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© KEYSTONE

Datenkauf: Rechtes Feindbild in der Schweiz

Der Streit mit Deutschland um die Steuerdaten freut besonders die Nationalisten in der Schweiz. Das Verhältnis der Nachbarn verkommt: Den Preis für das Debakel könnten jetzt die Deutschen in der Schweiz zahlen.

Lange hielt sich Christoph Blocher zurück. Der Anführer der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) bellte nicht, er beobachtete den Steuerstreit mit Deutschland nur. Dann brach es aus dem Volkstribun heraus. „In der deutschen Regierung hat es Kriminelle“, hetzte Blocher in typisch Schweizer Diktion auf TeleZüri. Gleichzeitig tauchen in Zürich „Fahndungsplakate“ der „Jungfreisinnigen“ auf: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble werden wegen Bankraubs gesucht. Und das Magazin Weltwoche empfiehlt, „alle deutschen Minister, die unsere Grenze überschreiten, umgehend zu verhaften“.

Die Kriminalisierung des Kabinetts in Berlin ist schriller Höhepunkt einer aufgepeitschten Debatte in der Schweiz: Seit Tagen diktiert der geplante Kauf einer Liste mit deutschen Steuersündern durch Berlin die Politik des kleinen Landes. Helvetien fühlt sich von seinem wichtigsten internationalen Partner an die Wand gedrängt, verraten und gedemütigt. Das Verhältnis der Nachbarn verkommt: Den Preis für das Debakel könnten jetzt die Deutschen in der Schweiz zahlen.

Inzwischen leben rund 250 000 Männer, Frauen und Kinder aus dem „großen Kanton“ in der Alpenrepublik; ihre Zahl nimmt ständig zu. „Man beobachtet den Streit schon mit ernster Sorge“, sagt ein deutscher Banker aus Zürich, der anonym bleiben will. „Die antideutsche Stimmung droht zu eskalieren.“

Zumal die größte Partei des Landes, die SVP, in der Kampagne gegen die Deutschen den Takt vorgibt. In Anzeigen behauptete der Zürcher Verband der Rechtsnationalen, in der Hochschullandschaft herrsche ein „deutscher Filz“. Der SVP-Chefideologe Christoph Mörgeli zischte in einer Talkshow, es sei eine „Kriechhaltung“ gegenüber den Deutschen, dass die Universität Bern der Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ehrendoktorwürde verliehen habe. Andere SVP-Ultras rufen immer wieder zum Boykott deutscher Waren auf.

Die antideutschen Ressentiments breiten sich im gesamten politischen Spektrum aus. Der Medienunternehmer Roger Schawinski, ein langjähriger Kämpfer gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, verlangte, die Schweizer sollten mit den Deutschen nicht mehr Hochdeutsch sprechen. „Bei den Jugoslawen sagen wir auch, die Integration geschieht vor allem über die Sprache“, wird Schawinski in einem Beitrag des liberalen Tages-Anzeigers zitiert.

Die Medien attackieren ohnehin seit Jahren die Zuzügler aus dem Norden. Mal fragen Zeitungen voller Sorge: „Kommen ab heute noch mehr Deutsche in die Schweiz?“ Oder: „Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?“ Dann wird seitenweise beschrieben, „wie sich die Germanen in der Kolonie Helvetien ausbreiten“. Und es wird unterstellt, Deutsche gierten „scharenweise“ nach dem Schweizer Pass.

Vor allem fürchten die Eidgenossen um ihre Chancen auf dem enger werdenden Arbeitsmarkt. Denn es sind meist gut qualifizierte Männer und Frauen aus der Bundesrepublik, die es in die Eidgenossenschaft zieht: In der Finanzbranche, in Universitäten und Krankenhäusern nimmt ihre Zahl stetig zu. So stellen die Deutschen schon fast ein Drittel der Professoren an der Universität Bern. SVP-Hardliner Mörgeli bringt den Groll vieler Schweizer über die deutschen Migranten auf den Punkt: „Wenn man hier immer Steuern bezahlt und Militärdienst geleistet hat, dann staunt man schon ein bisschen, wenn der Chef plötzlich Schulz heißt.“

Für die meisten Schweizer ist klar: Die Deutschen verdanken die Erfolge vor allem ihrer Ellbogenmentalität. Die Konkurrenz aus dem Norden gilt als kalt, berechnend und rücksichtslos – Charakterzüge die sich schon in der harten Sprache, dem Hochdeutschen, widerspiegeln. Das Schwyzertütsch hingegen klingt in helvetischen Ohren heimelig, stiftet Identität. Alles Negative an den Deutschen verkörpert keine Person so perfekt wie Peer Steinbrück. Erst drohte der frühere sozialdemokratische Bundesfinanzminister den Schweizern mit der „Peitsche“. Später verhöhnte er sie als „Indianer“, die bei Drohungen mit der „Kavallerie“ schnell die Waffen strecken. Der knorrige Ex-Kassenwart gilt in Helvetien noch immer als „der hässliche Deutsche“. Genauso wie es vor gut einem Jahr eine Zürcher Zeitung verkündete – in schwarz-rot-goldenen Balken.

Jan Dirk Herbermann

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