zum Hauptinhalt

Politik: Präsidentenwahl in Polen: Der Akten-Putsch - Wie Polens Rechte die verlorene Wahl doch noch zu gewinnen versucht (Kommentar)

Ertrinkende greifen nach jedem rettenden Strohhalm. Auch wenn er vom Misthaufen kommt?

Ertrinkende greifen nach jedem rettenden Strohhalm. Auch wenn er vom Misthaufen kommt? Wenn das nackte Leben auf dem Spiel steht - selbstverständlich. Politiker sollten etwas wählerischer sein, zumal wenn es nur um ihre Karriere geht.

Spannend in Bezug auf die im Oktober anstehende Präsidentenwahl in Polen war bis vor kurzem eigentlich nur noch, ob Amtsinhaber Aleksander Kwasniewski in der ersten Runde gewinnt oder in die Stichwahl muss. Der 46-Jährige, der es als jugendlicher Mitläufer in den letzten Jahren des Kommunismus noch zum Sportminister brachte, hat sich als Staatsoberhaupt seit 1995 den Ruf eines über den Parteien stehenden Präsidenten erworben - und ist auch im Ausland angesehen. Sein Kontrahent Marian Krzaklewski von der Gewerkschaft Solidarnosc hatte zwar 1997 ein politisches Meisterstück vollbracht, als er die zersplitterten nationalkonservativen Grüppchen zum Wahlbündnis AWS einte und zum Sieg in der Parlamentswahl führte. Aber in den drei Jahren seither wirkte er durch seine Scheu vor politischer Verantwortung und allzu viel Taktieren immer blasser.

Und plötzlich soll der unangefochtene Favorit Kwasniewski von der Kandidatenliste gestrichen werden - weil Geheimdienstunterlagen auftauchen, die der für die Überprüfung zuständige Sonderprokurator seit einem Jahr angefordert hatte, das Amt für Verfassungsschutz (UOP) aber angeblich erst jetzt zusammenstellen konnte. Das kann man rügen, wie es der Parlamentsausschuss für Verfassungsfragen parteiübergreifend tat - weil es den Eindruck einer politischen Intrige erwecken könnte.

Man kann aber auch ganz brutal vom Versuch eines Staatsstreichs sprechen - wie Adam Michnik, Chefredateur der größten Zeitung, "Gazeta Wyborcza". Dem Dissidenten, der im Kommunismus mehrfach im Gefängnis saß, kann niemand besondere Vorlieben für den Ex-Kommunisten Kwasniewski vorhalten. Ein Schurkenstück, empört sich Michnik: 60 Prozent der Wähler sind laut Umfragen für Kwasniewski. Man dürfe ihnen nicht mit Hilfe fragwürdiger Akten das von ihnen gewünschte Staatsoberhaupt nehmen. Das sei ein Anschlag auf die Demokratie. Wenn die Gesetze das erlaubten, dann seien die Gesetze eben schlecht.

Und ein Anschlag auf Polens Würde sei es, Lech Walesa weniger zu glauben als Geheimdienstunterlagen und -offizieren. Der Nobelpreisträger, die Ikone des Sieges über die kommunistische Diktatur - auch er ein mieser Spitzel, Deckname "Bolek"?

In allen drei Punkten hat Michnik Recht. Die Strohhalme, nach denen Polens Rechte greift, stammen vom Misthaufen der Geschichte. Polens Lustration taugt nichts - vor allem, weil die Unterlagen unzuverlässig sind. Polen hat es versäumt, sie rechtzeitig sichern zu lassen. Etwas Entsprechendes wie die Gauck-Behörde wird erst jetzt aufgebaut. In den zehn Jahren nach der Wende konnte viel entfernt, hinzugetan, manipuliert werden. Und selbst wenn der Geheimdienst Walesa wirklich als "Bolek" und Kwasniewski als "Alek" und als "Berichte schreibende Quelle" führte - nach all den deutschen Stasi-Diskussionen sollte man wissen: Nicht alles, was in den Akten steht, darf man für bare Münze nehmen.

Wäre es nicht so traurig, müsste man eher spotten: Wenn Polens Kommunisten sich tatsächlich eines Walesa und eines Kwasniewski bedienen wollten, um an der Macht zu bleiben, dann haben sie einen Fehlgriff getan, der aller Schadenfreude wert ist. Walesa gilt zu Recht als Totengräber des Ostblocks. Kwasniewski hat Polen in die Nato geführt - und wenn die EU-Träume sich doch noch bald erfüllen, dann wird auch das dem amtierenden Präsidenten mindestens so sehr zu verdanken sein wie der amtierenden AWS-Regierung. Die verzettelt sich lieber mit Intrigen, die Polen zum kranken Mann Europas machen, als damit, die nötigen Reformen abzuschließen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false