zum Hauptinhalt
Der Krieg in der Ukraine läuft für ihn nicht wie geplant: Wladimir Putin

© REUTERS

Putin droht der Ruin: „Jeden Tag geht es mehr Richtung Sowjetunion“

Der Militärökonom Marcus Matthias Keupp über Putins Rubel-Trick, "ökonomischen Selbstmord" und warum ein Energie-Boykott den Krieg nicht stoppen kann. Ein Interview.

Marcus Matthias Keupp leitet die Abteilung für Militärökonomie an der Militärakademie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und analysiert eingehend die Geschehnisse in Russland und der Ukraine. Er sieht viele Fehlplanungen und erläutert im Interview mit dem Tagesspiegel, warum der Krieg für Russland in sieben Tagen an einen Wendepunkt kommen könnte.

Herr Keupp, Wladimir Putin will Gaslieferungen an „feindliche Staaten“ wie Deutschland nur noch gegen Rubel bereitstellen, was bezweckt er damit?
Ich würde das zum einen als verbale Intervention bezeichnen. Das ist etwas, was zum Beispiel Zentralbanken gerne machen. Mario Draghi hat sich 2012 hingestellt und den berühmten Satz „Whatever it takes“ ausgesprochen. Er hat es nur durch diesen Satz geschafft, den Eurokurs zu stabilisieren. Und mit dem Rubel ist jetzt etwas Ähnliches passiert. Also nur dadurch, dass Putin das gesagt hat, hat sich der Rubel-Kurs schon etwas stabilisiert. Das ist die eine Seite, diese verbale Intervention.

Bisher sind die Lieferverträge in Euro und Dollar, was steckt noch dahinter?
Der größte Markt für Rubel ist in Moskau, abgerechnet werden müssten diese Transaktionen letztlich immer bei der russischen Zentralbank. Das heißt, das ist der Versuch, die Sanktionen gegen die Zentralbank zu umgehen, deren Euro-Reserven im Ausland eingefroren sind. Aber jetzt muss man auch bedenken, dass die Lieferverträge für Gas, teilweise sehr langfristig sind.

Also man darf sich das jetzt nicht so vorstellen, dass man quasi auf dem Wochenmarkt geht und sagt, heute brauche ich so und so viele Kubikmeter und das kaufe ich jetzt mal schnell, sondern das sind Verträge, die laufen teils über 10 oder 15 Jahre. Und die sind in Euro und US-Dollar verhandelt. Wenn er das durchsetzen will, dann müsste er vertragsbrüchig werden. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Deswegen würde ich es eher als verbale Intervention bezeichnen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Im Prinzip versucht er den Westen zu erpressen: Rubel und Euro-Devisen für Moskau oder Gas-Stopp – aber die Bundesregierung sagt zum Beispiel, das würde hunderttausende Arbeitsplätze gefährden.
Natürlich stellen sich Politiker hin und entwerfen jetzt solche Bilder. Aber man muss sich zunächst einmal lösen von dieser Betrachtung, nach dem Motto Europa braucht so und so viel russisches Erdgas. Beispielsweise in der Schweiz oder in Schweden spielt das überhaupt keine Rolle. Da können Sie den Anteil von Erdgas im Energiemix recht schnell ersetzen. In Westeuropa bekommen vor allem Italien oder die Niederlande jetzt Probleme. Man muss also für jedes Land genau betrachten: Wie wichtig ist Erdgas im Energiemix, und wieviel Prozent des Erdgases kommt aus Russland? Dann relativiert sich die Lage schon deutlich. Man darf auf keinen Fall den Fehler machen, diese aufgeregten Bilder, die die Politik da vermittelt, einfach so zu kaufen.

Der Militärökonom Marcus Matthias Keupp
Der Militärökonom Marcus Matthias Keupp

© Privat

Putins Ankündigung hat den Gaspreis bereits um rund 25 Prozent steigen lassen.
Ja, aber das is quasi eine Risikoprämie; weil der Markt erwartet, dass sich das Angebot verknappen könnte. Aber bisher fließt aus Russland genauso viel Öl und Gas wie vor dem Krieg. Es ist aber nicht so, dass es in der Welt jetzt kein Erdgas gibt oder dass die Welt auf Gedeih und Verderb von Russland abhängig oder Russland ausgeliefert ist. Jetzt sollte man übergehen zu einem globalisierten, also LNG-Gasmarkt. Die USA haben bereits signalisiert, Europa mit Flüssiggas-Tankern versorgen zu wollen.

[Der Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leserinnen und Leser informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]

Können damit wirklich die Sanktionen umgangen werden?
Naja, um die Devisen reinzuholen nach Russland, da brauchen wir die Zentralbank im Prinzip nicht, sondern sie haben ja auch nach wie vor nicht sanktionierte Banken, die das Geschäft der Gaszahlungen abwickeln. Das beste Beispiel wäre die Gazprom Bank. Also diesen Schritt, den Putin da jetzt gemacht hat gestern, den brauche ich eigentlich gar nicht. Ich könnte die Devisen auch normal einnehmen, also über den ganz normalen Rohstoffhandel. Aber es ist natürlich schon so, wenn sie die russische Wirtschaft betrachtet, dass die russische Regierung jetzt sehr viele Probleme gleichzeitig zu lösen hat.

Welche besonders?
Sie muss die Währungsabwertung bremsen, sie muss die die Löcher in den Bankbilanzen stopfen, weil die Unternehmen langsam beginnen zusammenzubrechen. Und Russland wird sehr tief in seinen nationalen Wohlfahrtsfonds eingreifen müssen. Und auf der anderen Seite verkauft es ja nicht mehr Öl oder Gas.

Es geht darum, die ökonomischen Folgen der Sanktionen für die Realwirtschaft und für den Finanzsektor abzufedern. Und diese Balance, die wird von Tag zu Tag schlechter.

Und irgendwann ist der nationale Wohlfahrtsfonds leer. Dann muss der Staat mit der Gelddruckmaschine das Land am Laufen halten. Und das ist eben die große Tragik dieser Geschichte. Der Krieg endet nicht, aber die russische Realwirtschaft, die wird komplett verfallen.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Sie sagen, ein Energieboykott würde aber nicht Putins Kriegsmaschinerie stoppen.
Genau. Der Krieg würde nicht aufhören. Das liegt an zwei Dingen. Die russische Kriegsmaschinerie ist unabhängig vom Exportgeschäft. Wir reden im Westen sehr viel über den Export von Öl und Gas und der ist auch bedeutend für die russische Volkswirtschaft, nicht aber für das russische Militär. Wenn Sie den Krieg militärisch ökonomisch betrachten, dann müssen Sie zwei Sachen anschauen. Einerseits die Rüstungsindustrie, wo die Waffen und die Fahrzeuge gefertigt werden. Und die ist vollkommen autark, was die Rohstoffe angeht.

Was die Arbeitskräfte, die Technologien, die Finanzierung angeht, hängt sie nicht ab von ausländischen Deviseneinnahmen. Und der zweite wichtige Punkt, das ist die Logistik, also vor allem die Treibstoffe Öl, Diesel, Kerosin. Und das kommt alles aus der russischen Eigenproduktion.

Von elf Millionen Barrel Öl pro Tag gehen drei Millionen pro Tag in den russischen Eigenverbrauch. Und da sind auch die Streitkräfte mit drin. Das wird von Rosneft alles geliefert und in Rubel fakturiert. Ebenso werden die Streitkräfte in Rubel bezahlt.

Genau aus diesem Grunde funktioniert diese Überlegung nicht. Dass man im Westen sagt Okay, jetzt boykottieren wir russisches Öl und Gas und dann hört der Krieg auf. Das ist nicht so und ich kann nur davor warnen, diesen Gedankengang unkritisch zu übernehmen. Der Krieg wird deswegen nicht enden.

Was hat er vor? Der russische Präsident Wladimir Putin, hier bei einer Judo-Einheit.
Was hat er vor? Der russische Präsident Wladimir Putin, hier bei einer Judo-Einheit.

© Mikhail Klimentyev/AFP

Sie sehen ökonomisch bereits einen Rückfall in Sowjetzeiten.
Ja, vom modernen Russland müssen wir uns eigentlich verabschieden. Von Tag zu Tag geht es mehr in Richtung Sowjetunion, wo wir sagen: Es gibt diesen riesigen Militärapparat, der den Großteil des Staatshaushaltes verschlingt und dann noch subventionierte Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung. Und daneben gibt es nichts mehr.

Und deswegen sage ich: Es ist ökonomischer Selbstmord. Das ist die Rückabwicklung einer Volkswirtschaft hin zu einem Entwicklungsland.

Wird es zum Umstieg auf Kriegswirtschaft kommen, auch mit Beschlagnahmung ausländischer Unternehmen?
Es ist im Prinzip möglich, eine Volkswirtschaft auf Kriegswirtschaft umzustellen, aber nicht von heute auf morgen. Wir haben es mit einem völligen Versagen der russischen Führung zu tun. Dieser Feldzug in der Ukraine war ausgelegt auf eine Operation von wenigen Tagen, also vielleicht vier bis fünf Tage. Dann hat man Kiew eingenommen, dann hat man die Regierung abgesetzt und ein Marionettenregime installiert.

Wenn Sie damit planen, dann bereiten Sie die Volkswirtschaft natürlich nicht vor auf längere kriegerische Auseinandersetzungen. Wenn sie jetzt aber sagen, wir bereiten uns vor auf einen monatelangen Feldzug in ein Land vor, das anderthalb Mal so groß ist wie Deutschland und 44 Millionen Einwohner hat, dann, dann müssen sie die Volkswirtschaft zuvor jahrelang darauf vorbereiten.

Putin hat schon so solche Ansätze vorgenommen, die Zentralbank begann ja bereits 2018 mit dem Aufbau dieser Reserven. Und Russland änderte plötzlich seine Schuldenpolitik und begann seine Auslandsschulden abzubauen. Andererseits muss man sagen: Das ist natürlich dilettantisch. Sie können eine Operation dieser Größe gegen ein Territorium dieser Größe nicht mit 200 Milliarden Wohlfahrtsfonds führen. Also da müssten Sie wirklich die komplette Volkswirtschaft umbauen.

[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]

Auch da hat ja beim Kriegsausbruch 1914 niemand mit einem langen Krieg gerechnet. Und auch damals waren die Volkswirtschaften und auch die Rüstungsindustrie nicht vorbereitet auf so etwas. Und man hat bereits im Herbst 1914 begonnen, Artillerie und Granaten zu rationieren, also den Truppen gesagt, ihr dürft nur noch so viel Stück pro Tag verschießen. Und das ist jetzt die große Frage; Ist die russische Rüstungsindustrie in der Lage, schnell Nachschub zu liefern? Produzieren kann sie, das ist nicht das Problem.

Das Problem ist eher logistischer Art. Also kann sie ihre Produktion in das Kampfgebiet bringen, sodass der Krieg von dieser Seite aus weitergeht. Das wird in etwa sieben Tagen der Fall sein und wird ein wichtiger Wendepunkt werden im Krieg.

Putin scheint in die Enge getrieben, fürchten Sie ein Ausweiten des Kriegs, auch mit Ziehen der Nuklearoption?
Ich denke, man sollte das nicht überbewerten. Putin hat immer noch genügend Auswege. Er kann zum Beispiel sagen: Ja, ich habe jetzt mal mein Kriegsziel erreicht. Die Ukraine erklärt sich wieder für neutral und wird auf absehbare Zeit nicht der NATO beitreten.

Er muss jetzt nicht zwingend eskalieren. Es ist durchaus möglich, dass er auch etwas, was der Westen als militärische Niederlage einstuft, zu Hause als Sieg verkauft. Solange er die Propaganda kontrolliert und die Sicherheitskräfte, ist das durchaus möglich. Es gibt dann halt eine Parallelwelt des offiziellen Narratives, wie auch zum Beispiel im Iran oder Nordkorea. Man muss nicht immer gleich an die nukleare Eskalation denken. Sie müssen berücksichtigen, dass die russische Rhetorik sehr farbig und sehr selbstbewusst ist. Man sollte das nicht überbewerten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false