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Protestierende in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

© NIKOLAY DOYCHINOV / AFP

Proteste gegen Korruption in Bulgarien: Tausende fordern Rücktritt der Regierung – Opposition kündigt Misstrauensvotum an

Die Opposition bezeichnet die bulgarische Regierung als „mafiös-oligarchischen Ring“. Tausende fordern ihren Rücktritt – dabei kommt es auch zu Ausschreitungen.

Am Sonntag haben Tausende Bürgerinnen und Bürger in Bulgarien den vierten Tag in Folge gegen die Regierungspartei GERB demonstriert – und weitere Proteste für den Rest der Woche angekündigt. Die Demonstrierenden fordern den Rücktritt der Regierung, des bulgarischen Ministerpräsidenten Boyko Borissov und des Generalstaatsanwalts Ivan Geschev. Die oppositionelle Sozialistische Partei Bulgariens (BSP) hat angekündigt, am Mittwoch einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einzubringen.

Sozialisten-Chefin Kornelia Ninova warf dem Regierungschef, seiner Partei GERB und deren national-konservativen Koalitionspartnern vor, in den vergangenen zehn Jahren wie ein „mafiös-oligarchischer Ring“ regiert zu haben. 

Auch der Präsident Bulgariens, Rumen Radev, hatte sich bei einer Ansprache am Samstag der Rücktrittsforderung der Protestierenden angeschlossen. „Der Mafia-Charakter der Regierung hat Bulgaren jeden Alters und verschiedener politischer Strömungen dazu bewegt, Respekt für das Gesetz zu fordern", sagte Radev.

Aktueller Anlass für die Proteste sind Razzien in Radevs Büros, für die er den konservativen Ministerpräsidenten Boiko Borissov verantwortlich macht. Im Zuge der Razzien waren am Donnerstag ein Anti-Korruptionsbeauftragter und ein Sicherheitsberater des Präsidenten für Befragungen festgenommen worden.

Ihre Büros wurden im Rahmen von zwei unterschiedlichen Ermittlungsverfahren wegen Korruption und wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen durchsucht. „Die Gewalt und Manipulationen können das Vertrauen in die Institutionen nicht zurückbringen“, kommentierte Radev das Vorgehen der Ermittler. Teile der Bevölkerung sehen darin einen bewussten Angriff auf den Präsidenten selbst, der es nie scheute, Kritik an der aktuellen Regierung zu üben.

Ministerpräsident lehnt Rücktritt ab

Ministerpräsident Borissov wolle trotz der anhaltenden Proteste im Amt bleiben, erklärte er am Samstag in einem Video-Statement auf Facebook. Er warnte, dass Bulgariens Bevölkerung „schreckliche Monate und Jahre" angesichts der wirtschaftlichen Lage in der Corona-Krise bevorstünden. Angesichts der mehrtägigen Unruhen sagte Borissov, eine Rhetorik des Hasses würde das Land nicht weiterbringen.

In der Hauptstadt Sofia waren am Sonntag mehrere Tausend Menschen auf die Straße gegangen und skandierten "Rücktritt!, Rücktritt!". Sie riefen: „Wir wollen keine GERB, wir wollen keine BSP, wir wollen Veränderungen!" Auch in den Hafenstädten am Schwarzen Meer Warna und Burgas sowie im südbulgarischen Plovdiv gab es Demonstrationen mit Rücktrittsforderungen.

Boiko Borissow, Ministerpräsident von Bulgarien
Boiko Borissow, Ministerpräsident von Bulgarien

© Foto: Sina Schuldt/dpa

Der Chef der Notfallklink in Sofia, Assen Baltov, warnte, dass die Proteste „mit Sicherheit zum Anstieg der Coronavirus-Fälle“ führen würden – vor dem Hintergrund der aktuell in Bulgarien ohnehin stark steigenden Corona-Zahlen.

Ein Rücktritt der aktuellen Regierung würde das Land nur weiter ins Verderben stürzen, so Borissov. Derweil feiert er den Eintritt in den Wechselmechanismus II der EU – das sogenannte „Wartezimmer für den Euro".

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Enormes Polizeiaufgebot und brutale Festnahmen

Um den Schritt, der das Land näher zum Euro bringt, zu feiern, versammelten sich am Freitag Anhänger Boyko Borissovs aus dem ganzen Land vor dem Gebäude des Ministerrats in Sofia – und formierten sich als Gegenprotest zu den regierungskritischen Demonstranten.

Ein enormes Polizeiaufgebot hielt die Kundgebungen beider Lager auseinander. Sie setzten später ihre Aktionen mit Straßenumzügen durch die Innenstadt von Sofia fort.

Dabei ist es auch zu Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten des regierungskritischen Lagers gekommen. Ein Video, die auf den sozialen Medien verbreitet wurden, zeigen, wie Demonstrierende Polizisten mit Glasflaschen bewerfen. Weitere Aufnahmen halten fest, wie mindestens drei Polizisten einen Mann aus den Menschenmassen geleiten und anschließend brutal auf ihn eintreten, bis er regungslos am Boden liegt.

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Insgesamt wurden am Freitag 18 Menschen festgenommen, zwei Demonstranten und vier Polizisten wurden verletzt. Medienberichten zufolge sollen zwei Männer im Alter von 21 und 28 Jahren nach ihrer Festnahme mit schweren Verletzungen ins Sofioter Krankenhaus eingeliefert worden sein. Demnach sollen die Behörden den 21-Jährigen erst nach mehrfachen Bitten der Eltern freigelassen und die medizinische Behandlung gestattet haben.

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Sicherheitswarnung der USA

Die US-Botschaft in Sofia gab derweil in einem ungewöhnlichen Schritt eine Sicherheitswarnung für von den Protesten betroffene Gebiete aus. Zu erwarten sei, dass die Demonstrationen noch mindestens bis zum 16. Juli anhielten.

Im Juni 2013 war es zu ähnlichen Protesten gegen Korruption in Bulgarien gekommen. Anlass war die Ernennung des Medienmoguls Deljan Peevski aus der Partei Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) zum Chef des Inlandsgeheimdienstes Dans.

Ministerpräsident Boyko Borissov stand in der Vergangenheit häufig im Korruptionsverdacht. Zuletzt belastete ihn unter anderem ein Bericht der spanischen Zeitung „El Periodico", dem zufolge die Antikorruptionspolizei in Barcelona wegen internationaler Geldwäsche gegen ihn ermittle. Er hatte die Vorwürfe öffentlich dementiert.

Der Generalstaatsanwalt Ivan Geschev, dessen Rücktritt ebenfalls gefordert wird, steht im Verdacht, Ermittlungen gegen bulgarische Oligarchen und deren Verstrickungen in die Politik bewusst zu verzögern. (mit AFP, dpa)

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