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Die Präsidentschaftswahl in Frankreich geht in die nächste Runde. Wer macht das Rennen?

© dpa

Präsidentenwahl in Frankreich: Votum des Leidens

Nun rechnen sie alle. Denn nach dem knappen Sieg von Francois Hollande über Nicolas Sarkozy lautet die große Frage: Wie viele der Stimmen, die Marine Le Pen und ihre rechtsextreme Front National bekommen haben, können die Kandidaten in der Stichwahl zu sich herüberziehen?

Als ob nichts gewesen wäre, gerade so, als ob es sich bei seiner Niederlage vom Sonntag nur um eine harmlose Panne gehandelt hätte, geht es am Montagmorgen einfach weiter wie bisher. Nicolas Sarkozy wendet sich beim Betreten seines Wahlkampfbüros in der Avenue de la Convention im 15. Pariser Arrondissement an alle, die dort auf einen Kommentar von ihm zum Ausgang der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen warten, zu seinem zweiten Platz hinter dem Sozialisten Francois Hollande.

„Es ist ein Votum des Leidens“, sagt Sarkozy in die Mikrofone der Reporter und fügt hinzu, „ich habe es verstanden.“

27,18 Prozent, so lautet das vorläufige Ergebnis für Sarkozy, der um eine zweite Amtszeit als Präsident kämpft. Damit liegt er nur 1,45 Prozentpunkte hinter Francois Hollande zurück. Im Vergleich zu den Hochrechnungen noch vom Wahlabend, die dem Rivalen einen Vorsprung von bis zu drei Punkten voraussagten, ist Sarkozys Rückstand geschrumpft.

Die Präsidentschaftswahl in Bildern

Das hat seine Angriffslust gestärkt. Und so führt er seinen Wahlkampf gleich am Montag nahtlos fort, nun eben zur zweiten Runde, denn am 6. Mai ist Stichwahl – und er geht sofort zur Attacke über. „Wenn Hollande sich der Konfrontation entziehen will, fällt das auf ihn zurück“, sagt er und meint damit die Weigerung des Sozialisten, sich bis dahin in drei Fernsehduellen mit ihm zu messen. Hollande will lediglich an dem traditionell einmal stattfindenden TV-Duell teilnehmen. Die Wähler, die mit diesen Fernsehauftritten, mit dem ganzen noch stattfindenden Wahlkampf vor allem erreicht werden sollen, sind die von Marine Le Pen von der rechtspopulistischen Front National. Die erzielte am Sonntag 17,9 Prozent – ein besseres Ergebnis, als der Parteigründer, ihr Vater Jean-Marie Le Pen, je schaffte.

Sarkozy hofft, dass er von diesen Stimmen so viele auf seine Seite ziehen kann, dass es am 6. Mai zum Sieg reicht. Und er hat einen Mann an seiner Seite, der sich dort, im rechten Milieu, auskennt: Patrick Buisson, einen Politologen, der von der extremen Rechten den Weg zur gemäßigten Rechten gefunden hat. Buisson hatte Sarkozy schon 2007 geraten, mit populistischen Äußerungen zum Islam, zur Einwanderung oder zur inneren Sicherheit der Front National Wähler abzuwerben. Eine Million Stimmen holte er damals auf diese Weise. Diesmal hat das nicht mehr funktioniert. Die Wähler der extremen Rechten zogen das Original der Kopie vor.

Marine Le Pen hatte es vermocht, die Front National zu entdämonisieren, sie von dem Image einer rechtsradikalen Rabaukentruppe zu befreien. In der ehemaligen Bergwerksstadt Hénin-Beaumont im Département Pas-de-Calais, ihrer Hochburg, kam sie auf 35 Prozent der Stimmen. In anderen Regionen wie dem Elsass, Lothringen, Nizza oder dem südfranzösischen Departement L’Hérault, in denen die Front National auch bei früheren Wahlen stark vertreten war, schnitt sie ebenfalls überdurchschnittlich ab.

„Frankreich ist rechter als man glaubt.“

„Es gibt Sorgen, Leiden und Ängste vor den Umwälzungen in der Welt“, sagte Sarkozy am Wahlabend zum Erfolg Le Pens. Er verstehe diese Ängste vor offenen Grenzen, vor Produktionsverlagerungen, Immigranten und Werteverfall, erklärte er und appellierte an „alle Franzosen, die Vaterlandsliebe über parteipolitische Überlegungen zu stellen“.

Buisson habe Le Pens hohen Stimmenanteil keineswegs als Katastrophe empfunden, wissen Insider aus dem Elysée-Palast zu berichten, sondern als Chance, in der zweiten Runde Stimmen für Sarkozy zu mobilisieren. Selbst Berater des Präsidenten, die den Rechtsdrall zuvor kritisiert hatten, befürworten jetzt die Strategie eines europäischen Protektionismus verbunden mit einem ökonomischen Patriotismus und einer stärkeren Akzentuierung der Autorität des Staates.

„Frankreich ist rechter als man glaubt“, sagt die ehemalige konservative Ministerin Christine Boutin. Klein sind deshalb die Anstrengungen, die Sarkozy unternimmt, um die Wähler des auf eine Sanierung der Staatsfinanzen drängenden Zentristen Francois Bayrou zu sich zu locken, der 9,13 Prozent der Stimmen erhielt. Unkontrollierte öffentliche Ausgaben werde es unter ihm, Sarkozy, nicht geben, lautete die einzige Botschaft, die er am Wahlabend an die richtete. Der Schlüssel zum Sieg liegt für Sarkozy nicht in der Mitte, sondern rechts außen.

Und auch Francois Hollande, der Sozialist, muss sich dorthin wenden, wenn er gewinnen will. Zwar hat er eine bessere Ausgangslage für die zweite Runde. Doch diese Pole-Position verdankt er auch der Wanderung jener rechten Wähler, die 2007 von Le Pen zu Sarkozy wechselten und nun zu Le Pen zurückkehrten, so sieht es jedenfalls die Zeitung „Le Monde“. Um sich den Sieg über Sarkozy zu sichern, muss Hollande aus dem „Votum des Zorns“ Stimmen für ein „Votum der Hoffnung“ gewinnen. Und so hielt er denn am Wahlabend eine Rede, in der er, ohne die Wähler Le Pens ausdrücklich zu benennen, „alle Bürger, die eine Republik wollen, die auf der Idee des unparteiischen Staats aufbaut, zur größtmöglichen Sammlung“ aufrief.

Hollandes Berater drücken diesen pathetischen Appell einfacher aus, wenn sie wie Auquinlino Morell sagen, unter den Wählern Le Pens gebe es auch „verirrte Schafe der Linken“, die es zurückzuholen gelte. Seinen Wahlkampf zur zweiten Runde werde Hollande daher auf „das ländliche Frankreich, das Frankreich der Banlieue, an das Frankreich der Unsichtbaren und der Vergessenen“ richten, sagt Manuel Valls, der Kommunikationsdirektor seines Wahlkampfstabs.

Auf offizielle Hilfe von Le Pen braucht keiner der Beiden hoffen.

Sicher sind dem Sozialisten für die Stichwahl bereits die Stimmen derjenigen, die in der ersten Runde für Jean-Luc Mélenchon gestimmt hatten, den Kandidaten der Partei Die Linke. Mit 11,11 Prozent schnitt der zwar nicht so gut ab, wie ihm vorausgesagt worden war, doch bei einer Kundgebung am Stalingrad-Platz, wo das Hauptquartier der einstmals starken Kommunistischen Partei steht, rief der seine Anhänger auf, „ohne eine Gegenleistung zu erwarten“, gegen Sarkozy zu stimmen.

Auch die Grünen, deren Kandidatin Eva Joly mit 2,3 Prozent erfolgreicher war als 2007 ihre Vorgängerin Dominique Voynet, die damals nur auf 1,5 Prozent kam, werden für Hollande stimmen. Sie haben mit der Sozialistischen Partei ein Abkommen für die Parlamentswahl im Juni geschlossen, das ihnen für ihre Unterstützung Hollandes Sitze in der Nationalversammlung sichert. Das müssen sie honorieren. Wenn man die Stimmen zusammenzählt, die auf Joly, Mélenchon, Hollande und die übrigen kleinen linken Kandidaten fallen, kommt man auf 44 Prozent, Sarkozy liegt dagegen nur knapp über 30 Prozent.

Auf offizielle Hilfe von der Front National für die zweite Runde braucht indes keiner der beiden Kandidaten zu hoffen. Für Marine Le Pen sind Sarkozy und Hollande nur die Vertreter der „Parteien der Banken und der Finanzen“, wie sie am Wahlabend sagte.

Einige Aufschlüsse über den möglichen Ausgang der Präsidentenstichwahl vermitteln die Erhebungen zum sogenannten Stimmentransfer, also Umfragen, mit denen die Institute die beabsichtigten Stimmabgaben jener Wähler zu ermitteln versuchen, die in der ersten Runde für Kandidaten votierten, die nun ausgeschieden sind.

Nach einer dieser Umfragen, die allerdings mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden sind, kann Sarkozy damit rechnen, dass 60 Prozent der Wähler Le Pens für ihn stimmen werden, Hollande kann 18 Prozent ihrer Stimmen erwarten. Die übrigen wollen sich enthalten. Die Wähler des sparsamen Zentristen Bayrou, der ebenfalls keine Wahlempfehlung gibt, wollen zu einem Drittel für Sarkozy, zu einem Drittel für Hollande und zu einem weiteren Drittel überhaupt nicht abstimmen. Die für den Kommunisten Mélenchon stimmten, wollen zu 90 Prozent Hollande wählen. Andere Institute kommen zu ähnlichen Zahlen, die sich unterm Strich zu einem Vorsprung von bis zu 56 Prozent für Hollande addieren.

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