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Matthias Quent, Rechtsextremismus-Experte und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.

© Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Rechtsextremismus-Forscher Quent zu Hanau: „Rassismus reicht über die AfD hinaus“

Man müsse vorsichtig sein, das Wahlergebnis in Hamburg mit dem Attentat in Hanau in Verbindung zu bringen, sagt der Soziologe Matthias Quent. Ein Interview.

Matthias Quent forscht zu Rechtsextremismus. Er ist Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. 2019 veröffentlichte Quent sein Buch "Deutschland rechts außen".

Herr Quent, gibt es Grund zu der Annahme, dass die AfD nach Hanau ihren Zenit überschritten haben könnte?

Nein. Das AfD-Wählermilieu sieht überwiegend keinen Zusammenhang zwischen der rassistischen Propaganda der Partei, der Stimmung, die sie erzeugt und dem Terror von Hanau oder Halle. AfD-Unterstützer haben längst Rationalisierungsstrategien gefunden, mit denen sie die Verantwortung von sich wegdrücken können. Das zeigt sich in ihren Äußerungen, in denen sie die Tat in Hanau bagatellisieren und auf die mutmaßliche Krankheit des Täters hinweisen. Andere geben Merkel die Schuld und besonders extreme Rechte begrüßen die Tat.

In Hamburg sah es kurzzeitig so aus, als ob es die Partei gar nicht mehr in die Bürgerschaft schafft.

Ja, aber sie hat dann doch faktisch im Vergleich zu den Vorwahlen erstaunlich wenig verloren. Hamburg ist ohnehin nicht vergleichbar mit dem Rest der Bundesrepublik. Es gibt bundesweit ein großes Nord-Süd-Gefälle bei der Affinität zum Rechtsextremismus. Es existiert zusätzlich ein Ost-West-Gefälle und es gibt ein Stadt-Land-Gefälle. Als west- und norddeutsche, vielfältige, Großstadt ist Hamburg offener. Insofern muss man sehr vorsichtig sein, das Wahlergebnis in Hamburg im Zusammenhang mit der Tat in Hanau oder gar als Indikator für einen bundesweiten Trend zu verstehen.

Parteisprecher Chrupalla gab sich selbstkritisch, behauptete Rassismus hätten keinen Platz in der AfD. Was ist von solchen Rechtfertigungsversuchen zu halten?

Das ist der Versuch, Anschlussfähigkeit wiederherzustellen. Weil man in der AfD natürlich wahrnimmt, dass die Partei im öffentlichen Diskurs kein gutes Bild abgibt und auch die Verbindung zwischen rechter Gewalt und rechten Parolen von einer Mehrheit der Bevölkerung durchaus gesehen wird.

Nichtsdestotrotz geht es weniger darum, die bisherige Wählerschaft bei der Stange zu halten, die meisten haben sich längst an Rassismus gewöhnt oder wählen die AfD dafür. Es geht darum, neue Wählerschichten zu erschließen im bürgerlichen Spektrum und sich in der Zivilgesellschaft zu normalisieren. Das ist das große Ziel der AfD. Also über die hinaus, die den rassistischen und rechtsextremen Thesen sowieso zustimmen würden oder sie wenigstens in Kauf nehmen.

Verfangen solche Ausreden bei diesen Menschen?

Die AfD spielt, wie viele Rechtspopulisten, mit kalkulierter Ambivalenz und taktischer Zivilisierung. Da werden mehrdeutige und widersprüchliche Aussagen fallen gelassen und jeder kann sich dann aussuchen, was einem daran gefällt. Das kann in bestimmten Situationen dann zur Rechtfertigung herangezogen werden, während in anderen Situationen harte Parolen unterstützt werden. Das macht die Auseinandersetzung so schwierig und wenig berechenbar.

Trägt die AfD eine Mitschuld am Terror von Hanau oder Halle?

Die Radikalisierungsprozesse sind komplexer. Was man sagen kann - nicht nur in Bezug auf Deutschland, sondern auch in Bezug auf wachsende Hasskriminalität in vielen westlichen Ländern, in denen rechte Parteien erstarken- ist, dass diese Prozesse nicht zufällig miteinander einhergehen. Rassistische Stimmungen, wie sie die AfD erzeugt, verstärken die Gefahr von rassistischer Gewalt und Terror und die Angst bei Betroffenen. Die AfD stellt Personengruppen als Bedrohung dar, was gewaltaffine Einzelpersonen oder Gruppen dann aufnehmen können, um Sündenböcke, legitime Ziele und einen Sinn für Aggressionen zu finden. Insofern trägt die AfD eine gesellschaftspolitische Verantwortung, aber der Rassismus reicht auch über diese Partei hinaus.

Wenn die Wahlbeteiligung in Hamburg höher ausgefallen wäre, hätte die AfD den Einzug wahrscheinlich verpasst. Hat die Zivilgesellschaft den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt?

Es gibt durchaus eine sehr engagierte Zivilgesellschaft, die den Ernst der Lage erkannt hat. Aber waren ihre Methoden wirkungsvoll? Auch unabhängig von der AfD müssen sich die demokratischen Parteien fragen lassen, ob sie die Realitäten der Nichtwähler ausreichend adressiert haben. Tendenziell gehen diejenigen weniger wählen, die wirtschaftlich abgehängt sind, sich nicht viel um Politik kümmern, auch Migranten. Gerade die demokratischen Parteien müssen stärker auf die Nichtwähler zugehen, schon im eigenen Interesse und dem der Demokratie. Wenn das dann noch die AfD schwächt, umso besser.

Die AfD spricht von einem psychisch kranken Täter. Sie haben gesagt, man kann psychisch krank und rechtsradikal sein. Wie spielen psychische Erkrankung und Radikalisierung, vielleicht gerade Rechtsradikalisierung, zusammen?

Man muss man Terrorismus und psychische Erkrankungen auseinanderhalten, es gibt keinen Determinismus und es gilt vor allem, Stigmatisierungen zu vermeiden. Wir haben allerdings in der Tat in der Vergangenheit islamistische wie auch rechtsradikale Attentäter erlebt, die schizophrene, paranoide oder narzisstische Störungen auch in einem pathologischen Sinne aufweisen. Dies kann in Einzelfällen dann mit gesellschaftspolitischer Paranoia, etwa vor „Überfremdung“ oder kollektiver Selbstüberhöhung, etwa als Deutscher, mit Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien verbunden werden, die der menschenfeindliche Rechtsradikalismus anbietet.

Man muss da aber sehr aufpassen, dass man nicht allgemein stigmatisiert. Anders Breivik, das OEZ-Attentat in München oder die rechte Autoattacke in der Silvesternacht 2018 in Bottrop und Essen sind Beispiele für Personen, bei denen auch eine psychopathologische Komponenten eine Rolle spielten. Aber sie haben letztlich aus einem rassistisch erzeugtem Klima heraus ihre Opfergruppen gewählt.

Welche Rolle spielen dabei Verschwörungstheorien?

Verschwörungsideologien sind ein wichtiges Element von rechtsextremen Weltbildern. Oft geht es um die Vorstellung, dass eine reine, authentische, überlegene, auf Ungleichheit basierende Ordnung im Begriff ist, durch böse Hände zerstört zu werden. Dass man darauf auch mit Gewalt reagieren muss, um schlimmeres zu verhindern – bis zum Völkermord. Häufig sind das antisemitische Denkstrukturen. In bestimmten Zuspitzungen ist das auch im Fall von Hanau vorhanden, wobei das Verschwörungsdenken hier aus meiner Sicht auch starke individuelle Komponenten hat.

Woraus schließen Sie das?

In den Quellen des Attentäters dominiert nicht die typische Sprache des vernetzten Rechtsradikalismus, aber doch gemeinsame Denkstrukturen und einige Bezugnahmen, etwa auf ein Hitlerzitat. Ideologisches und verschwörungsbezogenes Denken kennt viele Ausprägungen, aber es gibt strukturelle Gemeinsamkeiten, die sich im Rechtsextremismus von der AfD bis zum Terrorismus wiederfinden. Fremdsteuerung und Erlösungsfantasien gehören dazu.

Der Attentäter schreibt in seinem Dokument, er habe seit seiner Kindheit Stimmen gehört. Wenn das wirklich so ist, dann könnte er diese Wahrnehmungsstörungen durch Verschwörungslegenden rationalisiert haben. Diese Verschwörungslegenden hat er auch im Internet gefunden, etwa auf YouTube-Kanälen. Darin liegt eine intersubjektive, kollektive Dimension, die mit toxischen Angeboten im Netz und Diskursen in den Medien, etwa zu Ausländerkriminalität, zusammenwirkt.

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