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Bansky-Kunst in Moskau.

© IMAGO/ITAR-TASS

Zum Umgang mit russischen Künstlern und Wissenschaftlern: Kontaktabbruch ist ein Irrweg

Russland pauschal canceln, bringt erst recht keinen Frieden. Das sollte man nicht vergessen. Ein Gastbeitrag.

Michael Brüggemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft (mit Schwerpunkt Klima und Wissenschaft) an der Universität Hamburg.

Joe Biden hat Wladimir Putin schon im März 2021 richtig eingeschätzt: He is a killer. Dem gibt es wenig hinzuzufügen. In Deutschland haben viele die russische Regierung falsch eingeschätzt und zu lange auf Appeasement, Gasimporte und zurückhaltende Diplomatie gesetzt und Putins militärische Interventionen in den Nachbarstaaten toleriert. Nun beeilen sich alle Akteure, Stellung zu beziehen.

Die Motivation, etwas für den Frieden zu tun und Solidarität mit der Ukraine zu zeigen, ist gut nachvollziehbar. Aber ist dem Frieden gedient, wenn wir kulturelle und wissenschaftliche Brücken nach Russland abbauen?

Zumindest blockiert werden die Brücken gerade in Kunst und Kultur. Und auch in der Forschung und Lehre an Universitäten werden gewachsene Beziehungen gerade demonstrativ unterbrochen.

Grenzüberschreitende Autorschaft?

Schon spekulieren Forschende intern, ob sie einen Artikel mit einem Ko-Autor aus Russland noch zu Ende schreiben dürfen, wo doch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in einer Pressemitteilung schreibt, es „sollen“ keine Daten mehr mit Kolleginnen in Russland ausgetauscht werden in den finanziell geförderten Projekten.

Abgesehen von der Frage, ob hier die Wissenschaftsfreiheit derjenigen, die die Projekte leiten, beschnitten wird – wem ist mit Abschottung eigentlich gedient, und welche Botschaft wird an wen gesendet?

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Nicht alle russischen Wissenschaftler, Sportlerinnen, Musiker sind Fans von Putin. Es gibt Unterstützer mit dem Z auf der Brust, aber gerade in der international im Austausch aktiven Wissenschaft und Kultur auch genug kritische Köpfe und natürlich die, die schweigen. Nicht jeder hat den Mut zum Widerstand gegen autoritäre Regime. Wir Deutsche sollten uns erinnern.

„Russia's getting Canceled“, schreibt die „New York Times“ und fragt, ob der Druck auf russische Künstler in den USA und das Abschalten amerikanischer Pop-Kulturangebote in Russland dem Narrativ des Diktators nicht in die Hände spielt: Der Westen ist gegen uns. Gleichzeitig wird der Schulterschluss zwischen China und Russland gefürchtet.

Rückzug in eine westliche Allianz?

„Zeit Online“ beruhigt uns: „Doch der Westen muss die russisch-chinesische Herausforderung nicht fürchten. Er ist in allen Belangen überlegen: politisch, wirtschaftlich, technologisch – und immer noch militärisch.“ Ist also die Lösung der Rückzug in eine verbreiterte westliche Allianz gegen die diktatorischen Regime dieser Welt und Trostsuche in der eigenen Überlegenheit?

„Kriege beginnen in den Köpfen der Menschen, und in den Köpfen der Menschen müssen die Verteidigungslinien für den Frieden errichtet werden. Die Unkenntnis der Lebensweise der anderen ist eine gemeinsame Ursache gewesen durch die ihre Differenzen nur allzu oft in Krieg umgeschlagen sind“, steht in der Präambel der Unesco, der UN-Organisation für Austausch in Bildung und Kultur.

Darum ist es ein Irrweg, existierende Kanäle des friedlichen Austauschs zu verstopfen, weil wir – aus guten Gründen – Solidarität mit der Ukraine zeigen wollen. Die Kommunikationskanäle Richtung Russland sollten offen bleiben. Dafür ließen sich die Finanzströme nach Russland (also unsere Gasimporte) durchaus stärker drosseln. Dies könnte ein Booster für die ökologisch überfällige, aber verschleppte Energiewende sein.

Lehren der Corona-Pandemie

Es ist also der Zeitpunkt für eine Kombination aus Realpolitik und Weltoffenheit. Im wirtschaftlichen und politischen Bereich muss Deutschland, respektive Europa, stärker eigene Interessen vertreten und auch wieder mehr Unabhängigkeit gewinnen: Das ist die Lektion aus der Corona-Pandemie, aus der Regentschaft Donald Trumps, der zunehmend aggressiven und autoritären Politik Xi Jinpings und der russischen Expansionspolitik.

Wir sollten in der Lage sein, selbst Medikamente zu produzieren und wichtige Netz-Infrastrukturen in Europa zu unterhalten und unabhängiger von Gas-Importen zu werden. Wir sollten auch in der Lage sein, Europa militärisch zu verteidigen. Aber der Status quo ist der einer großen Abhängigkeit von anderen Groß- und Regionalmächten.

Daher gibt es auch realpolitisch keine Alternative dazu, unsere globale Interdependenz erst einmal anzuerkennen. Die großen Herausforderungen unserer Zeit, ob Pandemien oder der Klimawandel, sind zudem nur in globaler Kooperation zu bewältigen. Wir können uns nicht ins Schneckenhaus des alten Westens verkriechen. Das Gebot der Stunde ist Weltoffenheit zu bewahren und als EU mittelfristig mehr Autonomie zurückzugewinnen.

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Wenn die Geld- und Warenflüsse nach Russland aus gutem Grunde gerade abgebrochen werden müssen, dann könnten gerade die Universitäten als Vermittler wirken. Wir sollten uns als Forschende die Freiheit bewahren mit Partnern in aller Welt zusammen zu arbeiten. Unsere Partner hätten wir uns auch schon in der Vergangenheit gut aussuchen sollen.

Daran ändert sich nichts. Ich persönlich brauche keine Ko-Autoren, die Fans von Diktatoren sind. Aber ein allgemeiner Boykott kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs ist ein Irrweg.

Michael Brüggemann

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