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Düsseldorf: Verbotsschilder "Verweilverbotszone - Bitte gehen Sie weiter" und "Freitag 15 bis 1 Uhr - Samstag/Sonntag 10-1 Uhr" an der Rheinpromenade.

© Roland Weihrauch/dpa

„Katastrophe“, „inakzeptabel“, „grobes Versagen“: Wirtschaft, Opposition und Lokalpolitik schimpfen über Gipfelbeschlüsse

Weite Teile der Wirtschaft hatten sich mehr Öffnung vom Corona-Gipfel erwartet. Lokalpolitiker kritisieren die neuen Regeln als verwirrend. Ein Überblick.

Die Ergebnisse des Corona-Gipfels von Bund und Ländern sind in der Wirtschaft weitgehend mit Enttäuschung aufgenommen worden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) betonte jedoch, es werde erste wichtige Öffnungsschritte geben. Dem Handwerk gehen die vereinbarten Lockerungspläne aber nicht weit genug, die Touristikbranche kritisierte den weiteren Lockdown als inakzeptabel, der Handelsverband HDE sprach gar von einer „Katastrophe“ für den Einzelhandel.

Faktisch werde der Lockdown für die große Mehrheit der Nicht-Lebensmittelhändler bis Ende März verlängert, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth am Donnerstag. Eine stabile Inzidenz von unter 50, die für eine Wiedereröffnung aller Geschäfte als Bedingung genannt wird, sei auf absehbare Zeit wohl nicht flächendeckend zu erreichen.

Die Verlängerung des Lockdowns bis zum 28. März koste die geschlossenen Handelsunternehmen rund zehn Milliarden Euro Umsatz. Gleichzeitig kämen staatliche Hilfszahlungen nur spärlich an, sagte Genth. „Die Politik orientiert sich weiter stur ausschließlich an Inzidenzwerten. Dieses Vorgehen erscheint zunehmend fragwürdig.“

Es gebe keine vernünftigen Argumente, den Einzelhandel weiterhin geschlossen zu halten. Der HDE setze sich weiterhin für eine Öffnung aller Geschäfte unter Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln ein.

Fixiert allein auf Inzidenzwerte?

Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer sagte: „Die Bund-Länder-Beschlüsse bringen für viele unserer von Schließungen betroffenen Betriebe nicht die erhoffte Öffnungsoption schon in nächster Zeit.“ Bei dem Treffen sei „deutlich mehr drin gewesen“.

Um ein Firmensterben „auf breiter Front“ zu verhindern, müsse wirtschaftliches Leben schnellstens wieder ermöglicht werden, sofern dies epidemiologisch vertretbar ist. Auch Wollseifer kritisierte die „Fixiertheit allein auf Inzidenzwerte“, die fehlende Berücksichtigung der Hygienekonzepte in den Betrieben und das schleppende Impftempo.

Lockerungen sind möglich. Vielen gehen sie nicht weit genug - andere warnen vor der dritten Welle.
Lockerungen sind möglich. Vielen gehen sie nicht weit genug - andere warnen vor der dritten Welle.

© dpa/: Peter Kneffel

Auch die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (DEHOGA), Ingrid Hartges, zeigte sich ernüchtert. „Die Beschlüsse stellen eine Enttäuschung dar, insbesondere weil keine konkrete Öffnungsperspektive für die Restaurants und Hotels beschlossen wurde“, sagte Hartges SWR Aktuell. Bundesregierung und alle Verantwortlichen müssten ihre Hausaufgaben machen, etwa mit mehr Tempo beim Impfen und einer klugen Schnelltest-Strategie. Und bei allen Unternehmen müssten die November- und Dezemberhilfen ankommen. „Das ist leider noch nicht der Fall.“

Forderungen nach intelligenter Teststrategie

Eine Beschleunigung der Impfungen und eine intelligente Teststrategie forderte auch der Deutsche Reiseverband (DRV). „Es ist inakzeptabel, dass wir aufgrund des Fehlens von Tests und des viel zu langsamen Impfprozesses gezwungen werden, weitere Monate im Lockdown zu verharren“, sagte DRV-Präsident Norbert Fiebig den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Fiebig fordert die Politik auf, ihre Appelle zum Reiseverzicht zu beenden. „Organisierte Reisen sind nachweislich nicht Treiber der Pandemie - das sagen nicht wir, das sagt das RKI in einer aktuellen Studie.“

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Der Deutsche Tourismusverband (DTV) kritisierte die Beschlüsse als „enttäuschend und nicht akzeptabel“. Öffnungsstrategien für den Tourismus seien entgegen allen Ankündigungen erneut verschoben worden, beklagt DTV-Präsident Reinhard Meyer. Der Branche sei bewusst, dass eine Öffnung verantwortbar sein müsse.

Der Tourismus benötige aber Planbarkeit und eine Perspektive. „Wir brauchen unverzüglich konkrete Vorschläge, unter welchen Bedingungen eine Öffnung für touristische Betriebe erfolgen kann“, sagte Meyer. „Einem ganzen Wirtschaftszweig droht die Luft auszugehen. Der Tourismus braucht die Strategie jetzt.“

Öffnungsstrategien für den Tourismus wurden entgegen allen Ankündigungen erneut verschoben, moniert die Tourismusbranche.
Öffnungsstrategien für den Tourismus wurden entgegen allen Ankündigungen erneut verschoben, moniert die Tourismusbranche.

© dpa/Stefan Sauer

Ifo-Präsident Clemens Fuest fällte ein gemischtes Urteil. Es sei gut, dass endlich begonnen werde, mehr zu testen, sagte er in der ARD. "Es sind nicht wirklich die Öffnungen an die Tests gebunden, und das ist ein Fehler. Wenn wir jetzt einfach öffnen, ... laufen wir in eine dritte Infektionswelle." Fuest wirbt für Teststraßen vor Einkaufszentren, die dann geöffnet werden könnten.

Landkreise finden Beschlüsse „sehr kompliziert“

Der Landkreistag hat die Beschlüsse von Bund und Ländern zur Lockerung der Corona-Maßnahmen als zu komplex kritisiert. Das Regelwerk sei "sehr kompliziert", und er wisse nicht, "ob das in der Bevölkerung gut nachvollzogen werden kann", sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Donnerstag. Nicht nachvollziehbare Regeln müssten "im Interesse einer breiten Akzeptanz der Maßnahmen auf den Prüfstand".

[Mehr zum Thema: Rekonstruktion von Merkels Corona-Kehrtwende - „Wildes Gekläffe, vom Kanzleramt bis nach Bayern und zurück“ (T+)]

Für die geplante flächendeckende Anwendung von Schnelltests forderte Sager "eine verlässliche Planung zu Zeitpunkten, Abläufen und Verantwortlichkeiten". Hierbei sei auf ein möglichst unbürokratisches Verfahren zu achten. "Mit einer guten Schnelltest-Kampagne ist es auch möglich, für Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel zu zügigen Lockerungsschritten zu gelangen", sagte der Landrat des Landkreises Ostholstein.

Altmaier: Für die Wirtschaft wurde viel erreicht

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zeigte sich hingegen zufrieden mit den Ergebnissen der Bund-Länder-Beratungen. „Für die Wirtschaft wurde viel erreicht“, sagte Altmaier RTL/ntv. So werde es bereits im März erste wichtige Öffnungsschritte geben. Zudem habe sich die Runde von der umstrittenen 35er-Inzidenz verabschiedet. „Die Inzidenz von 35, die sehr streng war, die viele verärgert und aufgeregt hat, die ist nicht mehr für die Öffnung Voraussetzung“, betonte der Minister.

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Von Vertretern der Oppositionsparteien hingegen kam Kritik. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck sagte am Donnerstag, es müsse zuerst getestet und dann geöffnet werden und nicht wie vorgesehen umgekehrt. Habeck sagte im Deutschlandfunk, angesichts einer beginnenden dritten Corona-Welle sollten vor Öffnungen zunächst Fortschritte beim Impfen, Testen und bei der Nachverfolgung von Kontakten erzielt werden.

Das stattdessen vereinbarte Vorgehen sei aus seiner Sicht „nicht klug“, erklärte er: „Es wird auf Hoffnung gesetzt, das ist aber keine Strategie.“ Die Öffnungsbeschlüsse hinterließen bei ihm „ein mulmiges Gefühl“. „Hoffentlich bezahlen wir das nicht damit, dass wir Ostern wieder im Lockdown sitzen“, sagte er.

Lindner wirft Regierung „grobes Versagen“ vor

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kritisierte, dass Deutschland beim Testen als „Baustein für mehr Freiheit“ nicht weiter sei. Er sprach von einem „groben Versagen“ der Bundesregierung. Dass es einen Stufenplan für Lockerungen gebe, sei zwar zu begrüßen, sagte Lindner im Deutschlandfunk.

Angesichts enormer sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Risiken halte er die Ausgestaltung der einzelnen Stufen jedoch für „noch nicht ambitioniert genug“.

Die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland lehnten die anvisierten Lockerungen der Corona-Auflagen als unzureichend ab. Merkel und die Länderchefs würden "das Land lieber vollends an die Wand fahren, als ihren Irrtum einzugestehen und zu einer Politik der Vernunft und Eigenverantwortung zurückzukehren", kritisierte Gauland. Die "realen Zahlen und Fakten" gäben für weitere Lockdown-Maßnahmen "keine vernünftige Begründung" her. (dpa/AFP/Reuters)

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