzflug im Ährenkranz. Auf die Frage, welche seiner Reisen ihn als Minister am tiefsten beeindruckt hat, sagt er, ohne zu zögern: „Eindeutig die Reise nach Afghanistan Ostern letzten Jahres. Weil ich unsere drei gefallenen Soldaten mit nach Hause bringen musste.“

Im achten Jahr seiner Dienstzeit begann er sein Studium an der FH Mannheim zum Diplom-Verwaltungswirt. Dann wurde er Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt Heidelberg.

Bei einem Urlaub auf der Insel Kreta lernte er seine spätere Frau Andrea kennen. Das Paar hat drei Söhne, zehn, 15 und 17 Jahre alt, die alle drei wie er und schon sein Vater Rugby spielen, aber bisher „leider“ keiner den Jungen Liberalen beigetreten ist. Nach der Geburt des zweiten Sohnes, nahm Niebel ein Jahr lang Erziehungsurlaub, wie es damals hieß, um seiner Frau den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen.

Ist Niebel also ein heimlicher Softie, weil er privat schon früh die Grenzen moderner Familienpolitik ausgelotet hat? Nach einem einstündigen Gespräch mit Äthiopiens umstrittenem Ministerpräsidenten Meles Zenawi, der sein Land seit 1995 zunehmend autokratisch regiert, tritt Niebel in die Lobby und zeigt sich vor der Presse „beeindruckt von der scharfen Analysefähigkeit“ des Premiers. Später erklärt er in kleiner Runde, Deutschland habe ein vitales Interesse daran, dass die gesamte Unruheregion um das Horn von Afrika sich stabilisiert. Somalia, Eritrea, Sudan: Äthiopien liegt mitten drin. Er lässt keinen Zweifel daran, dass es vor allem auch deshalb Sinn hat, Äthiopien weiter zu unterstützen.

Wie seine Amtsvorgänger zögert auch Niebel nicht, autoritäre Herrrscher wirtschaftlich zu stützen, aus Angst, dass sich ohne sie Anarchie breitmachen könnte, was am Ende auch Deutschlands Sicherheit tangieren könnte. Dass diese Politik sinnvoll ist, stellen die Bürger Tunesiens gerade infrage. Niebels Kritiker halten seine Vermischung von entwicklungspolitischen und militärischen Interessen zugleich für gefährlich, da Entwicklungshelfer in Krisenregionen den Zorn der einheimischen Bevölkerungen auf sich ziehen könnten, wenn sie mit kämpfenden Soldaten in Verbindung gebracht werden.

Nach dem langen Tagesausflug und dem Schütteln hunderter Hände in der Wüste steigen Niebel und seine Delegation wieder in den Airbus der Luftwaffe. Niebel drängt durch den Gang der Maschine nach hinten, wo drei seiner Personenschützer gerade ihr Gepäck verstauen. Niebel geht leicht in die Knie legt die Handflächen zusammen, als würde er Wasser zum Trinken schöpfen und sagt nur leise „Jungs?“. Sofort ziehen die drei drahtigen Männer aus Jacke oder Seitentasche der Hose je eine kleine Flasche Sterillium hervor und geben dem Minister gleichzeitig kräftige Spritzer der blauen Desinfektionslösung in die Hände. Er wäscht sich damit, sie lachen. Wieder ein wahrlich sauberer Rückzug organisiert.

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