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Die einen wollen viele Brasilianer loswerden (Dilma Rousseff, r.), die andere wollen viele aber nicht haben (Marina Silva, l.).

© dpa

Präsidentschaftswahl in Brasilien: Brasilianer wollen den Wechsel - aber nicht Marina Silva

Am kommenden Sonntag wählen die Brasilianer eine neue Präsidentin. Viele finden, Dilma Rousseff sei lange genug an der Macht und wollen einen Wechsel - aber nicht mit der Herausforderin Marina Silva. Die Wahl lässt sich das Land dreimal so viel kosten wie die Fußball-WM.

Es ist paradox: In Brasilien herrscht politische Wechselstimmung, doch es gibt niemanden, der sie aufgreifen und von ihr profitieren könnte. So scheint es wenige Tage vor den Wahlen am kommenden Sonntag am wahrscheinlichsten, dass Präsidentin Dilma Rousseff zwar nach dem ersten Urnengang in die Stichwahl muss; diese wird sie jedoch laut jüngsten Umfragen knapp gegen ihre Hauptkonkurrentin Marina Silva gewinnen.
Zwar erlebte die Herausforderin ein sensationelles Umfragehoch, nachdem sie im August für den tödlich verunglückten Eduardo Campos von dessen kleiner Sozialistischer Partei (PSB) zur Spitzenkandidatin ernannt worden war. Ihr Versprechen, eine neue Politik zu machen, stieß auf große Zustimmung. Schnell jedoch zeigte sich die Inhaltsleere von Silvas Programm, das sich in den üblichen Phrasen erschöpfte. Für die vielen Brasilianer, die mehr Transparenz im politischen Prozess sowie signifikante Investitionen in Bildung, Transport, Gesundheit und Sicherheit fordern, hat Silva nichts Greifbares zu bieten. Vielen ist auch ihre Zugehörigkeit zu einer evangelikalen Kirche suspekt. Die einflussreichen Pfingstkirchen beziehen in gesellschaftspolitischen Fragen extrem konservative Positionen, etwa wenn es um die (verbotene) Abtreibung oder die Gleichberechtigung von Homosexuellen geht.

DilmaRousseff könnte bis 2019 Präsidentin bleiben

Rousseffs aufgeschreckte Arbeiterpartei, die Partido dos Trabalhadores (PT), verwendete zudem viel Sendezeit dafür, Silva als unkalkulierbares Risiko für Brasilien darzustellen. Die Negativwerbung hat gewirkt. Auch weil der PT rund zehn Minuten tägliche Werbezeit im Fernsehen zustehen, während Silva nur zwei Minuten hat. Würde Dilma Rousseff die Wahlen gewinnen, belegte sie den Präsidentenpalast bis 2019. Die PT stellt das Staatsoberhaupt bereits seit 2003, als Rousseffs Ziehvater und Parteigründer Lula da Silva in den Planalto genannten Amtssitz einzog. Für viele Brasilianer, insbesondere aus der Ober- und der neuen Mittelschicht, ist das zu lang. Sie werfen der PT nicht zu Unrecht vor, Schlüsselpositionen mit ihren Parteigängern besetzt zu haben und tragen ihr bis heute den Korruptionsskandal aus dem Jahr 2005 nach. Die PT hatte damals ein ausgeklügeltes System des Stimmenkaufs im Parlament installiert und ihren Nimbus als saubere politische Alternative verloren.

Die generelle Unzufriedenheit der Brasilianer nährt sich außerdem aus der schlechten ökonomischen Lage. In der ersten Dekade des Jahrhunderts war die Wirtschaft um bis zu sieben Prozent jährlich gewachsen, nun liegt das Wachstum bei unter einem Prozent. Es rächt sich, dass die PT ihr Wachstumsmodell auf den Export von Rohstoffen basierte, insbesondere von Soja, Eisenerz und Öl. Jetzt sind die Preise im Keller. Hinzu kommen eine rasante Inflation und das drohende Platzen der Kredite, mit denen die Mittelschicht bei Laune gehalten wurde.
Aus dieser Not heraus stilisiert Rousseff die Wahlen zu einem Plebiszit über die Sozialprogramme der PT. Diese holten laut Regierungsstatistik rund 35 Millionen Menschen aus der Armut und ermöglichten ihnen den Aufstieg in die Mittelschicht. Zwar wird Mittelschicht weit definiert, doch ganz falsch ist die Behauptung nicht. Die PT warnt nun vor einem Schritt zurück in die Vergangenheit.

Die wirklich brennenden Probleme geht keiner an

So oder so: Die notwendigen strukturellen Reformen haben weder Rousseff noch ihre Herausforderer auf der Agenda. Da ist etwa die Erneuerung des Steuersystems. Der Spitzensteuersatz liegt in Brasilien bei niedrigen 27,5 Prozent, die Steuerlast wird von den Armen über die Verbrauchssteuern getragen. Im Wahlkampf spielt das Thema keine Rolle.
Das hängt auch damit zusammen, dass der brasilianische Kongress kein Interesse an grundlegenden Veränderungen hat. In Abgeordnetenhaus wie Senat sitzen überproportional viele Großgrundbesitzer und Unternehmer. Beide Kammern werden am 5. Oktober neu gewählt - ohne das entscheidende Veränderungen in ihrer chaotischen Zusammensetzung mit Politikern aus etwa 25 Parteien zu erwarten sind. Aus diesem Potpourri muss sich die neue Präsidentin eine Koalition zusammenstellen.
Übrigens ist diese Wahl die teuerste der Geschichte Brasiliens. Mehr als 25000 Kandidaten treten auf Bundes- wie Landesebene an und geben insgesamt rund 25 Milliarden Euro aus – drei mal mehr als die Fußball-WM gekostet hat.

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