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Proteste nach Duma-Wahl: Putin zeigt sich unbeeindruckt

Der Druck wächst, doch der starke Mann Russlands ist sicher, dass eine Mehrheit noch hinter ihm steht.

Trotz der bislang größten Demonstration der Opposition in der Ära Putin hat die russische Führung versucht, die Proteste herunterzuspielen. Die Haltung der Demonstranten werde respektiert, sie befänden sich aber in der Minderheit, sagte ein Sprecher von Regierungschef Wladimir Putin am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP. Am Vortag hatten laut Opposition allein in Moskau rund 120 000 Menschen Neuwahlen gefordert. Das waren dreimal mehr als bei der ersten Kundgebung am 10. Dezember. Es seien nur 30 000 gewesen, hieß es zwar im Polizeipräsidium, mehr Menschen passten gar nicht auf den Sacharow-Platz. Dagegen sprach indes nicht nur der Augenschein, sondern auch die von der Polizei selbst ausgestellte Genehmigung für eine Veranstaltung mit 50 000 Teilnehmern. Nächstes Mal, so Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow – einer der Führer des oppositionellen Bündnisses Solidarnost, das formell als Veranstalter auftritt –, würden es mehr als eine Million sein.

Fahnen liberaler, linker und nationaler Gruppen wogten, viele hatten Blumen und Bänder in Weiß – der Farbe der Gewaltlosigkeit – bei sich. Staatliche und staatsnahe TV-Kanäle, welche die außerparlamentarische Opposition und Zivilgesellschaft über zehn Jahre ignoriert hatten, machten die Abendnachrichten mit den Protesten auf. Die auf Hofberichterstattung getrimmten Reporter hatten sichtlich Mühe, sich in den neuen politischen Verhältnissen zurechtzufinden. Das Ministerium für Katastrophenschutz war mit einer Feldküche angerückt und schenkte heißen Tee und Grütze aus. Die wenigen Provokateure führten die Veranstalter der Polizei selbst zu, diese lobte die gute Organisation des Meetings.

Um das politische Gleichgewicht zwischen den sehr heterogenen Gruppen zu wahren, hatte der Koordinationsrat Quoten für die Teilnahme vergeben und zuvor im Internet über die Rednerliste abstimmen lassen. Dazu gehörte auch der frühere Finanzminister Alexei Kudrin, womit erstmals ein früherer Mann Putins auf Seiten der Opposition sprach. Als einer der letzten ergriff Väterchen Frost das Wort: Wenn er im nächsten Jahr wiederkomme, werde Russland frei sein. Ohne Putin, Russlands Regierungschef, der bei den Präsidentenwahlen im März erneut kandidiert.

Und der Druck auf Putin wächst. Zwar hat Präsident Dmitri Medwedew dem Parlament bereits Vorlagen für in seiner Jahresbotschaft angekündigte politische Lockerungen zur Beschlussfassung vorgelegt. Sie sollen, so Medwedews Sprecherin, schon in Kürze wirksam werden. Für die Präsidentenwahlen im März kommen sie dennoch zu spät: Die Bewerbungsfrist ist bereits abgelaufen. Hinzu kommt, dass Medwedew wie Putin die wichtigsten Forderungen der Proteste – die Wiederholung der Dumawahlen und Bestrafung der Fälscher – bisher ignorieren. Obwohl sich zu einer entsprechenden Empfehlung jetzt sogar der Beirat des Präsidenten für Menschenrechte und Zivilgesellschaft durchrang. Und die ersten von Putins Paladinen auf Distanz gehen.

Kudrin sagte auf dem Meeting am Samstag, er teile „die negativen Gefühle in Bezug auf die Ergebnisse der Dumawahlen.“ Regierung und Gesellschaft müssten einen Dialog beginnen, um „einen friedlichen Wandel zu ermöglichen“, bei dem er als Vermittler zur Verfügung stehe. Beobachter sehen Kudrin – von Experten während der Krise 2008 für seine Amtsführung gelobt – sogar schon als Chef einer neuen neoliberalen Partei, die dem losen Bündnis Solidarnost stabile handlungsfähige Strukturen verpasst und die Rivalitäten der Oppositionsführer domestiziert. Das Problem: Medwedew hatte Kudrin wegen Differenzen in der Wirtschaftspolitik entlassen, Putin ihn dagegen erst vergangene Woche als persönlichen Freund bezeichnet. Die Masse sieht sein Vermittlungsangebot daher als Wahlkampftrick.

Unabhängige Beobachter verfolgen mit Sorge, dass zwar die Teilnehmerzahlen bei den Oppositionsveranstaltungen wachsen, hinter der basisdemokratischen Kulisse jedoch die Flügelkämpfe zunehmen: zwischen Pragmatikern, die auf Medwedews Kompromissangebot eingehen möchten, und Fundamentalisten, die bereits von einer Schattenregierung träumen. Weder die einen noch die anderen haben derzeit konkrete Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Das sieht auch der Präsident in spe so. Die Regierung habe die Forderungen nach fairen Wahlen vernommen, sagte Putins Sprecher. Die Bürger hätten das Recht auf Meinungsäußerung. Die Mehrheit der Russen würde Putin aber nach wie vor unterstützen.

Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung setzt vor der Präsidentenwahl am 4. März auf die Kontrolle durch die Bevölkerung. Zu glauben, das Volk sei passiv, sei ein Trugschluss, sagte Andreas Schockenhoff (CDU). „Wir haben es mit einer neuen Form von Zivilcourage in Russland zu tun. Europa werde bis zur Präsidentenwahl genau beobachten, ob es „wirklich Wettbewerb gibt“.

Am Abend wurde bekannt, dass ein russischer Polizist am Montag zu dreieinhalb Jahren Gefängnis wegen exzessiver Gewalt gegen Demonstranten verurteilt worden ist. Die Ermittlungen gegen ihn kamen durch ein Video ins Rollen. Es zeigte den 35-jährigen Wadim Boiko bei einer Demonstration in St. Petersburg im Juli 2010, wo er unter üblen Beschimpfungen mit einem Schlagstock auf Demonstranten einschlägt. mit AFP

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