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„Jede menschliche Gesellschaft neigt dazu, entlang von Klischees die Welt in ,wir’ und ,die’ einzuteilen.“ - Soziologen entschlüsseln die Strukturen des Rassismus.

© dpa

Rassismus-Debatte in Frankreich: Hass der einen, Hass der anderen

Ein Historiker und ein Soziologe erklären die Geschichte des Schlagworts vom "racisme anti-blancs", auf deutsch: "Deutschenhass".

Deutschenhass oder Deutschenfeindlichkeit lautet der Befund, wenn auf deutschen Schulhöfen gegen „Kartoffeln“ gehetzt oder „dreckiger Deutscher“ gegrölt wird. Und gemeint ist damit mal leise, mal ausdrücklich, dass Migranten ja auch einiges auf dem Kerbholz hätten.

Auf Französisch heißt der Vorwurf „racisme anti-blancs“ und einem neueren Fall davon hat die liberale „Le Monde“ dieser Tage einen längeren kritischen Artikel gewidmet. Der Soziologe Stéphane Beaud und der Historiker Gérard Noiriel erinnern daran, dass der Slogan vom „anti-Weißen-Rassismus“ in den 1980er Jahren von Jean-Marie Le Pens rechtsextremer Front National lanciert und dann von der salonfähigeren Rechten übernommen wurde. Die zugrundeliegende Idee jedoch, die Machtverhältnisse zwischen Mehrheit und Minderheit auf den Kopf zu stellen, gehe in Frankreich auf den Antisemiten Edouard Drumont zurück, dessen Buch „Das jüdische Frankreich“ ungeheuer populär war und bis 1945 mehrere hunderttausend Auflage erreichte. Von ihm, so Noiriel und Beaud, stamme die bekannte Redefigur, dass eigentlich „wir, die Franzosen“ die Opfer von „ihnen, den Juden“ seien. Das aber werde nach Drumont von Intellektuellen geleugnet, die verfolgte Mehrheit wage folglich nicht aufzubegehren. Weshalb es Zeit sei, „das Tabu“ zu brechen.

Natürlich seien Attacken wie „dreckiger Weißer“ verdammenswert, schreiben die Autoren. Nur sei der Vorwurf recht banal: „Jede menschliche Gesellschaft neigt dazu, entlang von Klischees die Welt in ,wir’ und ,die’ einzuteilen.“ Dagegen helfe Erziehung - man könnte ergänzen: die üblichen Strafgesetze, sobald die Gewalt schwere Verletzungen verursacht oder es sich gar um Mord, versuchten Mord oder Totschlag handelt. Der politische Kampf gegen Rassismus habe allerdings immer Minderheiten gegolten , schreiben Beaud und Noiriel– weshalb es ein Stück Entpolitisierung sei, dass eine traditionsreiche antirassistische Initiative in Frankreich gerade einen Fall von „racisme anti-blancs“ vor Gericht unterstützt. So sägten Bürgerrechtler den Ast ab, auf dem sie säßen.

Ähnlich sieht die Sache schon die UN-Anti-Rassismus-Konvention von 1965, in der Rassismus definiert wird als „Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird“. Es ist für die Ausübung von Menschenrechten eben ein Unterschied, ob eine blonde Schülerin als „Kartoffel“ beschimpft wird – wogegen sie sich an einer funktionierenden Schule sofort wehren kann – oder ob ein Mensch mit dunklerer Haut auf jeder Auslandsreise seinen Koffer filzen lassen muss und aus der Reihe der Wartenden gewinkt wird. Oder ob ihm eine Streife auf den Fersen ist, wenn er nach dem Kneipenabend nach Hause läuft. Im zweiten Fall geht der Staat selbst gegen ihn vor, lässt ihn spüren, dass er nicht dazugehört. Wie auch die Frauenverachtung des Kollegen traurig ist, aber erst frauenfeindliche Gesetzgebung Gleichberechtigung unmöglich macht.

Der Initiative schwarzer Menschen in Deutschland, die diese Woche eine Petition gegen solchen Rassismus von Staats wegen in den Bundestag eingebracht hat, kann man insofern Glück wünschen.

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