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Auf die Drohung von Russlands Präsident Wladimir Putin gegen den Westen ging Kanzler Olaf Scholz nicht näher ein.

© dpa/Kay Nietfeld

Update

Putins Drohung zur Unzeit: Scholz’ Angst vor einer Waffendebatte im Wahlkampf

Weltpolitik trifft auf Landtagswahlkampf. Warum die SPD am Freitag kalt erwischt wurde und sich das BSW bestätigt fühlt.

Für Bundeskanzler Olaf Scholz und seine SPD kam das Treffen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Dabei fand es weit weg und ohne deutsche Beteiligung statt. In Washington, rund 6500 Kilometer von Berlin entfernt, trafen sich am späten Freitagnachmittag (Ortszeit) US-Präsident Joe Biden und Großbritanniens Premierminister Keir Starmer, um darüber zu beraten, ob die Ukraine mit britischen und amerikanischen Langstreckenraketen Ziele weit innerhalb des russischen Territoriums angreifen darf.

Ein Ergebnis gab es nicht, die Frage hängt weiter in der Schwebe. Doch schon fordern FDP und Union von Scholz erneut, der Ukraine die deutsche Langstreckenrakete Taurus mit 500 Kilometern Reichweite nicht länger zu verweigern. „Spätestens nach den Wahlen in Brandenburg muss Taurus geliefert werden“, forderte CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter.

Die vorsichtige Botschaft des Kanzlers

Damit spricht Kiesewetter Scholz‘ Problem direkt an: So kurz vor der Brandenburg-Wahl am 22. September kann die SPD die Rückkehr dieser Debatte aus dem Frühjahr überhaupt nicht gebrauchen. Schließlich sendete Scholz ebenso wie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Wahlkampf zuletzt eher Friedenssignale. Denn ähnlich wie in Sachsen und Thüringen sehen auch viele Menschen in Brandenburg die Waffenlieferungen an die Ukraine mit zunehmender Skepsis – aus Angst vor einer direkten Konfrontation mit Russland.

Eine Angst, die Russlands Präsident Wladimir Putin schon vor dem Washingtoner Treffen befeuerte. „Es geht um die Entscheidung, ob die Nato-Länder direkt in einen militärischen Konflikt verwickelt werden oder nicht“, sagte Putin am Donnerstag im russischen Staatsfernsehen.

Unsere rote Linie ist und bleibt das Völkerrecht.

Michael Roth (SPD), Chef des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages

Wie sollte der Kanzler auf diese Botschaft reagieren? Schließlich muss Scholz den Eindruck vermeiden, vor Putins Drohung einzuknicken. Zugleich hat sich an der ablehnenden Haltung des Kanzleramtes zu Taurus nichts geändert, wie Scholz‘ Sprecher Steffen Hebestreit schon am Vormittag klargemacht hatte.

Scholz entschied sich für eine verklausulierte Antwort: An der Entscheidung, „was wir tun und was wir nicht tun“, werde sich nichts ändern, sagte er nach dem Treffen mit dem kenianischen Präsidenten William Ruto. Und mit Blick auf das Washingtoner Treffen fügte er hinzu: Es wäre „ausgesprochen unhöflich“ Gespräche zwischen den Chefs befreundeter Staaten, die noch gar nicht stattgefunden hätten, vorher zu kommentieren.

Andere in der SPD entschieden sich für deutlichere Töne gen Moskau. Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte zu dem möglichen Schritt der USA und Großbritanniens: „Das Völkerrecht lässt das zu.“ Es sei aber immer die Entscheidung der Partner, dies zu erlauben. Das habe er nicht zu bewerten.

Auch Michael Roth, der sozialdemokratische Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, wies Putins Drohung deutlich zurück: „Unsere rote Linie ist und bleibt das Völkerrecht. Der Angriff auf militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet mit weitreichenden westlichen Waffen ist völkerrechtskonform und bedeutet keine Kriegsbeteiligung der NATO“, sagte er dem Tagesspiegel.

Er verwies darauf, dass Putin schon oft rote Linien gesetzt hat, deren Überschreitung dann aber ohne Konsequenzen blieb. „Zuerst waren es westliche Panzer, dann Angriffe auf von Russland völkerrechtswidrig annektierte ukrainische Gebiete, dann westliche Kampfflugzeuge und jetzt ist es der Einsatz weitreichender Waffen gegen militärische Ziele in Russland“, sagte er. Diese perfiden Drohungen seien Teil der psychologischen Kriegsführung Russlands, „um unsere Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.“

BSW fühlt sich bestätigt

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen erkennt in Putins Aussagen dann auch Widersprüche. „Putin verheddert sich in seiner eigenen Propaganda“, sagte er dem Tagesspiegel. Nach der handelte es sich ja stets um einen Verteidigungskrieg Russlands gegen den Westen, der Russland angeblich mithilfe des Marionettenregimes in Kiew angegriffen hätte, so Röttgen. „Die Einschüchterungspropaganda von Putin ist ebenso bekannt wie absurd“, so Röttgen.

Doch es gibt auch jene im Bundestag, die sich am Freitag durch Putins Aussagen bestätigt fühlen. „Eine Freigabe westlicher Waffen für Angriffe auf Ziele in Russland, auch in Moskau, wäre nicht der wieder einmal beschworene ‚Game Changer‘, sondern Brandbeschleuniger für eine gefährliche Entfesselung und Ausweitung des Krieges“, sagte Sevim Dagdelen, die außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag, dem Tagesspiegel.

Sie forderte einen „Kurswechsel, weg von ewiger Eskalation und immer mehr Waffen hin zu einem Waffenstillstand und diplomatischen Lösungen“. Mit der Warnung vor einer Eskalation – auch im Hinblick auf die geplante Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland – und der Forderung nach Frieden punktet das BSW derzeit auch im Wahlkampf.

Das ist wohl der Hauptgrund, warum Scholz zuletzt eine mögliche Friedenskonferenz mit Russland erwähnte. Doch nach Putins jüngsten Äußerungen klingt dieses Szenario unrealistischer denn je.

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